Robinson Crusoe auf Grönland

Die britische Schriftstellerin Georgina Harding ist bisher mit Sachbüchern über Indien und Rumänien bekannt geworden. In ihrem Debütroman "Die Einsamkeit des Thomas Cave" schließt 1616 ein Matrose eine Wette ab, einen Winter allein im Eis Grönlands zu überleben, was vor ihm noch keinem gelungen ist. Harding ist ein Meisterwerk gelungen.
Georgina Harding hat sich in Großbritannien mit zwei literarischen Sachbüchern über Indien und Rumänien einen Namen als Reiseschriftstellerin gemacht. Reisen zu machen, scheint Georgina Hardings Obsession zu sein, - so fuhr sie zum Beispiel einmal mit dem Fahrrad von London nach Istanbul; einen exotischen Schauplatz hat sich Georgina Harding nun auch für ihren Debütroman "Die Einsamkeit des Thomas Cave" ausgesucht: Grönland.

Thomas Cave, der Held des Romans, ist ein einfacher Seemann, ein Matrose, nichtsdestotrotz ein sensibler Mensch, er kann ein bisschen Geige spielen, er hat die Welt gesehen, Amerika und die Sklavenküste Afrikas. Im Jahr 1616 gehört er zur Mannschaft eines Walfänger-Schiffes, das vor Grönland auf Wal-Jagd geht.

Am Ende dieser Fahrt schließt nun Thomas Cave eine hoch dotierte Wette mit seinen Schiffskameraden ab: er wettet, dass er es schafft, einen Winter allein im Eis Grönlands zu überleben, was vor ihm noch keinem gelungen ist, -und so lässt er sich wie ein freiwilliger Robinson Crusoe aussetzen. Dieser Kern der Story beruht auf einer historischen Begebenheit.

Die englische Tageszeitung "Daily Telegraph" nannte den Roman zu Recht "ein Meisterwerk der Stimmungs- und Landschaftsbeschreibung", - die wahre Einsamkeit allerdings, die dieser Roman grandios beschreibt, ist die innere Einsamkeit des Thomas Cave, denn bevor er sich als Walfänger verdingt hat, hatte er sich in ein Mädchen, Joanne, verliebt, sie geheiratet, bis sie zusammen mit ihrem Kind bei der Geburt starb. Das also ist der eigentliche Grund für Caves selbst gewählte äußere Einsamkeit, eine Form der Trauerarbeit.

Georgina Harding stellt grundsätzliche Fragen, Fragen nach dem Wert des Lebens oder nach dem Wert der Schöpfung, die Menschen mutwillig zerstören. Da wird gleich am Anfang eine Szene beschrieben, wie ein Matrose ein Robbenbaby bei lebendigem Leibe häutet und es aus Spaß wieder ins Wasser wirft. Das tippt die Autorin zwar nur an, das Bild hingegen wird man nie wieder los.

Eigentlich aber geht es in diesem Roman schlicht um die Schönheit des Lebens, die wir oft nicht wahrnehmen, und gerade jener Kontrast zwischen der Eiswüste der Arktis und dem, was für uns alltäglich ist, das ist es, was so berührt: "Der Gedanke an etwas Grünes ist fast schmerzlich, in einen Apfel zu beißen, die Frische von Milch und Butter und jungem Käse, weißes Essen, weich und duftend wie eine Frau."

"Die Einsamkeit des Thomas Cave" ist ein höchst spannender Roman. Im Zentrum steht natürlich einmal der schiere Überlebenskampf des Thomas Cave im Eis, minutiös und nüchtern festgehalten in dessen Tagebuch, dann aber auch immer wieder unterbrochen von teils surrealen Visionen, in denen Caves Leben Revue passiert. Eine Rahmenhandlung, die die ganze Geschichte neutral aus der Sicht eines Schiffskameraden von Cave erzählt, macht die Story übersichtlich und klar, - und das ist es, was diesen Roman u.a. auch auszeichnet, die Klarheit der Komposition.

Georgina Harding zieht zwar alle literarischen Register, aber sie tut das bewusst sparsam, da ist kein Wort zuviel, keins zu wenig. "Die Einsamkeit des Thomas Cave" wirkt nicht wie ein Debütroman, sondern eher wie ein spätes Meisterwerk, in das viel Erfahrung eingeflossen ist, - besser als "Moby Dick".

Rezensiert von Lutz Bunk

Georgina Harding: "Die Einsamkeit des Thomas Cave".
Übersetzt von Beatrice Howeg.
Bloomsbury Berlin Verlag 2007, 256 Seiten, 18.00 €.