Roman "Das stille Land"

Nebeneinander von Zärtlichkeit und Brutalität

Einbruchgefahr: Eisläufer auf einem fast zugefrorenen See
Beim Eislaufen nimmt die Tragödie ihren Anfang. © imago/Horst Rudel
Von Gabriele von Arnim · 31.01.2015
Der amerikanische Autor Tom Drury erzählt in "Das stille Land", wie ein Anfang 20-jähriger, ehrgeizloser und freundlicher Barkeeper sich immer mehr in die Rachepläne seiner Geliebten verstrickt. Eine Tragödie, aber licht und komisch erzählt.
Eigentlich habe er endlich einmal eine Tragödie schreiben wollen, sagt der amerikanische Schriftsteller Tom Drury in einer kleinen Rede zu seinem neuen Buch, doch er habe es nicht gekonnt.
Und so hat er das Tragische ins Magische überführt, hat die geheimnisvolle Göttin Schicksal herbeizitiert, das Diktum der Vergänglichkeit auf den Kopf gestellt und dem Tod den Stachel gezogen. Drury erzählt hier sinnlich und übersinnlich zugleich eine in jeder Hinsicht phantastische Geschichte, durchwirkt die bodenständig handfeste Handlung mit metaphysischen Elementen. Ein ganz neuer Drury ist das und bleibt doch unverkennbar in seiner immer wiederkehrenden Lust an den unwiderstehlich bizarren und abgefahrenen Geschichten aus der Provinz.
Pierre Hunter ist Anfang 20, hat einen College Abschluss in Naturwissenschaften und arbeitet als Barkeeper. Er hat keinen Ehrgeiz, kein Ziel, keine Probleme. Er ist ein freundlicher Mensch, der gern mit seinen Freunden trinkt, einen Joint raucht und oft klug, meist absichtslos daherredet.
Eines Tages bricht er beim Schlittschuhlaufen ein und wird gerettet von einer jungen Frau, die ganz allein in einem alten Haus dort oben am See lebt. Pierre verliebt sich in sie. Nein, ausgehen wolle sie nicht mit ihm, sagt Stella, aber er könne sie jederzeit besuchen. Sie geht nicht gern unter Menschen. Und manche reden komisch über sie. Sie sei nach ihrem Unfall nicht mehr dieselbe Person wie früher. Manchmal holt Stella eine Lichterkette aus dem Küchenschrank, weil sie bei dem bronzefarbenen Licht am leichtesten in Trance gerät –was sie dann Nachdenken nennt.
Immer tiefer ins bedrohliche Ungemach
Pierre stellt fast keine Fragen – obgleich ihm manche Rätsel aufgegeben werden, und er sich immer tiefer hineinverstrickt in bedrohliches Ungemach. Oder hineinverstrickt wird durch jenseitige Kräfte.
Offenbar ist er ausersehen zum Rächer eines Mannes, der Stella einst Schreckliches angetan hat. Nach und nach begreift er seine Rolle und die damit verbundene Gefahr und akzeptiert sie mit erstaunlicher Nonchalance. Drei Männer sind bald auf seiner Spur. Die Jagd kann beginnen.
Drury hat eine unnachahmliche Art, zielloses Gerede, ereignislose Szenen und dramatische Handlungen nebeneinanderzusetzen und alle im selben entspannten Ton zu erzählen. Die Langeweile, die Idylle, die Liebe, die Gewalt – schon immer hat dieser Autor sie ganz selbstverständlich miteinander verwoben. Drury moralisiert nicht, er erzählt. Und so lebt die Zärtlichkeit neben der Brutalität, die öde Gewohnheit neben dem vulkanischen Ausbruch.
Und immer wieder sind es die großartigen Dialoge, die einen als Leser betören. Gespräche, die scheinbar unabgeschlossen in der Luft hängen bleiben oder dank unabweisbar banaler Logik ihren subkutanen Witz entfalten.
Die Handlung fließt trotz großer Spannung ganz ruhig daher.
Es geschehen grausame Dinge, die nicht wirklich beunruhigen, weil Leben, Tod und Zeit ja ohnehin nur eine Illusion sind. Und so lesen wir einerseits doch eine Tragödie, zugleich aber –und das ist Durys Kunststück – einen lichten und auch sehr komischen Roman.

Tom Drury: Das stille Land
Aus dem Englischen von Gerhard Falkner und Nora Matocza
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2015
216 Seiten, 19,95 Euro

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