Risse im Universum
"Dunkler Gefährte" von Jim Nisbet ist ein wortgewaltiger und zudem ganz und gar philosophischer Kriminalroman. Hauptfigur ist der indisch-stämmige Akademiker Banerjhee Rolf, dem eine feindliche Übernahme seiner Firma nicht nur Job und Karriere kostet.
Es gibt ein großes Segment von Kriminalliteratur, das sich mit den Begriffen von "Unterhaltung" oder "populärer Kultur" nur sehr unvollständig beschreiben lässt. Dazu gehören die "existentialistischen" Spielarten des roman noir - von Autoren wie David Goodis, Jim Thompson oder Derek Raymond, die sich mit den berühmten "letzten Dingen" beschäftigen - mit dem Sinn des Lebens und des Todes - und in denen Menschen in Extremsituationen sich diesen Fragen stellen müssen. Mit der existentialistischen Welle der 1950er-Jahre ist diese Tradition keineswegs erloschen – sie wird im Gegenteil permanent fortgeschrieben, auch wenn ihr der aktuelle Zeitgeist im Moment nicht gerade entgegenkommt.
Zu den wichtigsten Autoren dieser Linie gehört der Amerikaner Jim Nisbet, in Frankreich ein Kult-Autor, ins Russische und andere Weltsprachen übersetzt, bei uns noch fast unbekannt. Und das ist schade. Sein gerade beim feinen Berliner Pulp Master Verlag erschienener Thriller "Dunkler Gefährte" stellt unaufdringlich, aber massiv in einer kühl erzählten Geschichte genau die Frage nach den Essentials des Lebens. In einem typischen kalifornischen Vorort freundet sich der arbeitslos, aber noch nicht ganz arm gewordene Wissenschaftler und Familienvater Banerjhee Rolf in seiner reichlichen Freizeit mit dem seltsamen Nachbarspärchen an.
Anscheinend Müßiggänger, leicht schlampig sie, dröhnend prollig er, mit viel Geld und wenig Geschmack, aber doch faszinierend vital, bauen sie eine freundschaftliche Beziehung zu dem eher langweiligen Banerjhee auf. Der will eigentlich am liebsten über kosmologische und astronomische Probleme nachdenken, die man elegant, ästhetisch befriedigend und völlig folgenlos und unverbindlich mit allen Tricks des gelernten Mathematikers berechnen kann. Aber soziale Beziehungen sind keine Rechenmodelle – und plötzlich, ganz plötzlich zeigen sich Risse im Universum von Banerjhee. Niemand ist, wer er vorgibt zu sein.
Die schräge Idylle ist brüchig, unter anderem, weil die ganze US-amerikanische Gesellschaft nach 9/11 hysterisch und bösartig geworden zu sein scheint - vor allem gegenüber jemandem, der patriotische Lippenbekenntnisse vermeidet und wegen seiner indischen Herkunft etwas dunklere Haut hat. Und dann steht der arme Banerjhee plötzlich mit blutigen Händen da, weil er jemanden umgebracht hat.
Nisbet baut eine so ausweglose Situation auf, dass der Roman gegen das große Erzählschema des "bürgerlichen Romans" anschreiben muss, demzufolge die Handlungen eines Individuums von einem freiwilligen Entschluss ausgehen. Banerjhees Schicksal resultiert aus blindem Zufall, der ihm keine wirklichen Optionen lässt und so auf ein Ende hinrast, dass einerseits überraschend, andererseits mit Witz und Sarkasmus ob seiner anscheinenden Unausweichlichkeit inszeniert ist. Nur wie diese Unausweichlichkeit sich darstellen wird, das wissen wir während der Lektüre noch nicht.
"Dunkler Gefährte" ist ein böser, schlanker, ausgekochter, extrem wortgewaltiger und zudem ganz und gar philosophischer Kriminalroman.
Besprochen von Thomas Wörtche
Jim Nisbet: Dunkler Gefährte
Roman. Dt. von Frank Nowatzki und Angelika Müller
Berlin: Pulp Master 2010, 191 Seiten, 12,80 Euro
Zu den wichtigsten Autoren dieser Linie gehört der Amerikaner Jim Nisbet, in Frankreich ein Kult-Autor, ins Russische und andere Weltsprachen übersetzt, bei uns noch fast unbekannt. Und das ist schade. Sein gerade beim feinen Berliner Pulp Master Verlag erschienener Thriller "Dunkler Gefährte" stellt unaufdringlich, aber massiv in einer kühl erzählten Geschichte genau die Frage nach den Essentials des Lebens. In einem typischen kalifornischen Vorort freundet sich der arbeitslos, aber noch nicht ganz arm gewordene Wissenschaftler und Familienvater Banerjhee Rolf in seiner reichlichen Freizeit mit dem seltsamen Nachbarspärchen an.
Anscheinend Müßiggänger, leicht schlampig sie, dröhnend prollig er, mit viel Geld und wenig Geschmack, aber doch faszinierend vital, bauen sie eine freundschaftliche Beziehung zu dem eher langweiligen Banerjhee auf. Der will eigentlich am liebsten über kosmologische und astronomische Probleme nachdenken, die man elegant, ästhetisch befriedigend und völlig folgenlos und unverbindlich mit allen Tricks des gelernten Mathematikers berechnen kann. Aber soziale Beziehungen sind keine Rechenmodelle – und plötzlich, ganz plötzlich zeigen sich Risse im Universum von Banerjhee. Niemand ist, wer er vorgibt zu sein.
Die schräge Idylle ist brüchig, unter anderem, weil die ganze US-amerikanische Gesellschaft nach 9/11 hysterisch und bösartig geworden zu sein scheint - vor allem gegenüber jemandem, der patriotische Lippenbekenntnisse vermeidet und wegen seiner indischen Herkunft etwas dunklere Haut hat. Und dann steht der arme Banerjhee plötzlich mit blutigen Händen da, weil er jemanden umgebracht hat.
Nisbet baut eine so ausweglose Situation auf, dass der Roman gegen das große Erzählschema des "bürgerlichen Romans" anschreiben muss, demzufolge die Handlungen eines Individuums von einem freiwilligen Entschluss ausgehen. Banerjhees Schicksal resultiert aus blindem Zufall, der ihm keine wirklichen Optionen lässt und so auf ein Ende hinrast, dass einerseits überraschend, andererseits mit Witz und Sarkasmus ob seiner anscheinenden Unausweichlichkeit inszeniert ist. Nur wie diese Unausweichlichkeit sich darstellen wird, das wissen wir während der Lektüre noch nicht.
"Dunkler Gefährte" ist ein böser, schlanker, ausgekochter, extrem wortgewaltiger und zudem ganz und gar philosophischer Kriminalroman.
Besprochen von Thomas Wörtche
Jim Nisbet: Dunkler Gefährte
Roman. Dt. von Frank Nowatzki und Angelika Müller
Berlin: Pulp Master 2010, 191 Seiten, 12,80 Euro