Rhythmisches Gebet

Von Sandra Stalinski |
Während sich in Deutschland Religion vor allem hinter den Mauern von Gotteshäusern abspielt, ist sie in Brasilien in allen Lebensbereichen präsent. Das geht auch auf den Einfluss der afrikanischen Einwanderer zurück - vor allem in der Küstenstadt Salvador da Bahia.
Während sich in Deutschland Religion vor allem hinter den Mauern von Gotteshäusern abspielt, ist sie in Brasilien in fast allen Lebensbereichen präsent. In der nordöstlichen Küstenstadt Salvador da Bahia ist die religiöse Kultur stark von afrikanischen Einwanderern geprägt – und allen Winkeln der Stadt zu spüren.


Bei diesen Rhythmen kann niemand still stehenbleiben. Die Menschen reißen die Arme in die Luft und wackeln zu Samba-ähnlichen Tanzschritten mit den Hüften. Aber wir sind nicht im Tanzclub, sondern in einer Kirche in Salvador da Bahia, im Nordosten Brasiliens.

So hört es sich an, wenn die katholische Gemeinde do Rosário dos Homens Pretos um Vergebung bittet. Es ist eine besondere Gemeinde: ihre Mitglieder sind fast ausschließlich schwarz. Afrikanische Sklaven haben sie vor mehr als 300 Jahren gegründet. Dieses Erbe versucht die Gemeinde heute noch wach zu halten, sagt der Prior Ubirajara Santa Rosa, der von allen nur Bira genannt wird.

"Wir haben hier ein Lied, wenn wir das singen, sind immer alle sehr gerührt: 'Ja, ich bin Schwarz und dafür schäme ich mich nicht. Seit der Abschaffung der Sklaverei kämpfe ich.' Und dann heißt es noch: 'Geh, sag ihnen, dass die Farbe meiner Haut unglaublich schön ist.' Dieses Lied drückt sehr gut die Bedeutung unserer Gemeinschaft aus. Wir stärken das Selbstbewusstsein, Schwarze zu sein, bei jeder Gottesdienstfeier wieder neu."

Die Gemeinde wird von der sogenannten "Bruderschaft der schwarzen Männer" geführt, einer Gemeinschaft von Laiendominikanern. Um einen bestimmten Heiligen zu verehren, war es den Sklaven erlaubt, solche Bruderschaften, brasilianisch: 'irmandades' zu gründen. Auf diese Weise konnten die afrikanischen Sklaven ihre eigene Religiosität und Kultur pflegen. Hatten ihre eigene Kirche, wo sie aufrecht durch die Vordertür hineingehen konnten und sich nicht verstecken mussten, wie Bira sagt. Eine besondere Ehre sei es für die Bruderschaft gewesen, als sie gut zehn Jahre nach Abschaffung der Sklaverei offiziell zum Dritten Orden ernannt wurden. Also als Laiengemeinschaft in den Orden der Dominikaner aufgenommen wurden.

"Dieser Titel wurde uns am 2. Juli 1899 zuerkannt. Man muss sich mal vorstellen, dass wir Schwarzen in der Zeit davor nichts wert waren, dass wir nur Material, nur Verkaufs- und Gebrauchsgegenstände waren. Erst vor diesem Hintergrund wird deutlich, was für eine große Anerkennung das von den Dominikanern war. Dass eine Kirche von Schwarzen diesen Titel erhält."

Gottesdienste mit afrikanischen Riten und Instrumenten
Diese Laienbruderschaften, von denen es in Brasilien viele gibt, haben viel dazu beigetragen, die afrikanische Kultur in der brasilianischen Gesellschaft lebendig zu halten. Ihre Gottesdienste sind durchsetzt von afrikanischen Rhythmen, Riten und Instrumenten, wie dem Agogô zum Beispiel: zwei kegelförmigen Metallglocken auf die man schlägt, der Atabaque – einem Set aus drei Percussiontrommeln. Oder der Xequerê, einer Art Rassel.

"Wie die Leute sich bewegen, wie die tanzen vor allem bei der Gabenbereitung. Das ist ein katholischer Gottesdienst, auch die Liturgie ist durchweg römisch-katholisch, allerdings massiv gefüllt mit Elementen aus dem Candomblé. Instrumente, die Bewegung der Menschen, wie die diese Gabenbereitung, wie die dieses Brot abgeben vorne beim Priester, die Schritte. Das erinnert ganz stark an einen Kult des Candomblé."

Der Kulturwissenschaftler Alexander Gropper hat sich mit dem Candomblé, einer afro-brasilianischen Geisterreligion beschäftigt. Den afrikanischen Sklaven, die bei ihrer Ankunft in Brasilien alle zwangsgetauft wurden, war es verboten, diese Religion auszuüben. Es ist ein Paradox: Aber gerade durch die katholischen Bruderschaften, die Irmandades, konnten sie ihre Religionen bewahren. Unter ihrem Deckmantel übten sie ihre Kulte weiterhin aus.

"Wenn man das historisch betrachtet, sind die Irmandades die Wiegen des afro-katholischen Synkretismus, also der Vermischung zwischen diesen Religionen. Die Sklaven gingen zu ihren Gottesdiensten, haben dann Parallelen erkannt zwischen den katholischen Heiligen und ihren Göttern in Afrika, ihren Orixás. Haben zwar öffentlich diesen Heiligen angebetet, aber dahinter ihren Orixá, ihren afrikanischen Gott verehrt."

Von diesen Vermischungen grenzt sich die Bruderschaft in Salvador heute allerdings ab. Ihre Frömmigkeit und Liturgie sei streng katholisch, sagt der Prior Bira. Stolz ist er aber darauf, dass seine Bruderschaft einen wichtigen Anteil daran hat, eine - wie er sagt - schwarze Identität und Kultur in Brasilien zu bewahren. Und die ist in Salvador und im gesamten Bundesstaat Bahia allgegenwärtig: In der Musik, in der Kleidung, im Essen. Und all das transportiert durch die Religion.

Als die Messe in der Gemeinde do Rosário dos Pretos aus ist, strömen die Gläubigen weiter ins Stadtzentrum, das jeden Dienstagabend einer großen Party gleicht – mit zahlreichen Liveshows und Sambagruppen. Nur einen Steinwurf von der Kirche entfernt, tritt wie jede Woche der Musiker Gerônimo auf. Auch seine Musik ist voll von afrikanischen Rhythmen und Instrumenten. Zu Beginn jedes Auftrittes singt er ein Lied zu Ehren verschiedener Götter, auch eins für den christlichen Gott.

Viele, die eben noch im Gottesdienst zum Halleluja getanzt haben, tanzen auch hier, allerdings eng umschlungen und mit einem Bier in der Hand. Das Heilige und das Profane liegen in Brasilien – und vor allem in Salvador da Bahia sehr nah beieinander.


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