"Rheinsteigen"' bitte

Von Anke Petermann · 02.11.2005
Ein Wanderweg nach neuesten Qualitätsstandards soll dem Natur- und Kulturtourismus in Deutschland neuen Schub geben. Der jüngst eröffnete "Rheinsteig" durchquert auf 320 Kilometern den Rheingau, das Mittelrheintal und das Siebengebirge.
Der rechtsrheinische Weg zwischen Wiesbaden und Bonn führt in idyllische Täler hinab und zu trutzigen Burgen hinauf, gibt spektakuläre Ausblicke auf den Rhein frei. Der längste Weg-Abschnitt liegt in Rheinland-Pfalz.

Aufstieg durch die bewaldete Pulsbachklamm, ein felsiges Seitental bei Kamp-Bornhofen am Oberen Mittelrhein. Das Wasser plätschert über Schieferbrocken, nur wenige Sonnenstrahlen dringen ins Tal. Die Wegkante überm Bach fällt zuweilen erstaunlich schroff aus – Karin Hünerfauth-Brixius, Rheinsteig-Projektleiterin, passiert die Enge mit energischen Schritten und sagt mit Blick zurück:

Hünerfauth-Brixius: "Wenn man einen Bereich hat wie eben, wo der Weg 30 bis 40 cm nur breit ist, gleichzeitig 'ne gewisse Fallhöhe vorhanden ist, dann ist das ein gefährlicher Abschnitt. Man kann nicht erwarten, nur weil man am Rhein ist oder im Mittelgebirge, dass die Wege alle gemütlich sind. In den Alpen würde man das als völlig normal hinnehmen und die Gefahr, die damit mit Sicherheit verbunden ist: wenn man einen Fehltritt macht, landet man eben in der Klamm. "

Feste Schuhe und tiefes Durchatmen sind also nötig, um an schroffen Schieferhängen und feucht bemoosten Grotten vorbei aus der tief eingeschnittenen Schlucht auf die Rheinhöhe zu kommen.

Hünerfauth-Brixius: "Das ist 'n typisches Seitental am Rhein. Ganz viele solcher Seitentäler müssen auch am Rheinsteig durchquert werden, und deswegen kommen auch diese ganzen Höhenunterschiede zusammen. "

500 Höhenmeter auf einer Tagestour – am Rheinsteig zwischen Rheingau und Siebengebirge kein Problem. Karin Hünerfauth-Brixius, und Michael Sterr, Wege-Manager aus dem Westerwald, machen die Tour rheinaufwärts Richtung St. Goarshausen sozusagen dienstlich. Mehr als auf Moose und Schieferformationen achten sie darauf, ob der Weg und die Holzpfeiler mit den Markierungen in Ordnung sind: ein geschwungenes weißes R auf blauem Grund für den Rheinsteig selbst, auf orangefarbenem Grund für Rheinsteig-Zuwege - wie den besonders urwüchsigen durchs Pulsbachtal.

Hünerfauth-Brixius, Michael Sterr: "Und damit das ordentlich gemacht ist, wird das noch mal überprüft. - Zum Beispiel so was. Hast du das eben auch schon gemerkt? "

Der Wegweiser ins Tal ist nicht ganz im passenden Winkel ausgerichtet, befinden die Experten. Sie nehmen es genau – schließlich ist der Rheinsteig nicht irgendein Spazierweg für volle Bäuche nach üppigem Mittagsmahl. Sondern: ein von Wissenschaftlern und Touristikern sozusagen "komponierter" Weg für eine neue Klientel, sportlich und kulturell anspruchsvolle Wanderer.

Hünerfauth-Brixius: "95 Prozent sind vorhandene Wege, nur ca. 5 sind wieder geöffnete zugewachsene Wege, historische kleine Postwege, wie zum Beispiel in Kestert und Ober-Kestert, den haben wir mit dem Rheinsteig-Konzept wieder geöffnet. Oder einen Hohlweg in Lorch. Und dann vielleicht zwei Prozent, wo wirklich ganz neu 'n Weg gemacht wurde. Wollten wir ja auch nicht, wir haben ja genug schöne Wege hier, die muss man einfach nur schön vernetzen und verbinden. "

Das schön Vernetzte soll das Zeug zum "Premium-Wanderweg" haben, soll gar der "deutsche Leitweg" werden, wie es der Rheinsteig-"Erfinder", der Marburger Natursoziologe und Wanderforscher Rainer Brämer mal formuliert hat. Und beim ‚deutschen Leitweg’ sollten die Markierungspfosten fest stehen wie deutsche Eichen, scheinen Projektleiterin und Wegemanager zu denken, rütteln kräftig an einigen, schauen dann skeptisch und machen Notizen.

Schräg zum steilen Hang geht es jetzt auf schmalem Pfad durch ein Eichenwäldchen. Erste Ausblicke auf den Rhein im Tal. Nach dem Aufstieg durch die dunkle, feuchte Klamm funkelt der Strom besonders eindrucksvoll in der Sonne. Im Gegenlicht zeichnen sich die Silhouetten gleich mehrere Grüppchen von Touristen ab.

Hünerfauth-Brixius, Wanderer: " Hallo! - Guten Tag! - Jetzt gibt's Stau. – Erhöhtes Verkehrsaufkommen. - Hallo! "

Die Lensings aus Borken in Westfalen sind da gestartet, wo am rechten Rheinufer Hessen aufhört und Rheinland-Pfalz beginnt, das Ehepaar Bethge aus Bad Homburg hat zugunsten der Entdeckung unbekannten Territoriums am Rheinsteig den üblichen Rüdesheim-Ausflug ausfallen lassen.

Barbara Mohr-Lensing und Bernhard-Lensing, Hermann Bethge: "
Wir sind von Kaub – nee von Lorch aus - gelaufen und sind jetzt zwei Nächte hier, sind also immer weiter gelaufen, haben aber für die nächste Nacht noch mal Quartier für den gleichen Ort, also in St. Goarshausen, und werden jetzt mit dem Schiffchen zurück fahren – Bahn und Schiff nutzen. – Also, ich find' das 'ne tolle Einrichtung, denn sonst kommt man ja selten in diese Gegend, und vor allen Dingen diese Pfade würde man gar nicht lang laufen, wenn das nicht so schön ausgeschildert wäre. "

Rheinisch-westfälische Lobeshymnen auf Landschaft und Wegführung:

Bernhard und Barbara (Mohr-)Lensing: " Immer wieder den Rhein zu sehen, ist einfach fantastisch. Die Landschaft ist so wahnsinnig schön, das darf man nicht missen. – Dass sie so abwechslungsreich ist. Es ist mal am Rhein, es ist mal im Wald, mal über Ackerland. Eigentlich alles, was Deutschland so zu bieten hat, ist hier auf engem Raum. – Was auch sehr schön ist, ist, dass man durch Weinwege läuft und dann durch Nadelwälder und dann durch lichte Wälder. Hier ist es schon wie alpin so ein bisschen – dann hat man diese Strauchvegetationen – viele schöne verschiedene Vegetationszonen fast schon - sehr nah bei einander, das ist schön. "

Die Düsseldorferin, die sich so für die Verschiedenheit der Vegetationszonen begeistert, stöhnt allerdings bei der späteren Rast auf einer Bank am Ausgang des Eichenwäldchens, dass man sich die spektakulären Ausblicke so hart erarbeiten muss...

"Ja, das ist halt die große Belohnung, wenn man sich raufgequält hat mit ätzender Lunge und zusammenbricht und keinen Atem mehr hat. Aber man kann sich dann wirklich freuen, wenn man oben steht und was sieht. "

Das Auf und Ab ist kein Patzer in der Wegführung auf dem Abschnitt im Oberen Mittelrheintal, sondern erklärtes Prinzip des Rheinsteigs auf 320 Kilometern zwischen Wiesbaden und Bonn.

Ortswechsel zur Burg Sterrenberg auf einem steil abfallenden Felsrücken hoch über Kamp-Bornhofen. Bürgermeister Roger Lewentz ist heute nicht in Wanderstiefeln unterwegs. Im feinen Zwirn entsteigt er dem Auto, um gemeinsam mit dem Mainzer Staatssekretär der Finanzen zu besichtigen, was die Landesgelder für den Erhalt der Burg gebracht haben. Wie die meisten seiner Amtskollegen in der Region, so war auch Roger Lewentz der festen Überzeugung, er kenne seinen Wald am besten, und der 100 Jahre alte Rheinhöhenweg sei als Premiumwanderweg wunderbar geeignet. Zu viel Asphalt, zu monoton, befanden dagegen die Experten. Inzwischen bekennt auch Lewentz: der Erfolg gibt dem Bergauf-Bergab-Konzept recht, dem er anfangs skeptisch gegenüberstand.

Roger Lewentz: "Wir haben eine Nachfrage wie doll. Also der Rheinsteig ist voll eingeschlagen, der ist ja in diesem Jahr nur rudimentär beworben, die richtige Werbung geht ja erst im nächsten Jahr los. Und wir sind so erstaunt, positiv erstaunt, über die Resonanz. Das ist ein sehr kaufkräftiges Publikum, dass nachfragt. Nachfragen bedeuten Zimmerbuchungen, Zimmerbuchungen bedeuten nicht nur Übernachtungen, sondern auch Abendessen nach dem Wandern, das Glas Wein, das dazu gehört, also daher erwarten wir, dass auch Geld an den Mittelrhein fließen wird. Dieses Geld wird zur Modernisierung der Häuser genutzt werden, und als Gemeinde ist man stolz, wenn man Teil dieses Rheinsteigs ist und davon mittelbar und unmittelbar partizipieren wird. "

Die "feindlichen Brüder", wie die benachbarten Burgen Sterrenberg und Liebenstein genannt werden – sie bringen dem Rheinsteig sozusagen einen Doppelpunkt. Denn ob der Weg tatsächlich zum Premiumweg taugt – das untersuchen derzeit die Berufswanderer vom Deutschen Wanderinstitut im Auftrag der Rheinland-Pfalz Tourismus GmbH. Und da zählen auch die kulturellen Highlights.

Michael Jarmuschewski ist mit schweren Schuhen, Rucksack und Klemmebrett in der Hand auf dem Rheinsteig bei St. Goarshausen unterwegs, um jeden Kilometer Rheinsteig nach je 200 Kriterien zu bewerten, Wegeformat und –belag ...

Michael Jarmuschewski: "... zum Beispiel ist der Weg breit, ist er schmal, ist er naturbelassen, ist er geschottert oder sogar geteert, ist die Natur, Landschaft drum herum schön, attraktiv, bietet sie ein Erlebnispotential wie eben tolles Relief, schöne Aussichten, schöne Wälder oder belanglose Fichtenstangen-Forsten ... "

Asphalt, breite Forstraßen, Fichten-Monokulturen, endlose Agrarflächen – all das bringt Minuspunkte, doch am Rheinsteig gibt’s davon nicht allzu viel. Oberhalb der Weinberge öffnet sich jetzt ein weiträumiger Blick auf den Rhein mit tuckernden Frachtern und der gigantischen Burg Rheinfels schräg gegenüber, deren Umrisse in der diesigen Nachmittagssonne verschwimmen. Weit unten fahren Güterzüge wie auf einer Spielzeugeisenbahn. Jarmuschewski ist im Dienst, also schwelgt er nicht, sondern benotet die Aussicht nach Punkten.

Michael Jarmuschewski: "Ja, so was ist dann eben ganz großartig – der Rhein liegt einem zu Füßen, man steht richtig an der Steilkante. Es wird beides aufgenommen – die schöne Aussicht bekommt ihre Punkte, und die Geräuschkulisse wird auch notiert. Wenn’s dann, wie an dieser Bahnhauptstrecke, zum Lärmfaktor wird, bekommt man dafür auch Punktabzüge. Das Ganze kann sich aber in einem gewissen Rahmen gegenseitig ausgleichen, solange die negativen Faktoren nicht überhand nehmen. Wenn man an einem sehr schönen Tunnelportal vorbeikommt, die es ja nun auch am Rhein gibt, ist das durchaus ein Pluspunkt. Und wenn man hoch überm Rhein steht und die Bahn als schöne Linie in der Ferne ziehen sieht, kann das auch durchaus ein Pluspunkt sein, dieser Modellbahncharakter, der dabei entsteht. Es kommt manchmal auf die Perspektive und die Distanz zu verschiedenen Dingen an. "

Welche Wege und Aussichten Wanderer mögen - die Geografen und Soziologen des Deutschen Wander-Instituts haben das in umfangreichen Befragungen ermittelt. Außerdem fanden sie heraus, das ein verlässliches Qualitätssiegel für Wanderwege erwünscht ist.

Michael Jarmuschewski: "Zum Teil sind sie vor fünfzig Jahren angelegt worden, mittlerweile sind die Wege eben asphaltiert, oder Neubaugebiete sind entstanden, die Wege sind nie verlegt worden. Der Wanderer weiß also eigentlich vorher nie so genau, was auf ihn zukommt, wenn er auf einem markierten Weg läuft. Und er möchte aber ganz gern, wenn er mal ein Wochenende irgendwohin fährt, die Gewissheit haben, dieser Weg ist schön und ich finde diesen Weg auch, und diese Gewissheit bekommt er einfach mit dem Gütesiegel. Er weiß einfach, der Weg ist sehr gut markiert in beide Richtungen, er wird ihn auf jeden Fall finden. Und dieser Weg garantiert ihm einfach einen Wandergenuss - natürlich mit Höhepunkten, vielleicht auch mal mit kleineren Durststrecken, aber diese Durststrecken werden nie so lang sein, dass er länger als eine Stunde leiden muss. "

... auch im konkreten Sinn, denn ob es Lokale am Weg gibt, wird auch bewertet. Deren Qualität allerdings nicht, jedenfalls nicht vom Deutschen Wanderinstitut. Um diesen Aspekt kümmert sich der Deutsche Wanderverband, der Dachverband der Gebirgs- und Wandervereine. Anfang des Jahres begann er in Bayern, unter dem Motto "wanderbares Deutschland" ein Gütesiegel für Qualitätsgastgeber zur vergeben. Am Rhein soll das fortgesetzt werden.

Noch einmal zurück zu den Wanderern aus Borken, die da oberhalb der Pulsbachklamm durch das Eichenwäldchen marschieren. Sie haben den Gastgeber-Test bereits hinter sich. "Uns überrascht", sagt Bernhard Lensing,

Bernhard Lensing: "... dass in den Orten die Hotels zwar da sind, aber ich habe immer so den Eindruck, das ist so 70er Jahre-Stil. Da muss man was dran tun, denke ich. Also uns reicht es, wenn man eine Nacht dort schläft, aber ich könnte mir jetzt nicht vorstellen, dass in den Hotels, wo wir da waren, dass man da `ne Woche Urlaub macht. Da sind die einfach nicht für ausgerüstet. Das ist sehr schade finde ich, weil sie ja so toll liegen. Also mein Eindruck ist, die Hoteliers haben noch nicht verstanden, was das heißt "Rheinsteig". Die sagen Ihnen "ja, die Wanderwege hat’s ja immer gegeben", und die hat’s ja auch immer gegeben, aber dass das ein irrer Gedanke ist, von Wiesbaden nach Bonn zu laufen oder umgekehrt und dass das Tausende von Leuten holen wird, das haben die noch nicht kapiert. "

Viele Gastwirte hatten sich jahrzehntelang gern mit einer einfachen Klientel arrangiert: Kegeltouristen, deren gastronomische Ansprüche in umgekehrt proportionalem Verhältnis zum Grad der Alkoholisierung standen.

Das Landgasthaus Blücher in Dörscheid liegt auf der Hochebene direkt am Rheinsteig - eines der wenigen Qualitäts-Flagggschiffe auf diesem Abschnitt. Hier gibt es frisch zubereitetes Wild aus heimischem Revier, Wein vom familieneigenen Weingut. Auf dem Tresen liegen die neuen Rheinsteig-Wanderführer und -karten als Leihexemplare für Gäste. "Im nächsten Jahr schaffen wir zwei neue Arbeitsplätze – wegen des Rheinsteigs", sagt Nadja Fetz, Mitinhaberin des Familienhotels in dritter Generation:

Nadja Fetz: "Wir haben vor, uns nächstes Jahr auf die Wandergäste ein bisschen zu spezialisieren. Das zeigt sich in einer Pauschale für Wandergäste, die wir anbieten. Das erstreckt sich auf vier Nächte, da ist alles inklusive. Also, die Gäste haben den Transfer inklusive, dass sie zu den verschiedenen Ausgangspunkten gebracht werden, zu denen sie einsteigen möchten in den Rheinsteig. Sie können sich ein Lunchpaket zurecht machen. Wir haben einen Wanderkleidungs-Trockenraum, den können sie kostenlos nutzen – und abends möchten wir unsere Gäste ein bissle verwöhnen, wenn die einen anstrengenden Wandertag hinter sich hatten. "

Durch jahrzehntelangen Billig-Tourismus, Wegzug und Überalterung ist die Handels- und Gastronomie-Szene ausgeblutet. Wenn sie sich nicht schnell berappelt, fürchtet die Familie Fetz, dass die ersten Wandertouristen enttäuscht wieder abziehen. Der Aufschwung kann nur gemeinsam mit anderen gelingen. Zukunftswünsche:

Nadja Fetz: "Ganz viele Kollegen, die mitziehen, da hat jeder was von, und dass man sich `n bisschen aufteilen kann, dass man die Gäste auch woanders hin schicken kann – das wär' toll. "