Robert H. Lustig: "Brainwashed"

Wie die Industrie Vergnügen als Glück verkauft

Cover von Robert H. Lustig "Brainwashed", im Hintergrund sind bunte Süßigkeiten zu sehen
Machen Süßigkeiten glücklich? Gegen die Versprechen der Ernährungstheorie schreibt der Hormonspezialist Robert H. Lustig in seinem Buch an. © riva / imago/Chromorange / Collage: DLF Kultur
Von Michael Lange · 27.07.2018
Die Industrie manipuliert unser Glücksempfinden, schreibt US-Hormonspezialist Robert H. Lustig in "Brainwashed". Als Gegenmittel empfiehlt er etwa mehr Schlaf und Sport sowie Kochen. Manchmal klingen seine Argumente jedoch ein wenig nach düsterer Verschwörungstheorie.
Menschen streben nach Glück. Und weil das so schwer zu erreichen ist, geben wir uns mit dessen kleinem Bruder, dem Vergnügen, zufrieden. Industrie und Werbung haben das längst erkannt und nutzen ihr Wissen schamlos aus. Sie haben uns einer Gehirnwäsche unterzogen, schreibt Robert H. Lustig in seinem neuen Buch "Brainwashed".
Unterhaltsam und kenntnisreich seziert der Hormonspezialist persönliches Verhalten und gesellschaftliche Prozesse. Das beginnt mit der Sprache. Ständig ist vom Glücklichsein oder von Freude die Rede, wenn doch nur Vergnügen gemeint ist. Dabei handelt es sich, wie er ausgiebig darstellt, bei Glück und Vergnügen um zwei völlig verschiedene physiologische Vorgänge. Der Vergnügungsstoff Dopamin belohnt uns schnell und unkompliziert mit einem guten Gefühl, so dass wir immer mehr davon wollen: mehr Einkommen, mehr ungesundes Essen, neue Kleidung, mehr Glücksspiel, mehr Alkohol und so weiter. Was bleibt, ist Sucht, Stress, Übergewicht und Depression.

Dopamin statt Serotonin

Auch für das dauerhafte, "wirkliche" Glück kennt Robert H. Lustig das passende Hormon: das Serotonin. Statt schneller Belohnung bietet dieser Botenstoff eine ausgeklügelte Balance. Sie lässt sich nicht kurzfristig und auf einfachem Wege erreichen, doch genau das gaukelt uns die Werbung ständig vor. Sie verspricht Glück und bietet kurzfristiges Vergnügen. Dopamin statt Serotonin. Längst hat dieser Irrglaube in der westlichen Welt zu festverankerten Verhaltensweisen geführt, die kaum noch hinterfragt werden, beklagt Lustig.
Wie schon in seinem ersten Buch "Die bittere Wahrheit über Zucker" schreibt er auch diesmal engagiert gegen die mächtige Nahrungsmittelindustrie an. Er erklärt, warum das "Happy Meal" von McDonalds nicht fröhlich macht und weiß, wie Coca Cola mit Zucker und Koffein unseren Dopamin-Haushalt beherrscht. Komplizierte Zusammenhänge von Lebensstil, Ernährung und persönlichem Wohlbefinden reduziert er aber oft auf einfache Schlagwörter.

Kochen für mehr Glück

Obwohl er gute Argumente hat und viele Fakten liefert, erinnert sein Bild einer von bösen Mächten bestimmten Welt gelegentlich an die düstere Verschwörungstheorie. Die besagt: Die Ernährungsindustrie strebt nach immer mehr Geld und erzeugt dabei eine depressive, drogenumnebelte, übergewichtige Bevölkerung. Da wird es Zeit, dass wir uns wehren.
Seine Empfehlungen für einen Ausbruch aus dem Teufelskreis klingen da fast schon banal: mehr Schlaf, mehr Sport, mehr Achtsamkeit. Wenn wir den dunklen Mächten entgehen wollen, sollten wir weniger Medien konsumieren und häufiger selbst kochen – für die Familie oder Freunde. So können wir dem Dopaminrausch entgehen und dauerhaft den Serotoninspiegel heben. Mit dem Ergebnis: Selbstwertgefühl, Nächstenliebe, Menschenliebe, Glück. Aber ist das wirklich so einfach?

Dr. Robert H. Lustig: Brainwashed. Wie die Lebensmittelindustrie unser Glücksempfinden verändert, mit Werbung unsere Bedürfnisse manipuliert – und wie wir uns dagegen wehren können
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Birgit Schöbitz
Riva Verlag, München 2018
368 Seiten, 19,99 Euro

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