Römischer Gott als chinesischer Drache

Von Stefan Keim |
Der chinesische Aktionskünstler Zhang Huan hat sich erstmals an eine Oper gewagt: Für Händels "Semele" ließ er in der Brüsseler Oper La Monnaie einen 450 Jahre alten chinesischen Tempel aufbauen. Die Geschichte um den Gott Jupiter und seine Geliebte bebilderte er mit chinesischen folkloristischen Elementen.
Ein dreibeiniger Buddha steht vor dem Portal der Oper La Monnaie in Brüssel. In der Pause der Opernpremiere sitzt unter ihm ein mongolisches Ensemble und spielt ethnische Musik. Auch wer keine Karte hat, kriegt mit, dass es sich bei dieser Inszenierung von Georg Friedrich Händels "Semele" um eine ungewöhnliche Aufführung handelt.

Das Bühnenbild ist einfach sensationell. Einen 450 Jahre alten chinesischen Tempel hat der Regisseur und Allroundkünstler Zhang Huan abbauen und einfliegen lassen. Viele Säulen sind abgewetzt, das Dach zeigt ebenfalls deutliche Spuren der Abnutzung. Ein Film in Schwarzweißbildern, der während der Ouvertüre projiziert wird, erzählt die Geschichte dieses Tempels. Am Schluss war er einfach nur ein Wohnhaus. Seine Besitzer wollten es verkaufen, denn ihr Sohn sollte heiraten, und keine junge chinesische Frau will in so einem Gebäude wohnen. So wurde aus einem echten Tempel ein Bühnenbild.

Darin inszeniert Zhang Huan nun Händels auf der Schwelle zwischen Oper und Oratorium schwebende - aber deutlich mehr zur Oper neigende - "Semele" aus chinesischer Perspektive. Es ist der Kampf zweier Frauen. Semele liebt Jupiter, will deshalb nicht den für sie vorgesehenen Prinzen heiraten und verärgert Juno, die eifersüchtige Gattin des stets weibstollen Obergottes. Juno spinnt nun eine Intrige, verwandelt sich in Semeles Schwester und verleitet sie dazu, einen ultimativen Liebesbeweis zu fordern. Jupiter soll ihr in seiner wahren Gestalt erscheinen und sie damit unsterblich machen. Doch dieser Anblick tötet Semele, sie geht in Flammen auf.

Diese Szene löst der chinesische Regisseur wieder über Projektionen. Ein Aschebild Semeles löst sich auf, die Konturen des Gesichtes verschwimmen. Mit ihr stirbt die Utopie. Der Jubelchor, der eigentlich am Schluss der Oper steht, fällt weg. Dafür summen die Choristen die Internationale und tragen einen roten Sarg über die Bühne. Ein mutiges Bild, denn die extrem aufwändige Produktion kam nur mit finanzieller Unterstützung einer chinesischen Stiftung zustande, die den kulturellen Austausch fördert. Die Aufführung soll 2010 auch in Shanghai und Peking zu sehen sein.

Zhang Huan hat keine Erfahrung mit der Oper. Das merkt man an der Behandlung des Chores und oft fehlender psychologischer Grundierung der Figuren. Er bebildert mehr, als dass er interpretiert. Dabei rutscht seine Inszenierung gelegentlich in folkloristische Beliebigkeit, wenn zum Beispiel Sumo-Ringer auftreten. Jupiter allerdings in wahrer Gestalt als chinesischen Drachen auftreten zu lassen, macht Sinn. Er steht für die alten Götter, die auch keine Perspektive bieten, sondern die Menschen zerstören, wenn sie zu selbstbewusst werden. Mit dieser Aussage dürften die Zensoren in Peking keine Probleme haben.

Gesungen wird auf durchweg hohem Niveau. Ying Huang als Semele ist erstmals in einer barocken Opernpartie zu hören und verzaubert mit farbenreichen, leichten Koloraturen. Allerdings guckt sie ständig zum Dirigenten und hat kaum noch Konzentration fürs Spielen übrig. Jeremy Ovenden ist ein kraftvoller Jupiter, Ning Liang überzeugt in der Doppelrolle als Juno und Semeles Schwester Ino.

Doch die Sensation des Abends ist das Orchester. Christophe Rousset entfaltet die vielen Feinheiten von Händels Partitur mit dem Spezialistenensemble Les Talens Lyriques mit liebevoller Musizierlust. Stets atmet er mit den Sängern, trägt sie auf Händen, lässt auch die etwas schwächeren Stimmen blühen. Und das alles ohne große Gesten, seine Bewegungen sind ökonomisch, punktgenau, uneitel. Er dient der Musik mit intelligenter, mitfühlender Hingabe. Musikalisch ist diese "Semele" ein großer, inszenatorisch ein hochinteressanter Musiktheaterabend.

Georg Friedrich Händel: Semele
Inszeniert von Zhang Huan
Musikalische Leitung: Christophe Rousset
Uraufführung in der Brüsseler Oper La Monnaie