Roman

Der Krieg, wie er ist

Der britische Dampfer "Iberian" sinkt nachdem er bei einer Fahrt im Nordatlantik im Juli 1915 vom deutschen U-Boot U28 torpediert worden war.
Der britische Dampfer "Iberian" sinkt. © picture alliance / dpa
Von Gabriele von Arnim · 16.02.2014
Pat Barkers erzählt von den Verletzungen, die der Erste Weltkrieg an Körper und Seele hinterlässt. Ihr spannender und scharfsichtiger Roman mutet dem Leser erschreckende Details zu.
Im Gegensatz zu manchen ihrer Schriftstellerkollegen, die termingerecht zum 100. Jahrestag seines Ausbruchs den ersten Weltkrieg als Romanstoff entdecken, widmet sich die preisgekrönte englische Autorin Pat Barker diesem Thema seit Jahren und hat bereits in einer beeindruckenden Romantrilogie von der Vernichtungsmaschine Krieg erzählt.
Auch in ihrem neuen Roman wirft sie uns hinein in das Grauen, die Angst, die physischen und psychischen Verletzungen des "Großen Krieges", wie er in England bis heute heißt. Pat Barker wurde1943 - also mitten im Zweiten Weltkrieg - geboren und hat das Schlachten in Schützengräben, das Vegetieren in Lazaretten und das quälende Überleben penibel recherchiert.
Erschreckende Details erspart sie uns nicht. Schreibt mit unerbittlich hartem Blick und klingenscharfer Präzision und ohne Raum für Tränen des Mitgefühls zu lassen. Und doch wird die Wucht des Entsetzens durch die beeindruckende Schönheit ihrer Sprache gemildert, durch die oft zarte Originalität ihrer Bilder, die kraftvollen Naturbeschreibungen, die klugen Fragen, die sie stellt.
Alle kreisen um Toby
Tobys Zimmer erzählt die Geschichte eines scheinbar unzertrennlichen Geschwisterpaares, das eine einzige gemeinsam verbrachte Nacht als bleiernes Geheimnis mit sich herumträgt. Als der Krieg ausbricht, geht Toby als Chirurg ins Feld. Auch seine Freunde Kit und Paul melden sich freiwillig.
Seine Schwester Elinor ist eine begabte Malerin, die mit dem Krieg nichts zu tun haben will. Doch dann wird Toby als vermisst, vermutlich gefallen, gemeldet. Und nun muss Elinor herausfinden, was geschehen ist. Weiß Kit mehr als er zugibt? Auch er kreist um Toby. Auch er, einstiger Star der Londoner Kunstszene, der mit einem zerschossenen, nasenlosen Gesicht heimgekehrt ist, hat Erinnerungen an Toby, die ihn peinigen.
Elinor ahnt – zu Recht – ein Geheimnis. Kühl berechnend in ihrer Besessenheit hetzt sie ihren ehemaligen Geliebten Paul als Spion auf Kit und nimmt schließlich in der gesichtschirurgischen Abteilung der Klinik, in der Kit liegt, die Stellung einer Zeichnerin an, die dem plastischen Chirurgen die Rekonstruktion der zerstörten Gesichter erleichtern soll.
Der Mensch als paradoxes Wesen
Wir lesen einen verzweifelt scharfsichtigen Kriegsroman, der spannend ist wie ein Krimi und sich zielgenau hineinfräst ins Innere seiner Protagonisten. Kein Mensch ist nach diesem Krieg noch unversehrt. Weder die verwüsteten jungen Männer, ihrer Operationen harrend in einem Krankenhaus, in dem es keine Spiegel gibt. Noch die verwöhnte Elinor, die während der Suche nach der Wahrheit über ihren verschollenen Bruder mit der Wirklichkeit des Krieges konfrontiert wird.
Gezeigt wird: der Mensch als paradoxes Wesen. Die kalte Elinor – elend gefangen im eigenen Seeleneis. Der schillernde Toby, von dem es einmal heißt, er sei der mitfühlendste Mann gewesen, den man sich denken könne – und vollkommen unmenschlich. Es schimmern viele Wahrheiten in vielerlei Farben. Und staunend folgt man der Autorin, der jede Beschönigung fern liegt und die dennoch einen leuchtenden Roman geschrieben hat.

Pat Barker: Tobys Zimmer
Deutsch von Miriam Mandelkow
Dörlemann Verlag Zürich 2014
400 Seiten, 23,90 Euro