RIAS Kammerchor

Dirigentenforum: Keine Angst vor den Profis

RIAS Kammerchor
Chor mit Weltformat: Der RIAS Kammerchor. © Matthias Heyde
Von Mascha Drost · 03.02.2015
Der RIAS Kammerchor gilt als einer der besten Chöre der Welt, der nur erfahrene Dirigenten vor sich duldet. Eine Ausnahme ist der Workshop des Dirigentenforums: Hier dürfen sich Studenten als Chorleiter ausprobieren.
Die junge Dirigentin wird von allen Seiten beobachtet – vor ihr stehen 40 Sänger, seitlich beäugt der Dozent kritisch jede Bewegung und an der Rückwand des Probensaales sitzen die anderen Teilnehmer des Dirigentenworkshops. Aber Hsin-Chien Chiu lässt sich nicht beirren – souverän steht die junge Chinesin vor einem der weltbesten Kammerchöre, sicher, selbstbewusst und mit sichtlicher Freude über den wunderbaren Klang, der ihr entgegenströmt.
"Man möchte, wenn man vor so einem Profichor steht, niveau- und anspruchsvolle Sachen machen, das ist ein ganz anderes Startniveau."
Hsin studiert in Weimar und ist Leiterin einer kleinen Kantorei in Sachsen. Berührungsängste mit dem Chor gab es höchstens bei der ersten Probe, jetzt gibt sie ohne Scheu Anweisungen, unterbricht die Sänger und korrigiert auch ein zweites oder drittes Mal.
Nicht zu viel Respekt vorm Ensemble
Sich von der Qualität eines Weltklasse-Ensembles nicht einlullen zu lassen, sich trauen, Kritik auf höchstem Niveau zu üben – darum geht es bei diesem Workshop. Der RIAS Kammerchor verlangt den Studenten alles ab, manchmal sogar eine andere Sprache.
"Gestern zum Beispiel fragten die Chorleute, was meinst du denn mit Gabel machen oder aufmachen, habe überlegt, bei meiner Kantorei kann ich nicht sagen: Machen Sie bitte mezza di voce, machen Sie cresc., decresc., viele können das verstehen, aber manche Omis und Opis, für die ist das fremd. Hier aber geht es darum, präzise ranzugehen, aber nicht zu streng. Mein Lehrer sagt immer, es sind überall Menschen."
Gläser: "Sie können noch so schön dirigieren, wenn Sie keinen Draht zum Ensemble bekommen, besonders menschlich, passiert nicht viel."
Prof. Michael Gläser leitet den Workshop, ein erfahrener Chordirigent, viele Jahre Chef des Bayerischen Rundfunkchores. Es sind nicht nur künstlerische Anregungen, die er den Studenten mitgibt, sondern ebenso viel Handwerk.
"Wie komme ich in einer Stunde mit der Zeit zurecht. Dass ich die wichtigen Dinge probiere, die unwichtigen vielleicht überspringe, um wichtige Übergänge oder intonatorisch schwere Stellen zu arbeiten, da versuche ich Ihnen zu helfen und natürlich auch dirigiertechnische Dinge, wenn zum Beispiel ein Übergang nicht funktioniert von Ganzen in drei, dann ist das meine Aufgabe, ihnen das zu sagen."
Sängerin: "Also, Herr Rademann sagt immer: Der RIAS KC ist der Rolls Royce, und es wäre am Anfang ganz ungewohnt gewesen, diesen Wagen zu fahren, das Bild ist gut und man braucht eben auch einige Zeit an Erfahrung, um mit diesem Ensemble umzugehen", ...
...sagt Marie-Luise Wilke, Altistin im Chor. Und wenn es schon einem so erfahrenen Chordirigenten wie ihrem Leiter Christoph Rademann so geht, wie fühlt sich dann erst ein Berufsanfänger wie Lukas Grimm am Steuer?
Lernen von den Besten
"Zuerst passt man natürlich auf, dass man die Ledersitze nicht beschmutzt, wir hatten am Anfang wahnsinnigen Respekt, haben wir natürlich immer noch, und sehr viele Berührungsängste ein Stück weit, man kennt sich erstmal selber nicht mehr, denn wenn man seinen eigenen Chor gewohnt ist und die Probenarbeit, die man dort macht, wo man vitaler ist, weil es familiärer ist, und hier ist man sehr seriös und probiert ja nichts Falsches zu sagen, die singen natürlich alle viel besser als man selbst, und dann traut man sich auch nicht da so viel zu korrigieren, muss es eben aber doch tun."
Am Ende jeder Probe ist es dann andersherum, dann müssen die drei Studenten der Kritik standhalten – und wie sie da, zu dritt in der Mitte der großen Saales hocken, und zu erhöht sitzenden Sängern aufblicken – da können Sie einem fast ein wenig leid tun. Niemand kritisiert einen Dirigenten schonungsloser als sein Ensemble – doch genau darum geht es in den vier Tagen: Lernen von den Besten, was man sagt, wie man es sagt, auf menschlicher wie künstlerischer Ebene.
Doch davon abgesehen – überhaupt einmal vor einem solchen Chor zu stehen, sei schon ein musikalisches Geschenk, so die Teilnehmer des Kurses. Und für das eigene musikalische Selbstbewusstsein waren diese vier Tage ein regelrechter Crashkurs.
Lukas: "Das ist natürlich auch die Eigenschaft eines Rolls-Royce-Chores, dass Musik von beiden Seiten gemacht wird, es ist ein Miteinander, bei dem man aber auch sehr viel geben muss, sonst wird man nicht respektiert."
Mehr zum Thema