Ringen um Olympia

Axel Rahmlow · 31.08.2013
Bleibt Ringen olympisch? Eigentlich sollte die Disziplin aus dem Programm genommen werden. Doch dann fand die Sportart etliche Fürsprecher. Auch in der brandenburgischen Kleinstadt Luckenwalde sind alle überzeugt: Ringen bleibt olympisch.
"Belastung, Belastung, Belastung."

Am liebsten scheint Heiko Röll mitringen zu wollen. Er drückt einen imaginären Gegner auf den Boden. Genau so will es der Trainer sehen.

"Kopf rin, Kopf rin, Kopf rin. Pop-pop-pop-pop! Jawohl."

Norman Mahmudov und Lennard Wickel kriegen davon aber nicht viel mit. Sie konzentrieren sich auf das oberste Ziel eines Ringers: den Gegner auf die Matte legen. Ihn einschnüren, bis er sich nicht mehr bewegen kann. Mit Armen, Beinen, der Brust, dem Rücken oder den Füßen. Am Ende der Trainingsrunde liegen beide auf der Matte, ineinander verknotet.

Pause. Norman und Lennard suchen ihre Wasserflaschen. Und Luft.

Norman: "Wenigstens hier kann man sich noch richtig messen. Und das noch fair. Danach sind wir wieder Freunde."

Lennard: "Es gibt nichts Besseres als Männerschweiß! (lacht) So wie es beim Fußball Spaß macht Bälle in Tore zu schießen, so macht es uns Spaß zu schwitzen und zu kämpfen."

Wenn es nichts Besseres als Männerschweiß gibt, dann hat Lennard jedes Recht zu lachen. Er tropft ihm aus seinen Haaren und dem Bart. Das Ringertrikot ist durchtränkt, eine Mischung aus kurzer Leggins und eng anliegendem Oberhemd. Auf der hellblauen Matte haben sich überall schimmernde Pfützen gebildet. Seit fast zehn Jahren ist Lennard in Luckenwalde: Südlich von Berlin, 30.000 Einwohnern. Sitz des 1. Luckenwalder Sportclubs. Das Ausbildungszentrum hat vom deutschen olympischen Sportbund das Siegel "Eliteschule" bekommen. Neben der Eingangstür zur Ringerhalle steht auf einem Zettel: "Die Zukunft gehört denen, die an die Verwirklichung ihrer Träume glauben."

Einen Traum haben sie alle: die Olympischen Spiele. Dafür trainieren sie wie die Besessenen. Und müssen sich nebenbei um eine Alternative kümmern. Denn Ringen ist Randsport in Deutschland, viel Geld verdienen auch Bundesligaprofis wie Lennard nicht. Sein Trainingspartner Norman will Recht und Wirtschaft studieren.

"Wir wollen mein Studium mit dem Sport in Einklang bringen, dass man das vielleicht strecken kann. Das ich abends oder morgens auch Zeit zum Trainieren habe."

Normans Bruder Aslan kommt dazu. Er hat noch zwei Jahre Schule vor sich. Der Unterricht ist für den Ringernachwuchs an die Trainingspläne angepasst. Abitur ist ihm wichtig. Aber das sportliche Ziel genauso. Ringen im deutschen Nationaltrikot. Bei Olympia.

"Ich denke, es ist der Wunsch von jedem Jungen mal bei Olympia zu sein und eine Medaille zu gewinnen. Es wäre sehr schlimm, wenn das Ringen nicht mehr olympisch ist. Sonst geht hier im Endeffekt alles kaputt."

"Ringen hat alles, was Olympia ausmacht"
Davor fürchtet sich Luckenwalde und die Ringerwelt. Denn in einer Woche entscheidet das Internationale Olympische Komitee IOC, ob Ringen nach den Spielen in Rio überhaupt olympisch bleibt. Zu komplizierte Regeln, zu viel taktisches Abwarten - das sind nur einige Kritikpunkte des IOCs, wegen denen das urolympische Ringen eigentlich Anfang des Jahres schon aus dem Programm geflogen war. Eigentlich.

Olaf Bock ist einer der beiden Nachwuchstrainer in Luckenwalde. Bock reißt eine Tüte Hundefutter für seinen braunen Dackel auf. Auf dem Schreibtisch liegt ein Stapel Flyer: "Zehn Gründe, warum Ihr Kind ein Kämpfer ist".

"Das begann damit, dass der Verband versucht hat sich zu reformieren, sich interessanter zu machen. Da waren schöne Momente für uns dabei, wie das Ringen am Times Square als ein Iraner und ein Amerikaner zusammen gerungen haben in New York. Da ist auch Völkerverständigung im Zeitalter der Globalisierung. Ringen hat alles was Olympia ausmacht!"

Bock nimmt einen der Flyer. Wie zum Beweis wird darin die olympische Hymne zitiert: "Beim Laufen, Ringen und beim Weitwurf erleuchte diese Kraft". Da blickt sogar der sonst stille Luckenwalder Cheftrainer Heiko Röll von seinem Computer gegenüber hoch, wo er den nächsten Trainingsplan eintippt.

"Der Verbleib von Ringen, davon hängt der Leistungssport Ringen in Deutschland ab. Da ist absolute Gegenwehr angesagt. Ich denke, es wird zu 100 Prozent im Programm bleiben."

Denn das Ringen hat eine zweite Chance bekommen. Auch dank reformierter Regeln: Risiko im Kampf soll belohnt, Abwarten bestraft werden. Ringen steht seit Ende Mai auf einer Shortlist, zusammen mit Squash und Baseball und dessen Frauenvariante Softball. Nächste Woche Sonntag fällt das IOC in Buenos Aires die Entscheidung, was 2020 dabei ist.

Lennard Wickel ist davon überzeugt, dass es für das Ringen reichen wird. Er trainiert im Kraftraum weiter, macht Liegestütze und Klimmzüge. Für ihn braucht sein Sport vor allem mehr Aufmerksamkeit.

"Wenn es nicht im Fernsehen kommt, guckt es auch keiner. In Russland und im Iran kloppen sich die Leute um die Tickets. Man muss es nur mehr publik machen."

Er nimmt sich ein 20-Kilo-Gewicht, drückt es nach oben, immer wieder. Er muss trainieren. Und selbst wenn das Ringen ab 2020 aus dem Programm fliegt: Lennard hat immer noch die Spiele in Rio 2016.

"Man kann ja noch einmal Olympiasieger werden. Dann heißt es dann, das ist der letzte Olympiasieger. Ist vielleicht noch cooler. Mal gucken."