Rock am Ring & Co.

Gemeinschaftsgefühl, Regen und Schlamm

01.06.2018, Rheinland-Pfalz, Nürburg: Eine Festivalbesucherin reckt vor der Hauptbühne des Musikfestivals "Rock am Ring" einen Gummistiefel in die Luft. Rund 80 Bands treten am Nürburgring auf drei Bühnen auf. Foto: Thomas Frey/dpa | Verwendung weltweit
Rock am Ring: Grundausstattung Gummistiefel immer dabei © Thomas Frey dpa / picture alliance
Thomas Hecken im Gespräch mit Ute Welty · 02.06.2018
Woodstock liefert bis heute die Blaupause dafür, was als gelungenes Rock-Festival gilt: Es braucht auch Schlamm und Gemeinschaftsgefühl. Popkultur-Experte Thomas Hecken sagt: "Ein Festival, das ganz glatt funktionieren würde, das wäre kein gutes."
Land unter am Nürburgring: heftiger Gewitterregen sorgte am Freitag beim Festival Rock am Ring für Überschwemmungen und damit auch für den Schlamm, der seit Woodstock 1969 einfach bei einem guten Musikfestival dazugehört.
"Das perfekte Festival-Wochenende – also, ich würde sagen, eine Mischung aus Sonne und Regen, eine Mischung aus Schlamm und wenig Schlamm", sagt Thomas Hecken, Professor an der Universität Siegen und Herausgeber der Zeitschrift "Pop. Kultur und Kritik". "Sie dürfen den Schlamm jetzt auch nicht unterschätzen. Man fährt ja zu Festivals natürlich, um Musik zu hören, klar, aber manchmal ist dann auch nur die Nebenbeschäftigung. Man fährt dahin, um andere Leute kennenzulernen, um natürlich auch dann sich teilweise zu betrinken, um so ein Gemeinschaftsgefühl zu haben."

Der Charme des Unperfekten

Gerade das Unperfekte, Provisorische macht offenbar für viele Festival-Besucher den Reiz aus. "Man muss ja heutzutage sehen: Alles klappt ja recht gut. Und wenn mal etwas nicht klappt, ist das natürlich besonders erzählenswert", so Hecken. "Also, ich würde sogar umgekehrt sagen: Ein Festival, das jetzt ganz glatt funktionieren würde, das wäre kein gutes Festival."

Ein Festivalbesucher badet am 02.08.2013 beim Musikfestival "Haltestelle Woodstock" in der polnischen Stadt Kostrzyn (Küstrin) im Schlamm.
Beim Rockfestival «Haltestelle Woodstock» in Küstrin gehört das Schlammbad einfach dazu. © dpa-Bildfunk / Britta Pedersen
Dabei schwinge immer noch der "Woodstock-Mythos" nach, meint der Literaturwissenschaftler.
"Aber da ist natürlich dann der große Unterschied zu den heutigen Festivals klar mit Händen zu greifen: So um 1970 herum in diesem Hippie-Aufbruchsgefühl rüttelten natürlich alle immer an den Zäunen der Festivals, da war ja immer die große Frage dann: Wieso wird jetzt überhaupt Geld dafür genommen?"
Woodstock Festival 1969
Woodstock 1969: Fast eine halbe Million Amerikaner strömte zum spektakulärsten Festival der Rockgeschichte, das vor dem Hintergrund von Vietnamkrieg und Rassismus zum musikgeschichtlichen Höhepunkt der Hippie-Bewegung wurde.© imago/United Archives
Heute hingegen wird die Kommerzialisierung der Festivals offenbar von niemandem mehr angezweifelt. "Das ist kein Thema mehr".

"Diese Zwei-Klassen-Gesellschaft gab es schon immer"

Ein relativ neues Phänomen, so Hecken, seien die VIP-Bereiche, in die man sich entsprechend einkaufen könne. "Man könnte ein bisschen satirisch sagen: Dadurch gerät jetzt die Popkultur endgültig zur Hochkultur. Also, die Tradition der Königsloge wird wieder eingeführt." Andererseits habe es diese Zweiteilung schon immer gegeben. Und zwar in die, die vor der Bühne standen, und die, die in den Backstage-Bereich durften.
"Da gab es schon immer diese Zwei-Klassen-Gesellschaft. Heute ist sie kommerzialisiert. Also, man kann sich dann diese Rechte erkaufen. Dadurch wird es dann irgendwie fast schon wieder demokratischer."
(uko)
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