Riesa in Sachsen

Sportstadt mit Sympathie für die AfD

Jörg Meuthen, AfD-Vorsitzender und Spitzenkandidat seiner Partei für die Europawahl 2019, spricht bei der Europawahlversammlung der Alternative für Deutschland in der Sachsen-Arena.
Jörg Meuthen, AfD-Vorsitzender, beim Bundesparteitag der Alternative für Deutschland an 13. Januar in der Sachsen-Arena in Riesa. © picture alliance / dpa/ Monika Skolimowska
Von Alexandra Gerlach · 14.01.2019
Mehr als 10.000 Menschen arbeiteten einst im Stahl- und Walzwerk Riesa. Nach der Wende wurde der Betrieb abgewickelt, viele zogen weg. Später machte die Stadt mit Sportveranstaltungen von sich reden. Bei der letzten Bundestagswahl wählte jeder Dritte die AfD.
Wer sich der Stadt mit dem Auto nähert, sieht schon von weitem einen markanten, massigen, spitz zulaufenden Kirchturm, der sich aus der Ebene erhebt. Unweit davon einige Hochhäuser. Hier wohnt Uhrmachermeister Manfred Kuge. Er ist Jahrgang 1942 und stammt aus einer stolzen ehemals schlesischen Uhrmacherdynastie:
"Das sind noch Klänge, ne, die Tonfedern, das sind ja Tonträger, wo ein Hammer drauf schlägt, das kriegen die nicht mehr hin, so einen Klang, der noch so lange nachhallt, ne!"
Manfred Kuge hat an einer hohen Uhrmacher-Werkbank Platz genommen und schaut verzückt auf eine mit hängenden Uhren übersäte Wand in seiner kleinen Werkstatt. Im Oktober wird der gebürtige Schlesier sein 50-jähriges Betriebsjubiläum in Riesa feiern.


"Riesa war ja vor der Wende eine Industriestadt. Wir hatten an die 50.000 Einwohner und sind zur Zeit wohl noch 38.000 Einwohner. Riesa war geprägt von dem Stahlwerk, die hatten 12- bis 15.000 Beschäftigte. Die Stadt war belebt, waren viele junge Leute und zogen auch aus anderen Gebieten der ehemaligen DDR nach Riesa, weil eben Arbeit vorhanden war."
Produktion im VEB Rohrkombinat und Stahl- und Walzwerk Riesa 1979
Produktion im VEB Rohrkombinat und Stahl- und Walzwerk Riesa 1979© imago/Ulrich Hässler

Vor allem junge Menschen sind weggezogen

Von den einst 16.000 Bewohnern in seinem Stadtteil ist nur die Hälfte geblieben. Vor allem junge Menschen sind weggezogen, in den Westen gegangen mangels Perspektive in der Heimat, sagt Manfred Kuge bedauernd:
"Nach der Wende hat sich vieles getan, die Großbetriebe wurden abgewickelt."

Riesa galt als "Stadt der Stahlwerker" und war stolz auf diese Tradition. Selbst der traditionsreiche Fußballverein trug den Stahl im Namen. Niemand konnte sich 1989 vorstellen, dass das Werk geschlossen werden könnte, erinnert sich der Riesaer Diakon und Sozialarbeiter Andreas Näther, in seinem Büro am Riesaer Hafen:
"Also ganz kurz nach der Wende hatte ich den Eindruck, da wurde das noch gar nicht begriffen. Da merkte ich bei einigen noch diesen Stahlwerker-Stolz: 'Ne, also wir werden doch gebraucht!' Und ein Vierteljahr später hingen die schwarzen Fahnen an der Lauchhammerstraße aus den Werksfenstern heraus, wo es dann deutlich wurde, dass letztendlich das Werk abgewickelt wird."

Tiefe Wunden wirken fort

Der Umbruch habe tiefe Wunden bei den Menschen geschlagen, die teilweise bis heute fortwirkten, meint Andreas Näther rückblickend. Nach der Privatisierung und Restrukturierung blieben gerade mal 4000 Arbeitsplätze in dem verkleinerten, modernisierten Stahlwerk übrig:
"Das heißt, 9000 haben einfach ihre Arbeit verloren, also mussten einfach durch große Maßnahmen, Umschulungen und diese Abfederungsmaßnahmen, ABM, usw. Vorruhestandsregelungen; ja, ihre Biographie brach plötzlich um."
Auch die anderen, weit kleineren Riesaer Großbetriebe, wie die Nudelfabrik, das Reifenwerk, die Zündholz-Herstellung und das Heizkörperwerk wurden privatisiert und umstrukturiert, verschlankt und neu ausgerichtet. Überall fielen Arbeitsplätze weg.
"Natürlich hat die Stadt ein Stück Identität verloren, wenn die Stahlindustrie wegbricht, denn das hat ja eigentlich erst Riesa zur Stadt gemacht."


Die Lage schien hoffnungslos, Riesa drohte in eine Depression zu verfallen und Hilfe war nicht in Sicht. Der Aufbau Ost war zwar in vollem Gange, doch eine zündende Idee für Riesa gab es nicht. Die entwickelte dann Wolfram Köhler, ein ehemaliger Liedermacher, Tausendsassa und visionärer Kommunalpolitiker.
Das Stahl- und Walzwerk Riesa Anfang der 1990er-Jahre
Mehr als 10.000 Arbeitnehmer waren zu DDR-Zeiten im Stahl- und Walzwerk Riesa beschäftigt. Nach der Wende wurden große Teile des Betriebes abgerissen. © picture alliance/dpa/Foto: Matthias Hiekel
Der junge Beigeordnete für Sport, Schule und Kultur erkannte früh, dass Riesa sich neu erfinden muss. Riesa sollte "Sportstadt" werden, an Traditionen aus der DDR-Zeit anknüpfen und weit über die Region hinausstrahlen. Schon 1999 wurde mit der Sachsen-Arena, einer großen, modernen Vielzweckhalle, der Grundstein gelegt. Ein genialer Schachzug, sagt Stadtrat Andreas Krake.

Viele herausragende Sportereignisse kamen nach Riesa

"Riesa war mit einer der ersten Städte, die eine riesen Veranstaltungshalle gebaut haben, wo man gesagt hat: 'Für Riesa?' Aber was wir dadurch für einen Bekanntheitsgrad erwirkt haben, was wir jetzt nach vielen Jahren für Leute nach Riesa locken, und auch mit dieser Sportidee, da muss ich sagen, dass ist eine Idee gewesen, die dann später zu Olympia reifen sollte. Das sind Hirngespinste, aber toll."
Die Olympischen Spiele kamen zwar nicht nach Riesa, wohl aber viele herausragende Sportereignisse, wie die Weltmeisterschaften der Sumo-Ringer, der Junioren-Sportakrobaten, Box-WM-Kämpfe und vieles mehr. Ganz Europa sprach über diese Sport-Events.


Und heute? Spielen große Sport-Veranstaltungen dort kaum noch eine Rolle. Stattdessen gerät die Sachsenarena in den Fokus der Medien, weil dort seit drei Tagen die AfD ihren Parteitag abhält. Am Samstag haben in Riesa etwa 1000 Menschen gegen die AfD demonstriert. Aber es gibt auch zahlreiche Befürworter in der Stadt. Bei der letzten Bundestagswahl hat jeder Dritte für die AfD gestimmt. Nachfrage bei Uhrmachermeister Manfred Kuge, der sich seit Jahrzehnten parteilos für die SPD in der Kommunalpolitik einsetzt:
Boxlegende Muhammad Ali (l) und der damalige Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) 2002 in Riesa
Boxlegende Muhammad Ali (l) und der damalige Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) verfolgen im Juni 2002 in Riesa eine Präsentation der sächsischen Olympiabewerbung für 2012 in Leipzig.© picture alliance/dpa/Foto: Matthias Hiekel
"Frust! Frust ist das und die Leute sind mitunter nicht mal selbst mit sich zufrieden, wie soll ich das jetzt sagen. Man sieht und hört es ja in Gesprächen jetzt. Urlaub ist vorrangig. Das genießen sie alle. Sie können eigentlich alle nur rummeckern, aber einbringen tun sie sich auch nicht."


Geschickt greife die AfD bürgernahe Themen auf, ohne konkrete Lösungen anzubieten, meint auch Sozialarbeiter Andreas Näther, der sich ehrenamtlich im "Riesaer Appell" engagiert, einer Initiative zur Stärkung der Demokratie und gegen Rechtsextremismus. Auch er sieht die politische Entwicklung in seiner Stadt mit Unbehagen:
"Wenn man es vergleicht weltweit, geht es grundsätzlich den meisten gut, aber trotzdem ist irgend so ein psychisches Gefühl da, nicht wahrgenommen zu werden."
Demonstration gegen den Bundesparteitag der AfD am 12. Januar 2019 vor der Sachsen-Arena in Riesa.
Demonstration gegen den Bundesparteitag der AfD am 12. Januar 2019 vor der Sachsen-Arena in Riesa.© picture alliance/dpa/Foto: Sebastian Willnow

Unterschwellige Unzufriedenheit ist ein Ärgernis

Die Bürger selbst zu befragen, warum die AfD in Riesa so viel Rückhalt findet, ist schwierig. Nur wenige Passanten in der Innenstadt sind bereit, ein Interview zu geben:
"Die Leute, entweder sind sie ja … ob sie sich nicht richtig informieren oder ob sie unzufrieden sind und dann ... ich denke mal, das ist die Hauptursache."
"Also politisch brauchen Sie mich nicht fragen, interessiert mich gar nicht, tut mir leid!"
Für die Stadtväter, Menschen wie Kuge, Näther und Krake, die sich seit Jahren für Riesa engagieren, ist die unterschwellige Unzufriedenheit vieler Bürger ein Ärgernis. Vieles sei erreicht worden, sagen sie. Die Stadt stehe recht gut da, mit einem guten wirtschaftlichen Mittelstand. Man werbe nun um junge Leute, die sich einen Hausbau in und um Dresden nicht leisten können. Neue Baugebiete seien ausgewiesen und die Schulen frisch saniert. Nur manche Bürger merkten das noch nicht.
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