"Richard drei" am Schauspiel Köln

Queere Knallchargenshow mit Momenten des Innehaltens

05:53 Minuten
Eine in Richtung Publikum schreiende Frau wird von hinten von einem Mann umarmt.
Intrigen, Mord und Totschlag in "Richard drei" am Schauspiel Köln. © Krafft Angerer
Von Stefan Keim |
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In Pınar Karabuluts "Richard drei" in Köln gibt es Tanznummern zu wummernder Musik, herrliche Wortverdrehungen und Alltagsdirektheit. Ein wilder Laberschwall mit poetischen Momenten. Und manchmal erinnert das Ensemble ans Kasperletheater.
Natürlich ist Richard III. eine Frau. Wurde diese Rolle jemals von einem Mann gespielt? Lina Beckmann war Richard bei den Salzburger Festspielen, Marissa Möller verkörperte den zynischen Mörder und Manipulator am Schlosstheater Moers. Es gibt einige weitere Beispiele.
Yvon Jansen geht nun in Köln noch darüber hinaus. Ihr Richard oszilliert konsequent zwischen den Geschlechtern, wie es alle Figuren in Pınar Karabuluts Inszenierung von „Richard drei – Mitteilungen der Ministerin der Hölle“ tun. Frau oder Mann? Egal, hier begreift sich niemand als binär. Niemand – das Wort würde die Autorin Katja Brunner schon niemandem in den Mund legen, sondern „Niemensch“.

Wilder Laberschwall mit poetischen Momenten

Die Schweizerin hat Shakespeares Handlung weitgehend belassen. Gewissenlos mordet sich Richard auf den Thron, obwohl er mit der Macht überhaupt nichts anfangen kann. Der Text schwirrt umher zwischen angedeuteten Zitaten und Gegenwartsbezügen, hoher Sprache, teils herrlichen Wortverdrehungen und Alltagsdirektheit. Ein wilder Laberschwall mit poetischen Momenten.
Manchmal brechen jelin-eckige und sogar jelin-kantige (ach, wie würde Katja Brunner eine Theaterkritik schreiben?) Textflächen in die Handlung ein. Da sinniert „die Basis“ über Willkommenskultur und Pandemiefolgen, da beschwert sich ein Männerchörchen darüber, dass die Kulturtradition der Kavaliersdelikte verloren geht. Eine Menge Themen werden angerissen, wenig bleibt hängen. Nur manchmal wird es still auf der Bühne, wenn es zum Beispiel direkt vor der Pause um die vielen Selbstmorde in unserer Gesellschaft geht.

Faszinierende Videos von Susanne Steinmassl

Sonst geht Regisseurin Pınar Karabulut in die Vollen. Das Ensemble brüllt, schreit und zetert in bunt-trashigen Kostümen, Richard fährt in einem Schwanmobil über die Bühne und verleiht es, wenn ein von ihr gedungener Mörder schlecht zu Fuß ist.
Es gibt Tanznummern zu wummernder Musik, manchmal erinnert das Ensemble mit puppenhaften Bewegungen und grobem Spiel ans Kasperletheater. Faszinierend sind die Videos, in denen Susanne Steinmassl klassische Porträtkunst und den Stil von Fantasy-Comics kombiniert und die Bilder in Bewegung bringt. Wem die Knallchargenshow auf der Bühne zuviel wird, kann sich die tollen Projektionen anschauen.

Der Abend ist zu lang

Mensch hörte, es wurde noch bis zur Premiere heftig gekürzt. Der Abend ist immer noch viel zu lang. Der Anfangsmonolog ist allerdings großartig. Da spricht Yvon Jansen direkt ins Publikum, vibrierend vor ungenutzter Energie, lästert über die schlappen Friedenszeiten, für die ihr Richard-Körper nicht gemacht ist. Sie will ein Torpedo sein. Gerade, wo der Krieg so nah ist, wie lange nicht, wirkt der Text aufregend und provozierend. Dann geht das dauerironische Text- und Pathosbombardement los, immer wieder mit starken Momenten und überwältigenden Schauwerten.

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