Ritterroman und Fantasyschwarte
Über 500 Jahre ist Joanot Martorells Ritterroman alt. In einer Leinenausgabe liegt die Übersetzung aus dem Altkatalanischen erstmals vollständig auf Deutsch vor. Der weiße Ritter Tirant soll für Gott streiten und eine Geliebte gewinnen. Raffiniert verknüpft die Geschichte historische Tatsachen mit phantastischen Erfindungen.
Joanot Martorells "Roman vom Weißen Ritter Tirant lo Blanc" ist ein herausragendes Beispiel der Gattung Ritterroman. 500 Jahre ist er alt (115 Jahre älter als der ironische "Don Quichote"), jetzt liegt er erstmals vollständig auf deutsch vor. Tirants Rettung des Oströmischen Reichs und seines Kaisers vor den moslemischen Türken ist eine spannende, facettenreiche Erzählung. Raffiniert verknüpft sie historische Tatsachen mit phantastischen Erfindungen und beschreibt gleichzeitig relativ realistisch das Leben der damaligen Zeit.
Eigentlich kommt keine Besprechung von Joanot Martorells "Roman vom Weißen Ritter" ohne den Hinweis auf Miguel de Cervantes aus. In dessen "Don Quichote" (der 1605, also 115 Jahre nach dem "Tirant", erschien) sollen gleich am Anfang all die Ritterromane verbrannt werden, die dem armen Edelmann offenbar die Sinne verwirrt haben, da fällt dem Dorfpfarrer die "Geschichte des berühmten Ritters Tirante des Weißen" in die Hand.
"Tirante der Weiße auch hier?" ruft er aus (in der Übersetzung des alten Ludwig Braunfels), "gebt ihn mir her, Gevatter, denn ich meine, ich habe in ihm einen Schatz von Vergnügen und eine Fundgrube von Zeitvertreib gefunden. Ich sag Euch in Wahrheit, Herr Gevatter, daß es in seiner Art das beste Buch der Welt ist."
Der spanische Kritiker Dámaso Alonso hat das Lob später räumlich und zeitlich ein bisschen eingeschränkt, für ihn ist es nur noch der "beste europäische Roman des 15. Jahrhunderts".
Nun liegt dieses Werk, das aus fünf Büchern und sage und schreibe 487 Kapiteln besteht, zum ersten Mal in Gänze auf Deutsch vor. 1990 schon waren die beiden ersten Bücher in einem Band erschienen, der nun, ergänzt um den größeren Rest, neu aufgelegt wurde in vornehmer, dreibändiger Leinenausgabe. Welcher Stoff uns hier vorgelegt wird, versucht der Übersetzer Fritz Vogelgsang in zwei ausführlichen Texten zu erklären, in einem Vorwort (dem aus dem Band von 1990) und einem aktualisierten Nachwort. Er tut dies mit augenscheinlich stupender Kenntnis seines Themas, allerdings in einem metapherndurchtränkten, formulierungseitlen, von Hauptwörtern wimmelnden Stil; ein "Schatz von Vergnügen" ist hier leider nicht zu finden.
Vogelgsangs Übersetzung ist – das Original gab es vor – glücklicherweise nicht so, sie ist eher knapp, manchmal beinahe nüchtern, aber trotzdem reizvoll altertümlich; besonders schön die Szene, in der "alle Tiegel glosten". Martorells Riesenepos (nach Mario Vargas Llosa ist der Autor "der erste vom Stamme der Allmachtserzähler") bietet einen spannenden, reichhaltigen, hintergründigen Stoff, der historische Tatsachen raffiniert mit phantastischen Erfindungen und übernatürlichen Erscheinungen verknüpft und gleichzeitig relativ realistisch das Leben der Zeit beschreibt.
Im Mittelpunkt steht der weiße Ritter Tirant, der, wie jeder edle Ritter, seine klare Aufgabe hat: für Gott zu streiten und die Geliebte zu gewinnen. Dabei bereist er die damals bekannte Welt, um schließlich Konstantinopel, Ostrom, doch noch vor den Türken zu bewahren. Man darf nicht vergessen: Der Roman entstand im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit. Er ist vor allem mit einem Datum verbunden – mit der Eroberung des christlichen Konstantinopel durch die moslemischen Türken 1453, eine Eroberung, die erst nach langen grausamen Versuchen gelang.
1968 hat Vargas Llosa das vergessene Buch durch ein streitbares Plädoyer wieder, wie man hört, zum Leben erweckt, es ist im Anhang abgedruckt, aber in einem Punkt ist es veraltet: der Ritterroman sei "abgeschlachtet", steht da, und das stimmt natürlich nicht mehr, jedenfalls nicht, wenn man die heutigen Fantasy-Geschichten dazurechnet; nie wurden so viele Ritterromane gelesen und gesehen wie heute. Wenn sich also die Kinder oder träumenden Erwachsenen so eine Fantasyschwarte oder ein verwandtes Computerspiel zu Weihnachten wünschen, hat man endlich eine gelungene Antwort parat: "Hier, mein Freund, lies erst mal das Original!"
Rezensiert von Peter Urban-Halle
Joanot Martorell: Der Roman vom Weißen Ritter Tirant lo Blanc.
Aus dem Altkatalanischen von Fritz Vogelgsang. Verlag S. Fischer, Frankfurt/Main 2007.
Fünf Bücher in drei Bänden in Kassette. Zus. über 1600 Seiten.
Bis 31. März 2008: 78 Euro, danach 98 Euro.
Eigentlich kommt keine Besprechung von Joanot Martorells "Roman vom Weißen Ritter" ohne den Hinweis auf Miguel de Cervantes aus. In dessen "Don Quichote" (der 1605, also 115 Jahre nach dem "Tirant", erschien) sollen gleich am Anfang all die Ritterromane verbrannt werden, die dem armen Edelmann offenbar die Sinne verwirrt haben, da fällt dem Dorfpfarrer die "Geschichte des berühmten Ritters Tirante des Weißen" in die Hand.
"Tirante der Weiße auch hier?" ruft er aus (in der Übersetzung des alten Ludwig Braunfels), "gebt ihn mir her, Gevatter, denn ich meine, ich habe in ihm einen Schatz von Vergnügen und eine Fundgrube von Zeitvertreib gefunden. Ich sag Euch in Wahrheit, Herr Gevatter, daß es in seiner Art das beste Buch der Welt ist."
Der spanische Kritiker Dámaso Alonso hat das Lob später räumlich und zeitlich ein bisschen eingeschränkt, für ihn ist es nur noch der "beste europäische Roman des 15. Jahrhunderts".
Nun liegt dieses Werk, das aus fünf Büchern und sage und schreibe 487 Kapiteln besteht, zum ersten Mal in Gänze auf Deutsch vor. 1990 schon waren die beiden ersten Bücher in einem Band erschienen, der nun, ergänzt um den größeren Rest, neu aufgelegt wurde in vornehmer, dreibändiger Leinenausgabe. Welcher Stoff uns hier vorgelegt wird, versucht der Übersetzer Fritz Vogelgsang in zwei ausführlichen Texten zu erklären, in einem Vorwort (dem aus dem Band von 1990) und einem aktualisierten Nachwort. Er tut dies mit augenscheinlich stupender Kenntnis seines Themas, allerdings in einem metapherndurchtränkten, formulierungseitlen, von Hauptwörtern wimmelnden Stil; ein "Schatz von Vergnügen" ist hier leider nicht zu finden.
Vogelgsangs Übersetzung ist – das Original gab es vor – glücklicherweise nicht so, sie ist eher knapp, manchmal beinahe nüchtern, aber trotzdem reizvoll altertümlich; besonders schön die Szene, in der "alle Tiegel glosten". Martorells Riesenepos (nach Mario Vargas Llosa ist der Autor "der erste vom Stamme der Allmachtserzähler") bietet einen spannenden, reichhaltigen, hintergründigen Stoff, der historische Tatsachen raffiniert mit phantastischen Erfindungen und übernatürlichen Erscheinungen verknüpft und gleichzeitig relativ realistisch das Leben der Zeit beschreibt.
Im Mittelpunkt steht der weiße Ritter Tirant, der, wie jeder edle Ritter, seine klare Aufgabe hat: für Gott zu streiten und die Geliebte zu gewinnen. Dabei bereist er die damals bekannte Welt, um schließlich Konstantinopel, Ostrom, doch noch vor den Türken zu bewahren. Man darf nicht vergessen: Der Roman entstand im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit. Er ist vor allem mit einem Datum verbunden – mit der Eroberung des christlichen Konstantinopel durch die moslemischen Türken 1453, eine Eroberung, die erst nach langen grausamen Versuchen gelang.
1968 hat Vargas Llosa das vergessene Buch durch ein streitbares Plädoyer wieder, wie man hört, zum Leben erweckt, es ist im Anhang abgedruckt, aber in einem Punkt ist es veraltet: der Ritterroman sei "abgeschlachtet", steht da, und das stimmt natürlich nicht mehr, jedenfalls nicht, wenn man die heutigen Fantasy-Geschichten dazurechnet; nie wurden so viele Ritterromane gelesen und gesehen wie heute. Wenn sich also die Kinder oder träumenden Erwachsenen so eine Fantasyschwarte oder ein verwandtes Computerspiel zu Weihnachten wünschen, hat man endlich eine gelungene Antwort parat: "Hier, mein Freund, lies erst mal das Original!"
Rezensiert von Peter Urban-Halle
Joanot Martorell: Der Roman vom Weißen Ritter Tirant lo Blanc.
Aus dem Altkatalanischen von Fritz Vogelgsang. Verlag S. Fischer, Frankfurt/Main 2007.
Fünf Bücher in drei Bänden in Kassette. Zus. über 1600 Seiten.
Bis 31. März 2008: 78 Euro, danach 98 Euro.