Riechkolben, Zinken und Haken

Von Peter Kaiser · 09.09.2011
Vor mehr als 100 Jahren begründete Jacques Joseph die Schönheitschirurgie. Bis heute gelten seine Arbeiten als revolutionär. Wer war der preußische Jude, dem sein Glauben so viel wert war, dass er eine Professur an der Charité ausschlug?
Bahr: "”Es gab ja in der frühen Weimarer Zeit hier in Berlin auch Songs ‚Mensch, lass’ da bloß die Nase ändern’. Was bezeugt, was für ein Thema das damals gewesen ist.""

Bahr: "”Und die jüdische Nase, die ja sprichwörtlich ist, da hat er sehr viel Segen über die Menschen gebracht. Und hat an der Stange, reihenweise Nasen operiert.""

Der 28-jährige Gutsbesitzer war es leid, wegen seiner großen und auffällig geformten Nase andauernd verspottet zu werden.

Peter Deufflard: "Ich verstehe, dass manchmal für Menschen auch eine Gesichtsform einen hohen Leidensdruck auslöst."

Der einzige Ausweg: der Nasenjoseph in Berlin.

Peter Deufflard: "(...) so 1896 herum hat der die ersten Nasen operiert, ein Pionier (...) Erfinder der Schönheitschirurgie."

Bahr: "”Er war ja einer der Ersten, die entdeckt haben, welch Potenzial die äußere Gestalt oder auch die Missbildung der äußeren Gestalt nach Innen hinein auf den einzelnen wirkt, beziehungsweise was für eine Erleichterung es bedeuten kann, wenn jemand mit riesigen abstehenden Ohren zurück in die Normalität geführt wird.""

Christian Bahr, selbst plastischer Chirurg und Bildhauer, spricht vom lange verstorbenen Kollegen, dem Berliner Chirurgen Jacques Joseph, im Volksmund: "Nasenjoseph" genannt. 1916 wurde Dr. Joseph, vor 95 Jahren also, zum Leiter der neu gegründeten Abteilung für Plastische Gesichtschirurgie an der Charité berufen.

Zuvor hatte der eigentlich auf Orthopädie spezialisierte jüdische Arzt nicht nur dem jungen Gutsbesitzer das Objekt des Spotts verkleinert, sondern auch etlichen Patienten mit abstehenden Ohren, oder zu großen und skurril geformten Nasen zu einem normalen Leben verholfen.

Bahr: "”Also, Bewunderung kann man sehr leicht für diesen Menschen empfinden. Er war auf seinem Terrain ein ausgesprochener Erneuerer. Man muss sich vorstellen, es gab zu seiner Zeit praktisch keinen, der die Nasen so operiert hat wie er, und der sich überhaupt so ranmachen konnte.""

Jacques Joseph wurde am 6. September 1865 im preußischen Königsberg als Sohn des Rabbiners Israel Joseph und dessen Frau Sara geboren. Nach einem Medizinstudium in Berlin wollte er Chirurg werden, darum arbeitete er 1892 an der Berliner Universitätspoliklinik in der orthopädischen Chirurgie. Bis sich die Mutter eines kleinen Jungen mit der Bitte an ihn wandte, die abstehenden Ohren ihres Sohnes zu operieren. Mit einer neuen Operationsmethode, die Dr. Joseph entwickelte, half er heimlich dem Kind, weil sein Vorgesetzter an der Klinik den Eingriff ablehnt hatte.

Dr. Joseph ersetzte Knochen und Knorpel durch Elfenbein und entwarf dafür eigene Operationsinstrumente.

Bahr: "’Der Joseph’ ist eine Art feines Raspatorium, ein Instrument, mit dem sich relativ leicht die Schleimhaut vom Knorpel in der Nasenscheidewand trennen lässt. Aber es gibt auch den "Josephhaken", und es gibt auch ein ‚Joseph-Nasenmeter’."

Die Gesichtsverletzten des Ersten Weltkriegs forderten den Sanitätsoffizier der Reserve Dr. Joseph heraus. Diese von Alfred Döblin als "Mondlandschaft des Todes" bezeichneten Gesichter wiederherzustellen, gelang dem Schönheitschirurgen so gut, dass Kaiser Wilhelm II. ihm eine Professur für plastische Chirurgie an der Berliner Charité anbot. Allerdings unter der Bedingung, dass er zum Christentum konvertierte. Der nunmehr viel gerühmte und in den Straßen besungene "Nasenjoseph" lehnte ab. Vier Jahre später bekam er sowohl den Professorentitel als auch das Eiserne Kreuz für seine Leistungen verliehen.

In der Weimarer Republik war Dr. Joseph einer der bekanntesten Schönheitschirurgen weltweit. Dabei zahlten Patienten wie hospitierende Kollegen nach ihren Vermögensverhältnissen, wie der rasende Reporter Egon Erwin Kisch im Essay "Das Haus der veränderten Nasen" berichtete.

"Der Herr Professor muss zuerst wissen, wie reich einer ist. Danach lässt er sich die Operation bezahlen. Er muss die Wesensart kennen, denn danach stellt er die Nase her. ‚Wünschen Sie eine kecke Nase’, fragt Professor Joseph, ‚oder eine intelligente, eine kokette oder eine energische?’"

Dennoch, der Ruhm schützte Professor Joseph nicht vor den Nazis.

Bahr: "”Wahrscheinlich war ein Drittel bis die Hälfte aller Ärzte zu der Zeit Juden. Und grade wenn sie dann auch noch solch hervorragende Leistungen wie Jacques Joseph aufweisen konnten, haben sie sich dann noch mal in besonderer Weise geschützt gefühlt.""

Am 12. Februar 1934 starb Jacques Joseph an einem Herzinfarkt. Drei Tage später wurde er auf dem jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee beerdigt. Christian Bahr, der bis heute nicht nur das Andenken an den Begründer der Schönheitschirurgie pflegt, sondern auch als Bildhauer Büsten des "Nasenjoseph" geschaffen hat, besuchte das Grab mehrmals.

Bahr: "”Das er von den Nazis 1934 einfach so verscharrt wurde, ohne Nachruf, ohne Nachhall in der wissenschaftlichen Welt, das hat wohl dazu beigetragen, dass er nicht in den Köpfen und im historischen Denken der Menschen so verankert war, wie es hätte sein müssen.""

Doch bis heute berufen sich alle Schönheitschirurgen auf die Arbeiten Dr. Josephs. Selbst in den inzwischen virtuellen Computer-Gesichtslaboren des Konrad-Zuse-Institutes in Berlin, wo schwere Gesichtsoperationen vorausberechnet werden. Peter Deufflhard ist dort Professor für Mathematik.

Deufflhard : "Wir rechnen dann nach seiner Maßgabe aus, wie das Gesicht aussieht, wenn er das macht oder das macht, oder das macht."