Richard Gutjahr über Hassrede im Netz

"Man muss die Wortführer zur Rechenschaft ziehen"

Eine Frau sitzt vor einem Laptop und schlägt angesichts von Hassbotschaften per Facebook die Hände vors Gesicht.
Eine Frau schlägt angesichts von Hassbotschaften per Facebook die Hände vors Gesicht. © imago / Reporters
Moderation: Ute Welty  · 06.01.2018
Der Journalist Richard Gutjahr und seine Familie sind wüsten Anfeindungen im Netz ausgesetzt. Wer sich zur Wehr setze, finde wenig Unterstützung bei Politik und Gesellschaft, ist seine Erfahrung. Auch die Justiz unterschätze, dass Beschimpfungen im Internet länger Auswirkungen hätten als im realen Alltag.
Vom Balkon seines Hotels aus hatte der Journalist Richard Gutjahr am 14. Juli 2016 durch Zufall den Laster gefilmt, der auf der Promenade des Anglais 86 Menschen zu Tode fuhr. Wenige Tage später war der Reporter des Bayerischen Rundfunks in München vor Ort, als ein Amokläufer im Olympia-Einkaufszentrum zehn Menschen tötete. Seither ist er der Gegenstand von Verschwörungstheorien, die ihm unterstellen, er sei von Geheimdienstquellen vorab informiert worden.

Versuch der Gegenwehr

Gutjahr und seine Familie sind seither in das Visier von rechten Trollen, Netz-Pöblern und Verschwörungstheoretikern geraten, werden beschimpft und bedroht. Bei der Konferenz TedX Marrakesh machte der Journalist seinem Ärger Luft und berichtete offen von seinen Erfahrungen und wie er sich zu wehren versucht. Das Video "Wie ich Fake News wurde" von seinem Auftritt wurde erst jetzt im Netz veröffentlicht und sorgt für einige Debatten.

Gesetze werden nicht angewandt

"Man muss die Wortführer identifizieren und man muss sie tatsächlich zur Rechenschaft ziehen", sagte Gutjahr im Deutschlandfunk Kultur. "Es heißt immer so schön, das Internet ist kein rechtsfreier Raum, sagen vor allem die Innenminister und die Justizminister, aber genau in die Richtung geht auch meine Kritik, dass die dort am wenigsten machen." Er habe die Erfahrung gemacht, dass die Gesetze nicht ausreichend angewandt würden. Deshalb sei er von der Politik und Gesellschaft enttäuscht. "Sehen Sie, wenn ich auf die Straße gehe und dort einem anderen Autofahrer oder einem Taxifahrer oder so einen Vogel zeige, dann kostet mich das mittlerweile nach der Gebührenverordnung 500 Euro aufwärts."

Kritik an der Justiz

Wenn ihn dagegen im Netz jemand antisemitsch beschimpfe, dann koste das nur 250 Euro. Offenbar seien viele Richter und Staatsanwälte der Ansicht, das Beschimpfungen in der digitalen Welt weniger schlimm seien als in der Wirklichkeit. Dabei bleibe im Internet alles lange erhalten und ermutige auch andere, sich der Hetzte anzuschließen. "Wenn Sie auf der Straße jemandem einen Vogel zeigen, ich glaube, das haben alle Beteiligten nach 20 Minuten vergessen."

Das Interview im Wortlaut:

!Ute Welty:!! Den Juli 2016, den wird der Journalist, Moderator und Blogger Richard Gutjahr wahrscheinlich sein Leben lang nicht vergessen. Erst wird er Augenzeuge des Terroranschlags von Nizza, und dann beobachtet er auch den Amoklauf in München. Darüber berichtet er im Fernsehen, im Radio und im Netz, und dann ist es vor allem das Netz, das ihm das Leben schwermacht. Richard Gutjahr und seine Familie werden verhöhnt, verflucht und verleumdet. Unzählige Verschwörungstheorien existieren inzwischen über und vor allem gegen ihn. Über seine Erfahrungen und Strategien hat Gutjahr auf einer Konferenz in Marrakesch gesprochen, und das Video von diesem Auftritt, das sorgt jetzt wiederum im Netz für viele Reaktionen. Guten Morgen, Herr Gutjahr!
Richard Gutjahr: Guten Morgen, Frau Welty!
Welty: Wie groß ist Ihre Angst, dass jetzt wieder alles von vorne losgeht?
Richard Gutjahr, Journalist und Blogger, sitzt am 03.05.2017 in Leipzig (Sachsen) bei einer Diskussionsrunde mit dem Titel «Wie Medien über Medien berichten» im Rahmen der Medientage Mitteldeutschland. Foto: Sebastian Willnow/dpa-Zentralbild/dpa | Verwendung weltweit
Medientage Mitteldeutschland© dpa-Zentralbild
Gutjahr: Da kann nicht viel von vorne losgehen, denn es hat nie aufgehört. Wir leben tatsächlich seit 18 Monaten in einer Form von, ja, nicht nur Shitstorm, sondern eher Shit-Tsunami. Sie müssen sich das so vorstellen, jeden Morgen, den wir aufstehen, finden wir schon, wenn wir den Computer anmachen, auf Twitter, auf Facebook, auf YouTube neue Hasskommentare. Man wünscht uns ins KZ und ähnliche Dinge.
Welty: Lässt sich da ausmachen, was Sie am meisten be- und getroffen hat?
Gutjahr: Wissen Sie, es gibt da keine einzelnen, wie soll man sagen …
Welty: Es ist die Masse.
Gutjahr: … Anfeindungen oder Dinge, die einen besonders treffen, es ist einfach ein zermürbendes Erlebnis, wenn man tatsächlich jeden Tag einfach quasi beim Aufstehen und beim Zubettgehen sozusagen als Erstes erst mal angeschrien wird. Das erträgt man eine Weile, ein paar Wochen, ein paar Monate vielleicht, aber für jemanden, der wie ich einfach auf das Netz angewiesen ist, das heißt, ich kann da ja nicht einfach alle Stecker ziehen und sagen, ich verabschiede mich aus dem Netz …
Ich brauche E-Mail, ich brauche auch Kommunikationsplattformen wie WhatsApp oder andere Dinge, das ist als Journalist auch gar nicht anders möglich, sonst müsste ich in eine Höhle gehen oder ins Kloster. Nein, also um Geld zu verdienen, müssen wir natürlich alle verbunden bleiben mit der Welt, zumal das Internet ja großartig ist. Es ist ja wirklich eine Errungenschaft unserer Menschheit, aber wie gesagt, sie kann eben auch als Waffe eingesetzt werden.
Welty: Sie haben für sich einen Punkteplan entwickelt, also Lehren, die Sie gezogen haben, und Strategien, die Sie anwenden. Was ist das Herzstück dieses Punkteplans?
Gutjahr: Zunächst einmal muss man sich, glaube ich, vergegenwärtigen, mit wem hat man es da zu tun. Das Schlimme sind ja nicht diejenigen sozusagen, die morgens aufstehen und sagen, sie wollen jemandem heute irgendwie den Tag vermiesen, die gab es immer. Das Problem ist, dass die diese Kommunikationsnetzwerke so gut beherrschen, dass sie so eine Art, wie soll man sagen, Vorteil haben gegenüber dem Rest, also gegenüber dem vernunftbegabten Menschen.
Will heißen: Diejenigen, die, in Anführungszeichen, noch ein bisschen, wie soll man sagen, Empathie und auch Mitgefühl kennen, die sind im Netz noch nicht so zu Hause, und diese Menschen, die dort, wie soll man sagen, eine Plattform für sich gefunden haben, die beherrschen alle Tricks, und deswegen können die im Prinzip dort auch machen, was sie wollen, und der Rest der Menschheit schaut einfach staunend vielleicht, vor allem aber auch ohnmächtig zu. Und diese Menschen, die muss man treffen.
Computertaste mit der Aufschrift Hass und Paragraphen-Zeichen.
Insbesondere in Kommentaren in sozialen Netzwerken wird Hass gesät.© imago / Christian Ohde

Aktiv zur Rechenschaft ziehen

Welty: Was hilft gegen diese Ohnmacht?
Gutjahr: Ich habe es mir jetzt zur Gewohnheit gemacht – ich hab zu lange zugesehen, ich hab gedacht, das geht von alleine wieder weg, aber da war ich auch sehr naiv –, man muss die Wortführer identifizieren und man muss sie tatsächlich zur Rechenschaft ziehen. Was mich ein bisschen wundert, ist tatsächlich, dass unsere Institutionen und unsere Gesetze tatsächlich … Es heißt immer so schön, das Internet ist kein rechtsfreier Raum, sagen vor allem die Innenminister und die Justizminister, aber genau in die Richtung geht auch meine Kritik, dass die dort am wenigsten machen. Wir haben Gesetze, die gelten nun mal in Deutschland, aber meine Erfahrung auch der letzten 18 Monate ist, die werden einfach nicht angewendet.
Welty: Sind Sie enttäuscht vom Netz, von der Politik?
Gutjahr: Oh ja, weniger vom Netz als von der Politik, ein Stück weit auch so ein bisschen von der Gesellschaft. Da kommen ja auch noch andere Kreise mit rein. Die Leute, die, in Anführungszeichen, das einfach ignorieren und nichts tun, die Institutionen tatsächlich, die entweder überfordert sind oder vielleicht das ganze Ausmaß dieses Problems – das ist ein gesellschaftliches Problem, das wird eines Tages auch auf die Straße gehen, da mach ich mir überhaupt keine Illusionen –, die dem einfach zu lange tatenlos zuschauen.
Sehen Sie, wenn ich auf die Straße gehe und dort einem anderen Autofahrer oder einem Taxifahrer oder so einen Vogel zeige, dann kostet mich das mittlerweile nach der Gebührenverordnung 500 Euro aufwärts. Wenn mich im Netz aber jemand als, weiß ich nicht was, Judensau beschimpft und meine ganze Familie irgendwie in die Gaskammer wünscht, dann kostet das – also in einem Fall habe ich jemanden angezeigt tatsächlich – 250 Euro. Für mich wäre das eine Einladung tatsächlich, alle Leute zu diffamieren, auf die ich Lust habe, weil die Richter und anscheinend die Staatsanwälte meinen, das ist ja nur in der digitalen Welt, das ist ja nicht so schlimm.
Dabei, wenn Sie sich das mal auf die Welt übertragen, so ein Kommentar verfolgt Sie da Ihr Leben lang im Netz und spornt auch andere an, da mitzumachen. Wenn Sie auf der Straße jemandem einen Vogel zeigen, ich glaube, das haben alle Beteiligten nach 20 Minuten vergessen.
Welty: Damit ist, glaube ich, ziemlich klar, was sich ändern muss. Der Journalist, Moderator und Blogger Richard Gutjahr war und ist im Netz zahlreichen Anfeindungen ausgesetzt, und über die Gegenstrategie hat er mit uns gesprochen. Herr Gutjahr, herzlichen Dank, alles Gute und etliche Oms für größtmögliche Gelassenheit!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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