Rische: Rentenversicherungsbeiträge können über 19,9 Prozent steigen

Moderation: Birgit Kolkmann |
Nach Einschätzung des Präsidenten der Deutschen Rentenversicherung, Herbert Rische, wird eine Beitragserhöhung zur Rentenversicherung von 2007 an unvermeidbar sein. Durch geringere Einnahmen und höhere Ausgaben werde mindestens der in den Koalitionsvereinbarungen vorgesehene Beitragssatz von 19,9 Prozent notwendig sein, betonte Rische.
Kolkmann: Herr Rische, bereitet Ihnen der Kredit, das Defizit zum Jahresende manchmal schlaflose Nächte?

Rische: Natürlich bereitet mir der Kredit Sorgen, und es ist ja in der Tat natürlich auch ein Zeichen an die Rentner, an die Beitragszahler, dass hier etwas nicht in Ordnung ist, aber es ist immer zu trennen zwischen aktuellen Problemen und zwischen langfristigen Problemen. Bei der Frage des Kredits handelt es sich um ein aktuelles Problem.

Kolkmann: Wie werden Sie das kurzfristig wieder auffüllen?

Rische: Es ist ja vorgesehen, dass nächstes Jahr praktisch 13 Beitragszahlungen eingehen. Wir haben ja eine neue Regelung für die Abführung der Beiträge, die müssen früher abgeführt werden. Dadurch werden wir nächstes Jahr finanziell gut über die Runden kommen, und ich denke, damit können wir auch unsere Rücklagen auffüllen. Unser aktuelles Problem ist in der Tat nicht die Demografie und nicht langfristige Entwicklungen, sondern ist die fehlende Rücklage, mit der wir unterjährige konjunkturelle Schwankungen nicht mehr ausgleichen können.

Kolkmann: 13 Mal Beiträge im nächsten Jahr, das ist ja nur ein einmaliger Effekt. Sind damit die Probleme nur aufgeschoben, aber nicht aufgehoben? Müsste also der Bund Ihre Kasse wieder auffüllen?

Rische: Also zum einen ist es natürlich richtig, dass es nur ein einmaliger Effekt ist, zum anderen gehen wir natürlich wie alle davon aus - und auch die Wirtschaftsforschungsinstitute gehen ja inzwischen davon aus -, dass wir nächstes Jahr bessere Wachstumszahlen haben, und zum Dritten müssen wir natürlich uns Gedanken machen, wie ist die Beitragssatzgestaltung für das Jahr 2007 vorzusehen.

Kolkmann: Gehen Sie davon aus, dass dann um Beitragserhöhungen nicht mehr herumzukommen ist?

Rische: Wir werden um Beitragserhöhungen in 2007 nicht herumkommen. Wir haben nach unseren Schätzungen, bevor wir die Koalitionsvereinbarungen kannten, einen Beitragssatz von 19,7 in etwa ausgerechnet. Wir gehen nach den Koalitionsvereinbarungen davon aus, dass wir wegen der geringeren Zahlung der Beiträge für Arbeitslosengeld-II-Bezieher rund zwei Milliarden an Ausfällen haben. Wir werden womöglich auch über einen gedeckelten Bundeszuschuss weniger Einnahmen haben, womöglich auch mehr Ausgaben für die Krankenversicherung, so dass der Beitragssatz, der mit 19,9 in den Koalitionsvereinbarungen vorgesehen ist, mindestens notwendig werden wird.

Kolkmann: Aber wahrscheinlich noch höher werden muss?

Rische: Nach unseren jetzigen Schätzungen - und wenn wir die Koalitionsvereinbarungen richtig interpretieren hinsichtlich der Deckelung des Bundeszuschusses - kann es auch über 19,9 hinausgehen.

Kolkmann: Und wenn das Wirtschaftswachstum nicht so kommt, wie Sie eben optimistisch gesagt haben, müsste es dann möglicherweise auch daran gehen, die Renten aktuell zu kürzen?

Rische: Wir haben im Moment für die nächsten Zeiträume in unseren längerfristigen und mittelfristigen Vorausberechnungen kein Szenario, wo eine Kürzung der Renten in Frage kommt. Die Kürzung der Renten hängt ja nicht in erster Linie davon ab, wie ist der Bundeshaushalt gestaltet und wie ist der Bundeszuschuss gestaltet, sondern sie hängt davon ab, wie entwickeln sich Löhne. Wenn sich Löhne, die Reallöhne in das Minus entwickeln, dann kann es auch zu Rentenkürzungen kommen, wenn sich die Löhne aber auch nur moderat fortschreiben, dann wird es zu keinen Rentenkürzungen kommen.

Kolkmann: Aktuell haben wir aber Kürzungen der Löhne auch durch die Minijobs, aber nicht nur dadurch. Generell gehen die Einnahmen da zurück. Wie bewegen Sie sich da im Spannungsfeld, dass Sie einerseits die grundgesetzliche Garantie auch dieser Rentenanwartschaften schützen müssen, andrerseits dann doch nicht mehr um die zusätzlichen Einnahmen herum kommen?

Rische: Wir können dieses Spannungsfeld immer nur auflösen mit den Grundmaßnahmen der Sozialpolitik, die immer wieder gefordert sind, nämlich gleichgewichtige Verteilung der Lasten, gleichgewichtige Verteilung der Lasten auf die Beitragszahler, auf den Bundeszuschuss, sprich auf die Steuerzahler und natürlich auch auf die Leistungsempfänger, wobei man davon ausgehen muss und man es ja in den vergangenen Jahren gesehen hat, dass durch die verschiedenen Reformmaßnahmen im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung langfristig den Rentnern ja schon einiges zugemutet wird, so dass ich davon ausgehe, dass hier das Ende der Fahnenstange erreicht ist. Insofern können wir uns da nur noch unterhalten über Beitragserhöhungen oder Stabilisierung beziehungsweise eventuell mehr Bundesmittel.

Kolkmann: Oder über neue Beitragszahler, zum Beispiel die Selbständigen. Würden Sie dafür plädieren, dass die mittelfristig in das System hineinzunehmen sind, weil auch immer mehr Menschen nicht nur angestellt sind, sondern mal angestellt, mal selbständig und mal wieder angestellt?

Rische: Ich will das mit einem klaren "Ja" beantworten. Man muss aber den Hintergrund sehen. Der Hintergrund ist letzten Endes der, die Sozialversicherungssysteme müssen sich einstellen auf veränderte Arbeitsbiografien, auf veränderte Erwerbsbiografien, und wie Sie gerade sagten, haben wir in der Zukunft nicht mehr den abhängig Beschäftigten, der als Lehrling in seinem Betrieb anfängt und dann in seinem Betrieb auch in Rente geht, sondern wir haben viel vielfältigere Erwerbsbiografien, wir haben den Wechsel zwischen abhängiger Beschäftigung und Selbständigkeit, wir haben den Wechsel zwischen Teilzeit und Vollzeit, und und und, also vielfältige Maßnahmen, und darauf muss sich die Sozialversicherung insgesamt und natürlich auch die Rentenversicherung einstellen, und das Einbeziehen der Selbständigen in die Pflichtversicherung der gesetzlichen Rentenversicherung ist ein Schritt in diese Richtung, übrigens ein Schritt, der in Europa fast in allen Ländern schon gegangen ist.

Kolkmann: Wäre das ein wichtigerer Schritt als die Lebensarbeitszeit auf 67 zu erhöhen?

Rische: Ich denke, die Frage der Lebensarbeitszeitverlängerung ist ein sehr umstrittenes Thema und insbesondere in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit ein noch umstritteneres Thema. Insofern sollten wir eigentlich abwarten, was denn bei den Rahmenbedingungen, die ja in den Koalitionsvereinbarungen auch vereinbart sind, nämlich mehr Investition für Beschäftigung Älterer, hier die Rahmenbedingungen zu erleichtern, und natürlich auch in vier Jahren noch mal zu gucken, wie sieht es auf dem Arbeitsmarkt aus, und erst dann kann man letzten Endes konkret sagen, ob diese angedachte 67er Grenze die richtige ist und ob der Zeitpunkt der richtige ist.

Kolkmann: Herr Rische, Sie sind 58, was kommt bei Ihnen, wenn Sie in Rente gehen? Gehen Sie mit 65?

Rische: Ich habe die Absicht, mit 65 zu gehen. Wir werden mal sehen, wie dann die Regelungen ausgestaltet sind. Vielleicht geht es da noch ein paar Monate länger.

Kolkmann: Würden Sie gern länger machen?

Rische: Ach, wenn ich gesund bin und wenn ich das mit meiner Familie vereinbaren kann, mache ich gerne auch länger.

Kolkmann: Setzen Sie mehr auf die gesetzliche Rente oder setzen Sie auf private Vorsorge?

Rische: Ich glaube, die gesetzliche Rentenversicherung hat schon immer die Drei-Säulen-Theorie verkündet, nicht erst, als das in der Politik modern wurde, nämlich die Gewichtung einerseits auf die gesetzliche Rentenversicherung als Hauptgewicht und dann zusätzliches privates Vorsorgen, zum Beispiel über Wohnungen, über Versicherungen und natürlich über betriebliche Vorsorge. Ich hoffe, diese Drei-Säulen-Theorie wird sich weitgehend durchsetzen und wird auch weitgehend praktiziert. Hier hoffe ich insbesondere natürlich auf die betriebliche Altersversorgung, dass die weiter ausgebaut wird.

Kolkmann: Vielen Dank für das Gespräch.