Robert Moor: „Wo wir gehen"

Wandernd die Welt erkennen

05:12 Minuten
Das Buchcover "Wo wir gehen" von Robert Moor ist vor einem grafischen Hintergrund zu sehen.
Neugierig nutzt Robert Moor in "Wo wir gehen" jeden gedanklichen Pfad. © Insel Verlag / Deutschlandradio
Von Günther Wessel · 25.11.2020
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Robert Moor wandert leidenschaftlich gern. Der über 3000 Kilometer lange Appalachian Trail gab dem US-Autor den Anstoß für „Wo wir gehen“: Ein großes Buch über die Suche nach Wegen und über die Antworten, die man unterwegs findet.
Fünf Monate wanderte Robert Moor durch tiefe Wälder – und hatte dabei viel Zeit mit sich selbst und zum Nachdenken: Warum folgte er dem Weg? Warum tun wir Menschen das? Wie und wann entstehen Pfade und Wege, wie ändern sie sich, was passiert mit uns, während wir ihnen folgen? Und warum wollen wir sie manchmal unbedingt ändern?

Weit in die Erdgeschichte zurück

Der US-Amerikaner sucht in einem halben Dutzend essayistischen Reportagen Antworten und geht dabei weit in die Erdgeschichte zurück. Die ältesten versteinerten Bewegungsspuren der Erde sind 565 Millionen Jahre alt und wurden 2008 entdeckt. Winzige Spuren vom Ediacara-Biota, einer frühen Form tierischen Lebens, den ersten Lebewesen, die sich auf der Erde bewegten.
Woher stammte deren Bewegungsdrang? Nicht, wie der Autor zunächst vermutet, auf der Suche nach Nahrung oder der Flucht vor Gefahr. Vermutlich waren die am Meeresboden andockenden Wesen nur von einer Strömung losgerissen worden und wollten – einfach zurück nach Hause.

Ameisen und Elefanten auf der Spur

Pfade oder Wege kann man diese zufälligen Bewegungsspuren nicht nennen – anders als beispielsweise Ameisenstraßen. Ameisen versprühen sogenannte Spurpheromone, um ihren Artgenossen den Weg zu einer Nahrungsmittelquelle zu zeigen. Die folgenden Tiere versprühen ebenfalls Pheromone – und so entsteht sukzessive eine Ameisenstraße. Die auch ins Verderben führen kann, denn Wissenschaftler haben Ameisenstraßen beobachtet, die Kreise beschrieben – die Tiere verhungerten auf der Suche nach vermeintlicher Nahrung.
Der Journalist beschreibt sehr lebendig seine Routen und Gedanken: Auf den Spuren von Elefanten und mit ungehorsamen Schafen, die er hütet, auf alten Indianerwegen, denen vor allem im Osten der USA das Straßennetz heute noch folgt, oder auf Highways – und durch die Wissenschaft, Philosophie und Literatur.

Essayistische Abschweifungen

Neugierig nutzt Robert Moor jeden gedanklichen Pfad, um essayistisch abzuschweifen, findet aber immer wieder auf seinen Hauptweg zurück.
Er trifft Mitwanderer und Jäger, zitiert Schriftsteller und Philosophen. Er beschäftigt sich mit Fragen von Wissenschafts- und Erkenntnistheorie, alten Sagen und Mythen, Naturwahrnehmung und -veränderung durch den Menschen, dem Gefühl des Ausgeliefertseins in der Wildnis und damit, dass wir unberührte Natur meist nur aus zivilisatorischem Abstand schätzen – und nicht zuletzt mit dem Wegenetz von Informationen, das das Internet bereithält.
Zwischendrin verweist er immer wieder auf Naturwissenschaften und streut Anekdoten ein, ohne sich im Dickicht von Theorien und Erlebnissen zu verlieren. So gelingt Moor ein großes Buch über Pfade und Wege - und über die Weisheit, sich eigene zu suchen.

Robert Moor: "Wo wir gehen. Unsere Wege durch die Welt"
Aus dem amerikanischen Englisch von Frank Sievers
Insel Verlag, Berlin 2020
416 Seiten, 24 Euro

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