Robert Rauschenberg

Er agierte in der Lücke zwischen Kunst und Leben

"Monogram", die Angora-Ziege von Robert Rauschenberg, ist in der Londoner Tate Modern zu sehen.
"Monogram", die Angora-Ziege von Robert Rauschenberg, ist in der Londoner Tate Modern zu sehen. © Foto: Friedbert Meurer
Von Friedbert Meurer · 29.11.2016
Das Londoner Kunstmuseum Tate Modern zeigt eine Retrospektive mit Werken des Amerikaners Robert Rauschenberg. Seine Technik des "Combine" war revolutionär: Er montierte Alltagsgegenstände wie Blecheimer oder Ventilatoren in seine Gemälde hinein.
Eine Angora-Ziege steht auf einem liegenden Ölgemälde. Es ist eine ausgestopfte Ziege mit langhaarigem Fell, die Robert Rauschenberg irgendwo auf einem Flohmarkt aufgetrieben hatte. Sie trägt um den Bauch herum einen alten Autoreifen, wie einen Schwimmreifen. Die Ziege wird vermutlich einer der Publikumsmagneten werden und hat den Titel "Monogram". Ziege und Reifen umschlingen sich ähnlich wie zwei Buchstaben eines aufgestickten Monogramms.
Achim Borchardt-Hume ist Ausstellungsdirektor der Tate Modern:
"'Monogram' ist eine fantastische Sache. Es gibt unglaubliche Leihgaben. 'Monogram' ist eine davon, die berühmte Angora-Ziege, die auf einem Gemälde steht. 'Charlene' ist ein Höhepunkt der Ausstellung im zweiten Raum. Aus dem Stedelijk, auch so gut wie nie geliehen, im ersten Raum, man hat den Automobildruck und die ausradierte Zeichnung von de Kooning."
1953 kaufte Rauschenberg eine Zeichnung des US-Expressionisten Willem de Kooning und radierte mit dessen Einverständnis bis auf winzigste Spuren alles weg, so dass die Leinwände völlig weiß wirken. Schnell wurde Rauschenberg so zum Enfant terrible seiner Zeit. Bei "Charlene" aus dem Jahr 1954 ist eine leuchtende Glühbirne mit einmontiert, außerdem Zeitungen, Comics, ein Regenschirm und ein Spiegel.

"Time" lehnte seinen Cover-Entwurf ab

Rauschenberg wurde 1925 in Texas in ärmlichen Verhältnissen geboren, in einem Ort mit fundamentalen Christen, aus dem auch Janis Joplin, die Rocksängerin, stammte, worauf Rauschenberg stolz war. Und die er später auch auf einem seiner berühmten Pop Art-Gemälde festhielt – neben den Kennedys oder Martin Luther King. Das Time Magazine hatte 1970 das Bild "Signs" (Zeichen) als Cover bestellt – und schließlich abgelehnt. Rauschenberg wurde von der Nasa zum Start der Apollo 11 eingeladen. Die Mondlandung und der Vietnamkrieg sind auch Zeichen eines Jahrzehnts, von dem Rauschenberg am Ende enttäuscht war.
Aber das war nur eine von vielen Phasen. Rauschenberg erfand sich immer wieder neu, wechselte die Techniken. Berühmt wurde er damit, Alltagsgegenstände in seine Gemälde zu integrieren, eine Socke, Kopfkissen und -decke, zwei Ventilatoren, einen Blecheimer, einen Hund aus Porzellan.
"Als das zum ersten Mal gezeigt wurde in einer Galerie in New York, haben sich die Leute derartig darüber aufgeregt, dass man das Gästebuch entfernen musste. Ich denke, eine der großen Neuerungen bei Rauschenberg ist wirklich dieses Gefühl, dass alles Wert hat, dass Kunst, die sich mit dem Leben verbindet, Wert hat. Dass Kunst nicht versuchen muss, über die Welt hinauszukommen oder über die persönliche Erfahrung, aber dennoch natürlich komplett ihren eigenen Bereich schafft."
"Die Kunst und das Leben – ich versuche, in der Lücke dazwischen zu agieren", ist ein Zitat Robert Rauschenbergs. Selbst heute noch wirken die Gemälde und Installationen häufig innovativ – ob mit Schlamm gemalt oder ein Bassin gefüllt mit heißem, blubberndem Lehm. Andy Warhol animierte Rauschenberg, Fotos und Siebvordrucke zu nutzen. Umgekehrt animierte der ihn dazu, Coca-Cola-Flaschen oder Bohnendosen zu malen.

Zahllose Affären mit Männern

Rauschenberg war immer auf der Suche nach neuen Begegnungen, gab Millionen Dollars für Projekte anderer Künstler aus, war mit den Schauspielern Gregory Peck oder Meryl Streep befreundet. Er trennte sich von seiner Frau sofort nach der Geburt des Sohns, um danach zahllose Affären mit Männern – Künstlern und Musikern – zu haben. Für Achim Borchardt-Hume von der Tate Modern eine faszinierende Figur:
"Dass es ein Künstler ist, der keine Angst gehabt hat. Dass es ein Künstler ist, der immer wieder sich selbst herausgefordert hat, Experimente gemacht hat, sich erneuert hat und nicht von der Angst zurückgehalten worden ist, was die anderen denken würden und ob es genauso erfolgreich wäre wie das Kapitel davor. Ich denke, das ist eine unglaubliche Lektion an uns alle."
Der Sohn Christopher stellte in einem Interview ein kleines Gedankenexperiment an: Wenn sein 2008 verstorbener Vater Robert die Ausstellung in der Tate jetzt selbst besuchen könnte, dann würde er den Direktor links liegen lassen und auf die Klofrau zugehen. Sie würde ihm nämlich Spannenderes berichten können als der Museumschef.
Informationen des Museums Tate Modern in London über die Ausstellung "Robert Rauschenberg" (1. Dezember 2016 bis 2. April 2017)
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