Robert Menasse über den 9. November

Demokratie muss verteidigt werden

Auf dem Platz vor dem Brandenburger Tor in Berlin hält Friedrich Ebert am 9. November 1918 eine Ansprache.
Auf dem Platz vor dem Brandenburger Tor in Berlin hält Friedrich Ebert (M) am 9. November 1918 eine Ansprache. An diesem Tag stürzte das deutsche Volk das letzte Kaiserreich, der SPD-Politiker wurde Reichskanzler und später der erste Reichspräsident. © picture-alliance / dpa
Moderation: Anke Schaefer · 09.11.2018
Welche Lehren ziehen wir aus den Jahrestagen des 9. November, die Deutschland Revolutionen, aber auch nationalsozialistische Gewalt brachten? Demokratien bekäme man nicht geschenkt, sagt Autor Robert Menasse, der für eine "Republik Europa" plädiert.
Wir sprechen mit dem österreichischen Autor Robert Menasse über die Jahrestage 1918 (Philipp Scheidemann ruft die Republik aus), 1938 (Pogromnacht in Deutschland gegen jüdische Bürger) und 1989 (Mauerfall). Was lässt sich daraus lernen?
Es nütze nichts, im Rahmen eines Gedenktages an Ereignisse zu erinnern, wenn man sich nicht auch vor Augen halte, wie es dazu gekommen sei, sagt Menasse.

Das Gift tröpfelte langsam

Man höre oft die Meinung, die Weimarer Republik – dieses Produkt "einer Revolution im schönsten Sinne des Begriffs" - sei gescheitert. Doch das sei nicht richtig:
"Die erste deutsche Republik ist nicht gescheitert, sie wurde kaputt gemacht." Man müsse sich genau anschauen, wer sie kaputt gemacht habe. Die Zerstörung habe sich in kleinen Schritten vollzogen. "Immer wenn ein kleiner Schritt akzeptiert war und ein bisschen Gift getröpfelt ist in die Seele der Deutschen, dann ist der nächste Schritt gefolgt. Man darf nicht glauben, dass es plötzlich da gewesen ist."
"Erinnern. Gedenken. Mitgehen." steht auf dem Plakat eines Schweigemarsches zum 80. Jahrestag der Novemberpogrome von 1938. Dahinter laufen zahlreiche Menschen.
Mit einem Schweigemarsch haben am 8.11.2018 zahlreiche Menschen an die Novemberpogrome von 1938 erinnert.© dpa/Christoph Soeder
Deshalb müsse man heute die Nationalisten, die Rechtspopulisten immer wieder darauf hinweisen: "Was ihr tut, ist ein Spiel mit der kriminellsten Phase der deutschen und der europäischen Geschichte."

Schon Victor Hugo träumte von einem vereinten Europa

Menasse sagt weiter: Europa und die Europäische Union seien leider keine Garantie für eine stabile Demokratie. "Wir erleben gerade multiple Krisen – und die kann man nicht wegreden. Und wenn wir darauf keine Antwort finden und keine Perspektive anbieten, wie wir das Projekt vernünftig weiterentwickeln wollen, dann gibt es keine Garantie, dass uns dieses Europa schützt."
Der Autor ist Anhänger der Idee von einer "Republik Europa", in der Nationalstaaten hinter einem großen Ganzen zurücktreten. Schon der französische Autor und kluge Denker Victor Hugo habe sich Mitte des 19. Jahrhunderts mit einer solchen Idee – einer "Bruderschaft europäischer Länder" – beschäftigt. Er sei dafür "ausgelacht und gemobbt" worden.

Nationaler Egoismus schürt Krisen

Ein gutes Beispiel für den nach wie vor sehr lebendigen Egoismus einzelner Staaten in Europa sei der Umgang mit Geflüchteten: Länder wie Italien seien mit der schwierigen Situation von Ländern wie Deutschland komplett alleine gelassen worden. Deutschland habe sich auf die Dublin-Vereinbarung berufen, wonach Geflüchtete in dem EU-Land registriert und untergebracht werden müssen, das sie zuerst betreten – und das sei nichts anderes als "nationaler Egoismus."
Robert Menasse hält eine Zigarette in der Hand und schaut in die Kamera.
Der Autor Robert Menasse© dpa / picture alliance / Arne Dedert

Der österreichische Autor Robert Menasse, 1954 geboren in Wien, studierte in Wien, Salzburg und Messina Germanistik, Philosophie und Politikwissenschaft. Menasse, bekennender Europäer und Anhänger der Idee von einer "Europäischen Republik", wurde 2017 für seinen Roman "Die Hauptstadt" mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet.

Doch sei nationaler Egoismus denkbar schlecht geeignet, um Probleme wie unkontrollierte Finanzströme, den Klimawandel oder den Zustrom von Flüchtlingen zu lösen. "Diese Probleme sind nämlich transnational" – und machten nicht vor Landesgrenzen Halt.
(mkn)

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