Rituale in Nigeria und an der Wall Street
Die diesjährige Biennale rückt die globalisierte Wirklichkeit in den Mittelpunkt. Mit den verschiedenen Arbeiten will die künstlerische Leiterin den "genießenden westlichen Blick" stören.
"Mein Name ist Marianne Klotz, ich bin im Spreewald geboren, habe in Leipzig Ökonomie studiert und Pädagogik in Berlin, habe hauptsächlich an Berufsschulen das Fach Politische Ökonomie unterrichtet …"
Per Zeitungsanzeige hat Phil Collins ehemalige Lehrer und Professoren gesucht, die in der DDR marxistisch-leninistische Inhalte unterrichtet haben, um sie zu interviewen. Viele von ihnen erlebten die Wende als Identitätskrise. Vor der Kamera sprechen sie offen über ihre Versuche, mehr schlecht als recht im kapitalistischen System Fuß zu fassen, das sie ablehnen.
Der schottische Videokünstler Phil Collins, übrigens nicht zu verwechseln mit dem britischen Rockmusiker, lässt die Schicksale zu schmucklosen Erzählungen gerinnen, die das Publikum zwischen Belustigung und Mitleid schwanken lassen. Eine deutsche Nachwenderealität, die man wiederkennt, die aber erst durch die Bilder seltsam fühlbar wird.
Ähnlich in der Videoinstallation des Amerikaners Mark Boulos, die zwei Orte auf gegenüberliegenden Leinwänden zusammenrückt, die Tausende Kilometer auseinander liegen. Die Bewohner des Nigerdeltas führen Ritualtänze auf, um sich für den Kampf gegen die amerikanischen Ausbeuter zu rüsten, die dem Land das Öl wegnehmen, wie sie sagen. Auf der anderen Seite die Schreie der Börsenmakler an der Wall Street, die die Ölaktien handeln. Ein Krieg der ungleichen Waffen, aber ohne wirklichen Sieger.
"Was für mich in der Ausstellung auch wichtig war, war den genießenden westlichen Blick zu stören, es gibt viele Arbeiten in der Ausstellung, die einen verstört, aber auch mitunter bereichert und verzaubert zurücklassen, die den Besucher der Berlin Biennale anders aus der Ausstellung kommen lassen, als sie hineingegangen sind","
sagt Kathrin Rhomberg, die künstlerische Leiterin dieser Berlin Biennale. Doch derart betäubend-beeindruckende Metaphern, wie von Mark Boulos für die Welt der Gegenwart, gelingen dieser Ausstellung insgesamt selten.
Dabei ist Rhombergs Grundkonzept eigentlich plausibel durchdacht, und eine zentrale Rolle darin spielt - zum Erstaunen nicht weniger Kritiker im Vorfeld - kein Gegenwartskünstler, sondern ein Alter Meister: Adolph Menzel, der vor 105 Jahren gestorbene Hauptvertreter des Berliner Realismus. Der berühmte Kunsthistoriker Michael Fried hat Menzels Zeichnungen in der Alten Nationalgalerie für Rhombergs Berlin Biennale reinterpretiert:
""Dieses große Meisterwerk, eine frühe Zeichnung eines ungemachten Bettes, ein erstaunliches Bild, jenseits all dessen, was zu dieser Zeit entstanden ist: Wir haben es hier zu seinen Selbstporträts gehängt, denn es liegt nahe, dass das Bild Menzels eigenes Bett zeigt, und so kraus, wie die Decken und Kissen liegen, zeugt es zugleich vom Gefühl des Körpers, der eben noch darin gelegen hat.
Menzel ist ein Künstler des körperlichen Empfindens, der Einfühlung. Seine Bilder, seine Kunst kommen aus seinem Körpergefühl heraus, seiner Körperreaktion auf die umgebende Welt, und dieses Gefühl projizierte er auf seine Bilder zurück. Um sie richtig zu verstehen, müssen wir unsere eigene physische Lebendigkeit einbringen. Menzel war ein Realist der physischen Welt als lebendiges Wesen."
So wie Menzel für seine Zeit die geschichtlichen Ereignisse mit seiner betont körperaffinen Malerei gedeutet hat, so lautet nun Kathrin Rhombergs These, so können das die Künstler dieser Biennale mit ihren heutigen Mitteln auch. Eigens hat sie dafür den Schwerpunkt der Ausstellung aus Berlins politisch aufgeladener Mitte nach Kreuzberg verlegt, in den alten Westen, wo die Gesellschaft der Zukunft lebt, wie sie sagt, soll heißen: die Migranten.
Rhomberg will die Berlin Biennale, die bislang als künstlerisches Aushängeschild der "jungen Berliner Republik" galt, vom starren Blick auf die Folgen der Wiedervereinigung in der Stadt befreien – sie öffnen für die globale Wirklichkeit, die sich nicht mehr so leicht und schlüssig zusammenfassen lässt, wie noch zu Menzels, keineswegs ruhigeren, Zeiten.
Doch der Parcours dieser Biennale ergeht sich zu oft im Gutgemeinten, in der Botschaft, zu selten ist er in seiner beabsichtigten Lückenhaftigkeit wirklich das, was er eigentlich sein sollte: berührend. Rhombergs strenges Konzept, so scheint es, hat sich der abgenutzten Realität der Alltagsbilder am Ende ein wenig zu sehr angeglichen.
Per Zeitungsanzeige hat Phil Collins ehemalige Lehrer und Professoren gesucht, die in der DDR marxistisch-leninistische Inhalte unterrichtet haben, um sie zu interviewen. Viele von ihnen erlebten die Wende als Identitätskrise. Vor der Kamera sprechen sie offen über ihre Versuche, mehr schlecht als recht im kapitalistischen System Fuß zu fassen, das sie ablehnen.
Der schottische Videokünstler Phil Collins, übrigens nicht zu verwechseln mit dem britischen Rockmusiker, lässt die Schicksale zu schmucklosen Erzählungen gerinnen, die das Publikum zwischen Belustigung und Mitleid schwanken lassen. Eine deutsche Nachwenderealität, die man wiederkennt, die aber erst durch die Bilder seltsam fühlbar wird.
Ähnlich in der Videoinstallation des Amerikaners Mark Boulos, die zwei Orte auf gegenüberliegenden Leinwänden zusammenrückt, die Tausende Kilometer auseinander liegen. Die Bewohner des Nigerdeltas führen Ritualtänze auf, um sich für den Kampf gegen die amerikanischen Ausbeuter zu rüsten, die dem Land das Öl wegnehmen, wie sie sagen. Auf der anderen Seite die Schreie der Börsenmakler an der Wall Street, die die Ölaktien handeln. Ein Krieg der ungleichen Waffen, aber ohne wirklichen Sieger.
"Was für mich in der Ausstellung auch wichtig war, war den genießenden westlichen Blick zu stören, es gibt viele Arbeiten in der Ausstellung, die einen verstört, aber auch mitunter bereichert und verzaubert zurücklassen, die den Besucher der Berlin Biennale anders aus der Ausstellung kommen lassen, als sie hineingegangen sind","
sagt Kathrin Rhomberg, die künstlerische Leiterin dieser Berlin Biennale. Doch derart betäubend-beeindruckende Metaphern, wie von Mark Boulos für die Welt der Gegenwart, gelingen dieser Ausstellung insgesamt selten.
Dabei ist Rhombergs Grundkonzept eigentlich plausibel durchdacht, und eine zentrale Rolle darin spielt - zum Erstaunen nicht weniger Kritiker im Vorfeld - kein Gegenwartskünstler, sondern ein Alter Meister: Adolph Menzel, der vor 105 Jahren gestorbene Hauptvertreter des Berliner Realismus. Der berühmte Kunsthistoriker Michael Fried hat Menzels Zeichnungen in der Alten Nationalgalerie für Rhombergs Berlin Biennale reinterpretiert:
""Dieses große Meisterwerk, eine frühe Zeichnung eines ungemachten Bettes, ein erstaunliches Bild, jenseits all dessen, was zu dieser Zeit entstanden ist: Wir haben es hier zu seinen Selbstporträts gehängt, denn es liegt nahe, dass das Bild Menzels eigenes Bett zeigt, und so kraus, wie die Decken und Kissen liegen, zeugt es zugleich vom Gefühl des Körpers, der eben noch darin gelegen hat.
Menzel ist ein Künstler des körperlichen Empfindens, der Einfühlung. Seine Bilder, seine Kunst kommen aus seinem Körpergefühl heraus, seiner Körperreaktion auf die umgebende Welt, und dieses Gefühl projizierte er auf seine Bilder zurück. Um sie richtig zu verstehen, müssen wir unsere eigene physische Lebendigkeit einbringen. Menzel war ein Realist der physischen Welt als lebendiges Wesen."
So wie Menzel für seine Zeit die geschichtlichen Ereignisse mit seiner betont körperaffinen Malerei gedeutet hat, so lautet nun Kathrin Rhombergs These, so können das die Künstler dieser Biennale mit ihren heutigen Mitteln auch. Eigens hat sie dafür den Schwerpunkt der Ausstellung aus Berlins politisch aufgeladener Mitte nach Kreuzberg verlegt, in den alten Westen, wo die Gesellschaft der Zukunft lebt, wie sie sagt, soll heißen: die Migranten.
Rhomberg will die Berlin Biennale, die bislang als künstlerisches Aushängeschild der "jungen Berliner Republik" galt, vom starren Blick auf die Folgen der Wiedervereinigung in der Stadt befreien – sie öffnen für die globale Wirklichkeit, die sich nicht mehr so leicht und schlüssig zusammenfassen lässt, wie noch zu Menzels, keineswegs ruhigeren, Zeiten.
Doch der Parcours dieser Biennale ergeht sich zu oft im Gutgemeinten, in der Botschaft, zu selten ist er in seiner beabsichtigten Lückenhaftigkeit wirklich das, was er eigentlich sein sollte: berührend. Rhombergs strenges Konzept, so scheint es, hat sich der abgenutzten Realität der Alltagsbilder am Ende ein wenig zu sehr angeglichen.