Rimini Protokoll: "Uncanny Valley"

"Ich hatte noch nie so viel Angst um einen Darsteller"

Kopf des Roboter-Doubles des Schriftstellers Thomas Melle: die Mundpartie aus Silikon, der obere Teil des Gesichts noch aus Metall.
The Making of Thomas Melle als Roboter. © © Rimini Protokoll
Stefan Kaegi im Gespräch mit Martin Böttcher |
Wenn Roboter aussehen und auftreten wie Menschen, entwickeln wir Empathie für sie. Diese Erfahrung machen nicht nur die Zuschauer des Theaterstücks "Uncanny Valley", das allein von einem humanoiden Roboter gespielt wird. Sondern auch der Regisseur des Stücks.
Stefan Kaegis Inszenierung "Uncanny Valley/Unheimliches Tal", die derzeit an den Münchner Kammerspielen zu sehen ist, kommt ganz ohne Schauspieler aus. Einzige Figur auf der Bühne: ein Roboter, der dem Schriftsteller und Dramatiker Thomas Melle nachgebildet ist. Und als Zuschauer fragt man sich automatisch: Fühlt der arme Kerl da oben sich nicht furchtbar allein?
"Das ist mir selber so gegangen beim Inszenieren, obwohl ich ja natürlich in keinem Moment daran zweifelte, dass das ein Roboter ist und ich auch ganz sicher bin, dass der kein Eigenleben jetzt entwickelt", sagt Regisseur Stefan Kaegi (Rimini Protokoll). "Trotzdem kann man sich der Empathie nicht erwehren, weil man einfach trainiert ist darauf, wenn die Augen eine bestimmte Stellung einnehmen, wenn die Scheinwerfer aus einem bestimmten Winkel kommen, dann leuchten einfach die Augen und man hat das Gefühl, er beginnt so leicht zu weinen."
Wie wir mit humanoiden Robotern umgehen und welche Gefühle sie in uns auslösen, gehört zu den Fragen, die "Uncanny Valley" aufwirft. Im Stück wird ein animatronisches Double von Thomas Melle erstellt, wir beobachten, wie Ingenieure Melles Körper aus Silikon und Motoren nachbauen und so programmieren, dass der Roboter sich wie Melle bewegt.
Der Autor Thomas Melle sitzt als Roboter auf einem Sessel, im Hintergrund ist der echte Melle in einem Video zu sehen. Foto: Gabriela Neeb
Der Autor Thomas Melle als Roboter und im Film in der Performance "Unheimliches Tal" an den Münchner Kammerspielen© Münchner Kammerspiele / Gabriela Neeb
Überraschend war für Kaegi, dass viele Zuschauer offenbar Schwierigkeiten hatten, den Roboter als solchen wahrzunehmen, obwohl man bewusst dessen Kopf hinten offengelassen habe, sodass die Zuschauer das elektronische Innere sehen konnten: "Trotzdem gibt es jetzt regelmäßig Zuschauer, die sagen: Der spielt das aber wirklich wahnsinnig gut! Und wo man dann später beim Nachfragen feststellt, dass die einfach wirklich total überzeugt waren: Da ist ein Schauspieler, der einen Roboter spielt. Damit hatten wir überhaupt nicht gerechnet!"

Leider hatte "Melle 2" einen Genickbruch

Und auch das Theaterteam konnte sich der Tendenz, den Roboter zu vermenschlichen, offenbar nicht restlos entziehen: "Irgendwann hat sich dann der Name 'Melle 2' eingebürgert", sagt Kaegi. Für den Regisseur war die Arbeit mit dem Roboterschauspieler übrigens eine besondere Herausforderung: "Weil ich kein Regisseur bin, der jetzt wie Bob Wilson den Darstellern Vorgaben macht, in wie viel Sekunden sie die Hände von einer 50-Grad- zu einer 60-Grad-Winkelung bewegen sollen, aber genau so musste der Roboter dann programmiert werden, damit er sich recht menschenähnlich bewegt."
Insgesamt sei der Roboter ein "wirklich ein höchst sensibles Wesen", sagt Kaegi. Natürlich nur technisch gesprochen. So habe "Melle 2" am vergangenen Montag "leider" einen Genickbruch erlitten. Tot? Blöde Frage. "Melle2" konnte repariert werden.
(uko)
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