Rezepte lesen im Englischunterricht
Der gebürtige Ire, der mit "Die Asche meiner Mutter" berühmt wurde, hat nun ein Buch über seine Zeit als Lehrer in New York geschrieben. In "Tag und Nacht und auch im Sommer" geht es darum, das Lehren zu lernen und Mensch zu werden. Witzig und ironisch schreibt Frank McCourt über sein Leben und spart auch die dunklen Seiten seiner Vergangenheit nicht aus.
Mit 66 Jahren hat er sein erstes Buch veröffentlicht, über seine elende irische Kindheit in Armut, Angst und Katholizismus. "Die Asche meiner Mutter" wurde ein Weltbestseller. Jetzt, im inzwischen dritten Teil seiner Memoiren, erzählt Frank McCourt über sein Leben als Lehrer in New York.
Dreißig Jahre lang hat er unterrichtet, 33.000 Stunden gegeben, vor etwa 12.000 Schülern gestanden. so der etwas irreführende deutsche Titel des Buches. "Teacher Man" heißt es treffender im Original.
Denn in diesem Buch geht es darum, das Lehren zu lernen und Mensch zu werden. Keine Schablone, kein Roboter, sondern ein lebendiges Wesen. Nicht zu verkümmern in Trott und Einerlei, sondern immer wieder die Kinder und sich selber blühen zu lassen. Lernlust zu entfachen in ihnen und in sich, zu jubeln, zu irren, zu versagen und dennoch weiterzumachen.
Witzig, liebevoll und voller Selbstironie schreibt McCourt ein hinreißendes Buch über ein Leben, das kaum als hinreißend zu bezeichnen ist, was auch früher schon sein Erfolgsgeheimnis war.
Bereits der junge Lehrer McCourt träumt von einer anderen Schule. Wenn man ihn ließe, schreibt er, würde er seiner Klasse sagen: "Schiebt die Stühle weg. Legt Euch auf den Boden. Schlaft." Und wenn sie alle erst kichernd, dann gemütlich dort lägen, würde er fragen, ob nicht jemand ein Wiegenlied kenne, und gewiss würde ein Mädchen anfangen zu singen und andere fielen mit ein. Und wenn es klingelte, würden sie langsam aufstehen und "entspannt und verwundert" hinausgehen.
Ein wunderlicher Lehrer, der seine Schüler im Englischunterricht Rezepte lesen lässt; "wie Lyrik", staunen die Kinder und beginnen, zum Vorlesen zu musizieren, erst nur mit einer Flöte, dann mit Gitarren und Bongos, mit Violine und Oboe und Mundharmonikas.
Es sei ein schwerer Fehler gewesen, befinden sie, zum englischen "trifle", einer Art Pudding, die Bongos im Hintergrund zu spielen, "dazu brauche man die Zartheit und Sensibilität der Violine oder vielleicht des Cembalos", während die Schweinekoteletts geradezu nach der Mundharmonika verlangt hätten.
Und immer wieder die Zweifel des Lehrers: Ist das der richtige Weg?
Hackbratenrezepte statt Weltliteratur. Nur, stimmt nicht auch: Wer überhaupt Freude am Lesen verspürt, an Worten, der wird sich auch gegen Dickens und Tennyson nicht wehren.
Nicht Druck und Angst vor dem Rotstift sind der Königsweg zum Lernen, sondern Phantasie, Spielraum im Kopf. Dann öffnet sich das Tor zum Hirn und lässt womöglich sogar Grammatik hinein.
McCourt verschweigt nicht, dass ein Lehrer auch ein Mann ist, mit einer Vergangenheit und einer Gegenwart; er erzählt von seinem Leben als Hafenarbeiter, seiner scheiternden Ehe, seiner Lebens-Angst, seiner Trunk-Lust, die ihn in Dublin befällt, wo er eigentlich seine Doktorarbeit schreiben will.
In erster Linie ist es ein Buch über das Mensch-Sein. Wie findet man in sich die Person, die man ist. Wie wird man mutig genug, sich zu zeigen und sich nicht länger zu verbergen hinter der obligaten schützenden Maske. Wie wird man frei? Da wird der Lehrer zum Philosophen.
Als McCourt einmal mit den Jugendlichen diskutiert, was Lernen bedeutet, weil es natürlich auch in seiner Klasse jene gibt, die irritiert sind darüber, keine Wissenspakete ausgehändigt zu bekommen, die sie verschnürt mit nach Hause tragen können und die daran zweifeln, hier irgend etwas Sinnvolles zu lernen, weil es überhaupt so wenige Antworten gibt bei diesem McCourt, keine Lösungen, nichts Abfragbares, da malt der Lehrer ein großes F auf die linke Seite der Tafel und ein großes F auf die rechte Seite und zeichnet einen Pfeil von links nach rechts, von der Furcht zur Freiheit: "Ich glaube nicht", sagt er ihnen, "dass irgend jemand vollkommene Freiheit erlangt, aber was ich mit euch zusammen versuche, ist, die Furcht in die Ecke zu treiben."
Ein Buch, das Pflichtlektüre sein sollte für jeden Lehrer, Schulrat und Bildungspolitiker. Und das für jeden Leser ein kluger Genuss ist, der weiß, wie mühselig der Weg ist vom Ich-Darsteller zum Ich.
Frank McCourt: Tag und Nacht und auch im Sommer
Erinnerungen. Aus dem Amerikanischen von Rudolf Hermstein
Luchterhand Literaturverlag, München 2006
336 Seiten, 19,95 Euro
Dreißig Jahre lang hat er unterrichtet, 33.000 Stunden gegeben, vor etwa 12.000 Schülern gestanden. so der etwas irreführende deutsche Titel des Buches. "Teacher Man" heißt es treffender im Original.
Denn in diesem Buch geht es darum, das Lehren zu lernen und Mensch zu werden. Keine Schablone, kein Roboter, sondern ein lebendiges Wesen. Nicht zu verkümmern in Trott und Einerlei, sondern immer wieder die Kinder und sich selber blühen zu lassen. Lernlust zu entfachen in ihnen und in sich, zu jubeln, zu irren, zu versagen und dennoch weiterzumachen.
Witzig, liebevoll und voller Selbstironie schreibt McCourt ein hinreißendes Buch über ein Leben, das kaum als hinreißend zu bezeichnen ist, was auch früher schon sein Erfolgsgeheimnis war.
Bereits der junge Lehrer McCourt träumt von einer anderen Schule. Wenn man ihn ließe, schreibt er, würde er seiner Klasse sagen: "Schiebt die Stühle weg. Legt Euch auf den Boden. Schlaft." Und wenn sie alle erst kichernd, dann gemütlich dort lägen, würde er fragen, ob nicht jemand ein Wiegenlied kenne, und gewiss würde ein Mädchen anfangen zu singen und andere fielen mit ein. Und wenn es klingelte, würden sie langsam aufstehen und "entspannt und verwundert" hinausgehen.
Ein wunderlicher Lehrer, der seine Schüler im Englischunterricht Rezepte lesen lässt; "wie Lyrik", staunen die Kinder und beginnen, zum Vorlesen zu musizieren, erst nur mit einer Flöte, dann mit Gitarren und Bongos, mit Violine und Oboe und Mundharmonikas.
Es sei ein schwerer Fehler gewesen, befinden sie, zum englischen "trifle", einer Art Pudding, die Bongos im Hintergrund zu spielen, "dazu brauche man die Zartheit und Sensibilität der Violine oder vielleicht des Cembalos", während die Schweinekoteletts geradezu nach der Mundharmonika verlangt hätten.
Und immer wieder die Zweifel des Lehrers: Ist das der richtige Weg?
Hackbratenrezepte statt Weltliteratur. Nur, stimmt nicht auch: Wer überhaupt Freude am Lesen verspürt, an Worten, der wird sich auch gegen Dickens und Tennyson nicht wehren.
Nicht Druck und Angst vor dem Rotstift sind der Königsweg zum Lernen, sondern Phantasie, Spielraum im Kopf. Dann öffnet sich das Tor zum Hirn und lässt womöglich sogar Grammatik hinein.
McCourt verschweigt nicht, dass ein Lehrer auch ein Mann ist, mit einer Vergangenheit und einer Gegenwart; er erzählt von seinem Leben als Hafenarbeiter, seiner scheiternden Ehe, seiner Lebens-Angst, seiner Trunk-Lust, die ihn in Dublin befällt, wo er eigentlich seine Doktorarbeit schreiben will.
In erster Linie ist es ein Buch über das Mensch-Sein. Wie findet man in sich die Person, die man ist. Wie wird man mutig genug, sich zu zeigen und sich nicht länger zu verbergen hinter der obligaten schützenden Maske. Wie wird man frei? Da wird der Lehrer zum Philosophen.
Als McCourt einmal mit den Jugendlichen diskutiert, was Lernen bedeutet, weil es natürlich auch in seiner Klasse jene gibt, die irritiert sind darüber, keine Wissenspakete ausgehändigt zu bekommen, die sie verschnürt mit nach Hause tragen können und die daran zweifeln, hier irgend etwas Sinnvolles zu lernen, weil es überhaupt so wenige Antworten gibt bei diesem McCourt, keine Lösungen, nichts Abfragbares, da malt der Lehrer ein großes F auf die linke Seite der Tafel und ein großes F auf die rechte Seite und zeichnet einen Pfeil von links nach rechts, von der Furcht zur Freiheit: "Ich glaube nicht", sagt er ihnen, "dass irgend jemand vollkommene Freiheit erlangt, aber was ich mit euch zusammen versuche, ist, die Furcht in die Ecke zu treiben."
Ein Buch, das Pflichtlektüre sein sollte für jeden Lehrer, Schulrat und Bildungspolitiker. Und das für jeden Leser ein kluger Genuss ist, der weiß, wie mühselig der Weg ist vom Ich-Darsteller zum Ich.
Frank McCourt: Tag und Nacht und auch im Sommer
Erinnerungen. Aus dem Amerikanischen von Rudolf Hermstein
Luchterhand Literaturverlag, München 2006
336 Seiten, 19,95 Euro