Robert Longos Freud-Zyklus
Am 4. Juni 1938 kehrt Sigmund Freud, bedroht und bedrängt von den Nationalsozialisten, seiner Wohnung in Wien für immer den Rücken. Wenige Tage vor der Flucht erhält jedoch der Fotograf Edmund Engelman von Freud die Erlaubnis, die Einrichtung dieser Wohnung zu dokumentieren.
Nur wenige Stunden bleiben, ehe die Möbel verpackt und nach London geschickt werden. Engelman fotografiert sämtliche Räume, vor allem aber Sigmund und Anna Freunds Praxisräume und Studienzimmer – eine heimliche Aktion, deren stille Dramatik sich noch heute in den Aufnahmen widerspiegelt. Blitzlicht kann Engelman nicht verwenden, da die Gestapo, die das Haus umstellt hat, sonst etwas bemerken würde. Die Bilder zeigen menschenleere, aber noch vollständig eingerichteten Zimmer, in denen sich das Leben, das hier stattgefunden hat, wie geisterhaft zu erhalten scheint. Es sind Gedenkbilder, buchstäblich aus dem Leben gegriffen, alle ein wenig unterbelichtet, als lägen tiefe Schatten über der Wohnung - was angesichts der Situation natürlich einen besonderen Symbolwert erhält.
Erst spät sind diese denkwürdigen Fotografien aus der Berggasse 19 überhaupt bekannt geworden. Mitte der 90er Jahre wurden sie in Buchform veröffentlicht, und auf diesem Weg fielen sie auch dem amerikanischen Bildhauer, Maler und Objektkünstler Robert Longo in die Hände, der in ihnen sofort ein ungewöhnliches Material für eine eigene Bilderserie erkannte. Schon früh, in den 80er Jahren, avancierte der 1953 geborene Longo zum Shooting Star der amerikanischen Kunstszene, indem er Motive aus Fernsehen und Werbung zu aggressiven gemalten Bildserien zusammensetzte, die die Übersättigung des modernen Geschichtsbewusstseins mit rasend rotierenden Bilderwelten thematisieren.
Von den Schwarzweiß-Aufnahmen Engelmans aus der Freud-Wohnung fertigte Robert Longo Kopien an, jedoch nicht als Fotografien, sondern als große, überaus realistische Kohlezeichnungen. Ihr markanter Unterschied zum Original besteht darin, dass sie im Format beträchtlich größer sind und dadurch um ein Vielfaches monumentaler wirken. Vor allem aber verändert Longo behutsam einige Details. Die Kohle lässt die Umrisse der Einrichtungsgegenstände noch dunkler wirken, ganze Teile der Zimmer versinken in dem charakteristisch samtigen Schwarz, das die Kohle erzeugt, so dass nun erst recht ein Schattenreich zu entstehen scheint, gespenstisch fast und entrückt. Eines der berühmtesten Fotos zeigt Freuds eigenartig biomorph geformten Schreibtischstuhl von hinten. Bei Longos Übertragung in Kohle verschwindet dabei der gesamte Hintergrund in Schwarz, nur Stuhl und Schreibtisch sind zu sehen, der Schreibtisch wiederum ist, im Gegensatz zu Engelmans Aufnahme, nun völlig leer, was der ganzen Szenerie etwas düster Verlassenes, den Möbel selbst aber zugleich auch etwas Lebendiges, gibt, als wären sie Wesen, stumme Zeugen eines Ereignisses, für das es keine Sprache mehr gibt.
Werner Spies, der bekannte deutsche Kunsthistoriker, bezeichnet Longos Zeichnungen als einen herausragenden Geschichtszyklus des 20. Jahrhunderts, vergleichbar etwa mit Gerhard Richters RAF-Zyklus, der ja auch Originale dokumentarischer Fotografie in Malerei überträgt. Da die Original-Kohlezeichnungen Longos nur schwach fixiert und daher zu empfindlich sind, um transportiert zu werden, hat Longo für Ausstellungen des Zyklus einige hochqualitative Drucke anfertigen lassen, die zwar etwas kleiner im Format sind, aber dennoch einen großartigen Eindruck von der düster-melancholischen Stimmung dieser Bilder vermitteln
Die Rostocker Kunsthalle, hart gebeutelt von Budgetproblemen, kämpft seit einiger Zeit um ihr Überleben. Sie tut dies mit einer Qualitätsinitiative, indem sie immer wieder überaus sehenswerte Ausstellungen organisiert, die wenig kosten aber dennoch mehr beeindrucken als viele der großen Spektakel. Die Schau mit Robert Longos Freud-Zyklus ist dafür nur ein Beispiel, aber ein großartiges. Nicht zu vergessen: Auch und gerade Robert Longos Bilder sind auch so etwas wie Mahnmale, und Rostock-Lichtenhagen mit seiner traurigen ausländerfeindlichen Berühmtheit ist nicht weit.
Erst spät sind diese denkwürdigen Fotografien aus der Berggasse 19 überhaupt bekannt geworden. Mitte der 90er Jahre wurden sie in Buchform veröffentlicht, und auf diesem Weg fielen sie auch dem amerikanischen Bildhauer, Maler und Objektkünstler Robert Longo in die Hände, der in ihnen sofort ein ungewöhnliches Material für eine eigene Bilderserie erkannte. Schon früh, in den 80er Jahren, avancierte der 1953 geborene Longo zum Shooting Star der amerikanischen Kunstszene, indem er Motive aus Fernsehen und Werbung zu aggressiven gemalten Bildserien zusammensetzte, die die Übersättigung des modernen Geschichtsbewusstseins mit rasend rotierenden Bilderwelten thematisieren.
Von den Schwarzweiß-Aufnahmen Engelmans aus der Freud-Wohnung fertigte Robert Longo Kopien an, jedoch nicht als Fotografien, sondern als große, überaus realistische Kohlezeichnungen. Ihr markanter Unterschied zum Original besteht darin, dass sie im Format beträchtlich größer sind und dadurch um ein Vielfaches monumentaler wirken. Vor allem aber verändert Longo behutsam einige Details. Die Kohle lässt die Umrisse der Einrichtungsgegenstände noch dunkler wirken, ganze Teile der Zimmer versinken in dem charakteristisch samtigen Schwarz, das die Kohle erzeugt, so dass nun erst recht ein Schattenreich zu entstehen scheint, gespenstisch fast und entrückt. Eines der berühmtesten Fotos zeigt Freuds eigenartig biomorph geformten Schreibtischstuhl von hinten. Bei Longos Übertragung in Kohle verschwindet dabei der gesamte Hintergrund in Schwarz, nur Stuhl und Schreibtisch sind zu sehen, der Schreibtisch wiederum ist, im Gegensatz zu Engelmans Aufnahme, nun völlig leer, was der ganzen Szenerie etwas düster Verlassenes, den Möbel selbst aber zugleich auch etwas Lebendiges, gibt, als wären sie Wesen, stumme Zeugen eines Ereignisses, für das es keine Sprache mehr gibt.
Werner Spies, der bekannte deutsche Kunsthistoriker, bezeichnet Longos Zeichnungen als einen herausragenden Geschichtszyklus des 20. Jahrhunderts, vergleichbar etwa mit Gerhard Richters RAF-Zyklus, der ja auch Originale dokumentarischer Fotografie in Malerei überträgt. Da die Original-Kohlezeichnungen Longos nur schwach fixiert und daher zu empfindlich sind, um transportiert zu werden, hat Longo für Ausstellungen des Zyklus einige hochqualitative Drucke anfertigen lassen, die zwar etwas kleiner im Format sind, aber dennoch einen großartigen Eindruck von der düster-melancholischen Stimmung dieser Bilder vermitteln
Die Rostocker Kunsthalle, hart gebeutelt von Budgetproblemen, kämpft seit einiger Zeit um ihr Überleben. Sie tut dies mit einer Qualitätsinitiative, indem sie immer wieder überaus sehenswerte Ausstellungen organisiert, die wenig kosten aber dennoch mehr beeindrucken als viele der großen Spektakel. Die Schau mit Robert Longos Freud-Zyklus ist dafür nur ein Beispiel, aber ein großartiges. Nicht zu vergessen: Auch und gerade Robert Longos Bilder sind auch so etwas wie Mahnmale, und Rostock-Lichtenhagen mit seiner traurigen ausländerfeindlichen Berühmtheit ist nicht weit.