Rollenbilder in Videospielen

Mehr als Game-Futter für Nerds

Medienkritikerin und Gamerin Anita Sarkeesian
Medienkritikerin und Gamerin Anita Sarkeesian © picture alliance / dpa / Jason Szenes
Von Tobias Nowak · 10.05.2017
Riesen-Oberweiten, Wespentaillen und pralle Hintern - mit ihrer Youtube-Serie "Tropes vs. Women in Videogames" kämpft Anita Sarkeesian seit Jahren gegen sexistische Darstellungen von Frauen in Videospielen. Nun hat die Medienkritikerin und Gamerin ein neues Projekt ins Leben gerufen.
"Wir wollen systematisch die Bilder, Handlungen und Muster untersuchen, mit denen Frauen in Videospielen üblicherweise dargestellt werden. Diese Serie wird viele sehr beliebte Spiele und Charaktere analysieren, dabei aber nicht vergessen, dass es möglich – sogar nötig – ist, ein Medium gleichzeitig zu lieben, ohne seine problematischen oder gar schädlichen Aspekte unter den Tisch zu kehren."
So begann im März 2013 die Youtube-Serie "Tropes vs. Women in Videogames" – übersetzt "Rollenbilder gegen Frauen in Videospielen" – der Medienkritikerin Anita Sarkeesian. In den ersten drei Folgen widmete sie sich einen der zentralen Themen vieler Spiele, der "Damsel in Distress", auf deutsch ungefähr "Fräulein in Not". Von Klassikern wie "Donkey Kong" bis zu modernen Kunstwerken wie "The Last of Us": Sehr häufig dient eine entführte, verschwundene oder verwundete, auf jeden Fall aber hilflose Frau als Motivation für die Aktionen eines männliche Protagonisten.

Mangel an starken, nicht sexualisierten, weiblichen Hauptrollen

Stilistisch sind Sarkeesians Videos durch das Nebeneinander ihrer zugänglich formulierten, scharf gedachten Analysen und aussagekräftigen, gut recherchierten, bunten Collagen. Natürlich widmete Sarkeesian sich auch den offensichtlichen und sexualiserten Aspekten der Frauendarstellung in Games: Riesen-Oberweiten und Wespentaillen, eine Kameraführung, die pralle, weibliche Hintern ständig in den Fokus nimmt − während männliche Hintern nur sehr selten gezeigt werden. Oder auch die Vermengung von sexistischen und rassistischen Klischees, Gewalt gegen Frauen, absurd spärliche Kleidung, selbst in Rollen, in denen ein männlicher Charakter bestimmt mit schwerer Rüstung aufträte, dramaturgisch überflüssige Nacktszenen und so weiter. Und immer wieder arbeitete Sarkeesian deutlich heraus, woher der bedauerliche Mangel an starken, nicht sexualisierten, weiblichen Hauptrollen in Games stammt: Viele Spielentwickler nehmen nämlich an, dass Ihre Kundschaft nach wie vor junge, weiße, notgeile Nerds sind.
"Also nicht jeder Junge hat immer Lust pornographisch aussehende Frauen zu spielen."
Medienwissenschaftlerin Maike Groen von der TH Köln pflegte schon vor "Tropes vs. Women in Videogames" den Kontakt zu Sarkeesian:
"Der war tatsächlich rein privater Natur, weil ich einfach schon sehr lange spiele, also digitale Spiele spiele, selber auch früher kompetitiv gespielt habe, also Multiplayer online. Und Anita Sarkeesian, also Feminist Frequency, da war sie ja eigentlich noch ein Ein-Frau-Projekt, schon sehr früh angefangen hat eben auch Videos in diesem Kontext zu machen, und eines der ersten Videos war 'Too Many Dicks on the Dance Floor', und damals hat sie auch schon Videos gemacht zum Bereich Geschlechterbilder in der Werbung und so …"

Morddrohungen gegen Sarkeesian

Groen untertitelte frühe Videos von Sarkeesian für das deutsche Publikum. Aber auch wenn die Kontroversen in Deutschland ein gewisses Echo fanden: In den USA wurde Sarkeesian durch ihre Videos berühmt, und einerseits Opfer von Mord- und Bombendrohungen fundamentalistischer Gamer, andererseits Gast in Late-Night-Shows, wie zum Beispiel dem Colbert Report:

Premiere für die "Freq-Show"

Auch wenn ihre bisher am meisten beachtete Serie, "Tropes vs. Women in Videogames", jüngst auslief, machen Sarkeesian und ihr Team von "Feminist Frequency" weiter: Anfang Mai feierte die "Freq-Show" Premiere:
"Eine Serie, in der wir untersuchen, wie die popkulturelle Darstellungen von Rasse, Geschlecht und Sexualität mit dem vorherrschenden sozialen und politischen Klima zusammenhängen."
In der zehnminütigen ersten Folge "Whitewashing" untersucht Sarkeesian die Darstellung nicht-weißer Ethnien im amerikanische Kino, von den Anfängen des laufenden Bildes bis heute, von "schwarz" bis "gelb". Wie immer stehen ihre gerade in die Kamera gesprochenen Aussagen und Collagen mit Beispielen aus der Filmgeschichte in einem erfrischenden Kontrast.
"Farbigen Gruppen ist ihre Darstellung schon immer aufgefallen und sie haben schon immer dagegen protestiert – aber zunehmend äußert sich auch das weiße Publikum sehr kritisch. Leider, so scheint es, ist das auch nötig, damit die Macher in Hollywood aufhören, die gleichen, alten, müden Klischees mit den gleichen, alten, bekannten Gesichtern neu aufzugießen."
Sarkeesian ist eine sehr aktive Medienkritikerin, die mit ihren Videos und ihrer zugänglichen Art auch weit jenseits des Feuilletons wahrgenommen wird. Und ob Sexismus oder Rassismus: Ihrer scharfen Analyse entgeht wenig – wobei die Kritik nie total ist. Medienwissenschaftlerin Maike Groen:
"Ich finde halt spannend an Anita Sarkeesian und an der Debatte um sie rum, dass sie nie den Anspruch hatte vollständig zu sein und dass sie ihren Videos immer vorabstellt wie sehr sie ein Medium liebt, also unter anderem die digitalen Spiele."
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