Riesiges Repertoire für die linke Hand
Zwei linke Hände spielen ein Konzert von Maurice Ravel. Mit dieser Installation macht Anri Sala auf der Biennale auch auf die Entstehung des Werkes aufmerksam. Denn es wurde nach dem Ersten Weltkrieg geschrieben - als viele ehemalige Soldaten nur noch eine Hand zum Spielen hatten.
Anri Salas Videoinstallation beginnt ebenso faszinierend wie mysteriös. Man sieht das Gesicht einer jungen Frau, sie wirkt sehr konzentriert, sie schaut auf etwas, das wir nicht sehen. Es hat mit diesen Tönen, dieser Musik zu tun: verzerrt, mit melodischen Passagen, die immer wieder abbrechen.
Dann der nächste Raum. Ein Video mit zwei Projektionen. Jeweils die linke Hand eines Klavierspielers, die über die Tasten gleitet. Oder sind hier zwei Pianisten im Spiel? Ihre Einsätze sind manchmal asynchron, gegen einander verschoben. Kleine Unterschiede im Tempo. Maurice Ravels "Konzert in D für die linke Hand" aus dem Jahr 1930...
Draußen vor dem deutschen Biennale-Pavillon treffen wir Anri Sala. Ein ernsthafter, noch junger Mann, mit struppigen kurzen Haaren, etwas erschöpft vom Interview-Marathon der internationalen Fernseh-Teams.
"Ich entdeckte, dass es ein riesiges Repertoire für die linke Hand gibt. Das war mein Ausgangspunkt."
Und dann erzählt er uns, wie es zu Ravels Komposition gekommen ist. Da gab es diesen österreichisch-jüdischen Pianisten namens Paul Wittgenstein, Bruder des bekannten Philosophen. Und er hatte Maurice Ravel um dieses Piano-Stück mit Orchesterbegleitung gebeten:
"Es ist interessant, dass das Repertoire für die linke Hand soviel reicher geworden ist, dank Paul Wittgenstein, der an der Front des Ersten Weltkriegs seinen rechten Arm verloren hatte. Ein schrecklicher Krieg, der soviel Amputationen zur Folge hatte wie kein anderer Krieg. Das Klavier war ein populäres Instrument und viele Leute kamen aus dem Krieg zurück und konnten es nicht mehr spielen. Und das zu dieser Fülle von Kompositionen für die linke Hand geführt."
Also doch ein politischer Hintergrund für diese Videoinstallation? Anri Sala winkt ab. Klar, das ist eine der Dimensionen dieser Arbeit, der Krieg zwischen Deutschland und Frankreich, dann der österreichische Kriegsinvalide, für den der französische Komponist etwas schreibt. Aber für Anri Sala ist das nicht wesentlich. Er versteht sich nicht als Politkünstler. Ihn interessieren die ästhetischen Irritationen, die von einem solchen Video ausgehen, die Dissonanzen von Bild und Ton.
"Wir haben monatelang die Tempos neu arrangiert, aber dabei keine einzige Note von Ravel verändert. Und so sind die Echos entstanden, die man hört, die Momente des Synchronen und Asynchronen. In diesem Zusammenspiel gibt es Momente, wo alles übereinstimmt, dann wo alles auseinander driftet, aber es gibt niemals Missklang."
Im dritten Raum von Anri Salas Videoinstallation dann die Auflösung des rätselhaften Anfangsbildes: Die junge Frau, die wir gesehen hatten, ist ein weiblicher Discjockey. Sie steht an zwei Plattentellern und versucht, die zwei Versionen des Konzerts wieder zusammen zu führen. Sie ist gefilmt im ehemals leeren Raum des Deutschen Pavillons. Erst dadurch werden wir daran erinnert, wo wir hier eigentlich sind.
Deutsche Biennale-Künstler haben immer wieder die Nazi-Architektur des Pavillons thematisiert. Es war schon fast zur nationalen Pflichtübung geworden. Anri Sala hat dafür seine eigene, diskrete Lösung gefunden. Die Räume sind kaum wieder zu erkennen, wegen der Schaumstoffpolster, die bis zur Decke reichen. Der Künstler hat aus dem Deutschen Pavillon ein dreiteiliges Akustikstudio gemacht, kurvige Wände leiten von Raum zu Raum, zu betreten ist der Pavillon durch einen Seiteneingang:
"Ich glaube, das Problem dieser Architektur ist ihre Frontalität, ihre Fassade. Und aus diesem Grund, ganz intuitiv, wollte ich nicht, dass man die Ausstellung durch den Vordereingang betritt. Sondern die Töne und das Publikum sollten den Pavillon durchqueren, in einer kurvigen Art und Weise. Um so die Kantigkeit und Frontalität des Ortes zu umgehen. Denn hinter dieser neoklassizistischen Nazi-Fassade befindet sich ja ein sehr großzügiger Raum."
Wie viel hat diese Videoinstallation mit deutsch-französischer Geschichte, mit Deutschlands Nazivergangenheit zu tun? Gar nichts, könnte man sagen, oder auch: alles.
Leicht beunruhigt schaut Anri Sala auf die Menschenschlange, die sich vor dem Deutschen Biennale-Pavillon gebildet hat. Geduldig warten die Besucher am kleinen Seiteneingang auf Einlass.
Das auftrumpfende Hauptportal des Pavillons dagegen wirkt verwaist. Wie eine leere Geste. Auch schon wieder ein politisches Bild, subtil und beiläufig, wie immer bei Anri Sala.
Dann der nächste Raum. Ein Video mit zwei Projektionen. Jeweils die linke Hand eines Klavierspielers, die über die Tasten gleitet. Oder sind hier zwei Pianisten im Spiel? Ihre Einsätze sind manchmal asynchron, gegen einander verschoben. Kleine Unterschiede im Tempo. Maurice Ravels "Konzert in D für die linke Hand" aus dem Jahr 1930...
Draußen vor dem deutschen Biennale-Pavillon treffen wir Anri Sala. Ein ernsthafter, noch junger Mann, mit struppigen kurzen Haaren, etwas erschöpft vom Interview-Marathon der internationalen Fernseh-Teams.
"Ich entdeckte, dass es ein riesiges Repertoire für die linke Hand gibt. Das war mein Ausgangspunkt."
Und dann erzählt er uns, wie es zu Ravels Komposition gekommen ist. Da gab es diesen österreichisch-jüdischen Pianisten namens Paul Wittgenstein, Bruder des bekannten Philosophen. Und er hatte Maurice Ravel um dieses Piano-Stück mit Orchesterbegleitung gebeten:
"Es ist interessant, dass das Repertoire für die linke Hand soviel reicher geworden ist, dank Paul Wittgenstein, der an der Front des Ersten Weltkriegs seinen rechten Arm verloren hatte. Ein schrecklicher Krieg, der soviel Amputationen zur Folge hatte wie kein anderer Krieg. Das Klavier war ein populäres Instrument und viele Leute kamen aus dem Krieg zurück und konnten es nicht mehr spielen. Und das zu dieser Fülle von Kompositionen für die linke Hand geführt."
Also doch ein politischer Hintergrund für diese Videoinstallation? Anri Sala winkt ab. Klar, das ist eine der Dimensionen dieser Arbeit, der Krieg zwischen Deutschland und Frankreich, dann der österreichische Kriegsinvalide, für den der französische Komponist etwas schreibt. Aber für Anri Sala ist das nicht wesentlich. Er versteht sich nicht als Politkünstler. Ihn interessieren die ästhetischen Irritationen, die von einem solchen Video ausgehen, die Dissonanzen von Bild und Ton.
"Wir haben monatelang die Tempos neu arrangiert, aber dabei keine einzige Note von Ravel verändert. Und so sind die Echos entstanden, die man hört, die Momente des Synchronen und Asynchronen. In diesem Zusammenspiel gibt es Momente, wo alles übereinstimmt, dann wo alles auseinander driftet, aber es gibt niemals Missklang."
Im dritten Raum von Anri Salas Videoinstallation dann die Auflösung des rätselhaften Anfangsbildes: Die junge Frau, die wir gesehen hatten, ist ein weiblicher Discjockey. Sie steht an zwei Plattentellern und versucht, die zwei Versionen des Konzerts wieder zusammen zu führen. Sie ist gefilmt im ehemals leeren Raum des Deutschen Pavillons. Erst dadurch werden wir daran erinnert, wo wir hier eigentlich sind.
Deutsche Biennale-Künstler haben immer wieder die Nazi-Architektur des Pavillons thematisiert. Es war schon fast zur nationalen Pflichtübung geworden. Anri Sala hat dafür seine eigene, diskrete Lösung gefunden. Die Räume sind kaum wieder zu erkennen, wegen der Schaumstoffpolster, die bis zur Decke reichen. Der Künstler hat aus dem Deutschen Pavillon ein dreiteiliges Akustikstudio gemacht, kurvige Wände leiten von Raum zu Raum, zu betreten ist der Pavillon durch einen Seiteneingang:
"Ich glaube, das Problem dieser Architektur ist ihre Frontalität, ihre Fassade. Und aus diesem Grund, ganz intuitiv, wollte ich nicht, dass man die Ausstellung durch den Vordereingang betritt. Sondern die Töne und das Publikum sollten den Pavillon durchqueren, in einer kurvigen Art und Weise. Um so die Kantigkeit und Frontalität des Ortes zu umgehen. Denn hinter dieser neoklassizistischen Nazi-Fassade befindet sich ja ein sehr großzügiger Raum."
Wie viel hat diese Videoinstallation mit deutsch-französischer Geschichte, mit Deutschlands Nazivergangenheit zu tun? Gar nichts, könnte man sagen, oder auch: alles.
Leicht beunruhigt schaut Anri Sala auf die Menschenschlange, die sich vor dem Deutschen Biennale-Pavillon gebildet hat. Geduldig warten die Besucher am kleinen Seiteneingang auf Einlass.
Das auftrumpfende Hauptportal des Pavillons dagegen wirkt verwaist. Wie eine leere Geste. Auch schon wieder ein politisches Bild, subtil und beiläufig, wie immer bei Anri Sala.