Hitzewelle auf der Hinterbühne
"Rimini Protokoll" gab mit der "Welt-Klimakonferenz" in Hamburg eine große Rollenspiel-Party, die zumindest anfangs sehr faszinierte. Wer sich einen Abend wie ein engagierter Delegierter gefühlt hat, wird die echten Klima-Verhandlungen künftig mit ganz anderen Augen sehen.
Wie fühlt es sich an, einmal nicht zu einem der reichsten Länder der Erde zu gehören? Wie groß ist der eigene Einfluss, wenn sich die Wirtschaft auf der Wohlstandsskala irgendwo im letzten Drittel bewegt? Welche Rolle kann für Politiker dann der Klimaschutz noch spielen?
Der Perspektivwechsel, er ist die vielleicht wichtigste Erfahrung der neuen Rimini-Protokoll-Performance "Welt-Klimakonferenz", die am Freitag Abend am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg ihre Uraufführung erlebte. Die Eindrücke der Zuschauer dürften dabei höchst unterschiedlich gewesen sein. Sie mussten die Rolle der Delegationen aus 196 Ländern übernehmen, per Zufallsprinzip wurde jeder beim Einlass einem Staat zugeordnet. In drei- bis fünfköpfigen Kleingruppen ging es dann gemeinsam einen Abend lang durch den simulierten Alltag einer internationalen Konferenz. Die einen saßen für die USA im ersten Rang in einer prunkvollen Loge, die anderen für Armenien in den vorderen Reihen des Parketts.
Ganz frei waren die Delegationen in ihren Entscheidungen dann aber doch nicht. Neben einer Broschüre mit spezifischen Informationen zu den Wirtschaftsdaten des eigenen Landes fand sich in den Start-Unterlagen auch ein präziser Stundenplan mit Stationen überall im Schauspielhaus, die abgelaufen werden mussten. Nach dem gemeinsamen Start im Plenum des Großen Saals, der mit Rednertribühne und Länder-Fähnchen wirklich verblüffend an einen echten Plenarsaal erinnerte, ging es für die von der künftigen Erwärmung besonders betroffenen Staaten auf die Hinterbühne. Dort konnten sich die Delegierten liegend unter einer riesigen Scheinwerfer-Sonne schon einmal ein Bild von künftigen Hitzewellen machen. Eine Erfahrung, die angesichts der derzeitigen nass-kühlen Hamburger November-Tristesse nicht nur erschreckend war.
Echte internationale Experten, Politologen, Klimaforscher und Aktivisten begleiteten die Delegationen durch die Stationen, zu denen auch eine Tour im Reisebus zum echten Hamburger Kongress-Zentrum und zurück gehörte. Im Bus erzählte ein Unternehmer von klimafreundlichen Projekten, die er überall auf der Welt initiiere und zum Beispiel während der Bus-Transfers auf echten Konferenzen an den Mann bringt.
Nur kurze Interaktion der "Delegierten"
Während das Setting extrem faszinierte und sich jeder Besucher schon bald wie ein echter Konferenzteilnehmer von einem zum nächsten Termin bewegte, geriet die Möglichkeit zur Interaktion leider viel zu kurz. Nur drei Stunden hat das Deutsche Schauspielhaus für das aufwendige Setting angesetzt. Das reichte, um zu verstehen, dass die Interessen vielfältig sind und auch die Experten keine einfache Lösung wissen. Für das Live-Erlebnis des Verhandelns und Miteinander-Kommunizierens reicht es nicht. Das ist besonders schade, weil viele Besucher doch sehr engagiert in ihren Rollen als Ländervertreter aufgingen.
Da trafen sich Vertreter der italienischen Delegation im bilateralen Gespräch mit den Spielern aus Armenien. Während die fiktiven Italiener ihre Position in der EU durch neue Außenkontakte verbessern wollten, ging es den fiktiven Armeniern nicht nur um Klimaschutz, sondern auch um Chancen für die eigene Wirtschaft. Auch wenn das Ganze zunächst nur eine große Rollenspiel-Party für Erwachsene ist: Wer sich einmal einen Abend wie ein Delegierter gefühlt hat, wird die echten Klima-Verhandlungen künftig mit ganz anderen Augen sehen.
"Rimini Protokoll" gelingt es mit einem höchst unterhaltsamen Format, neues Interesse zu erwecken - und müsste jetzt nur noch seinem Publikum die Zeit geben, in ihren Rollen tatsächlich ins Spielen zu kommen. Nicht auszudenken, was für Verhandlungsergebnisse dann spät in der Nacht noch drin wären.