Tillmann Bendikowski: „Die Spur des Silbers"
© C. Bertelsmann Verlag
Von Bolivien in die ganze Welt
05:35 Minuten

Tillmann Bendikowski
Die Spur des Silbers - Wie die Jagd nach Edelmetall unsere Welt verändert hatC. Bertelsmann Verlag, München 2025258 Seiten
26,00 Euro
Stärker als jedes andere Edelmetall hat Silber die Welt verändert und die frühe Globalisierung ab dem 16. Jahrhundert befördert. Das ist die These des Historikers Tillmann Bendikowski, die er in seinem neuen Buch eindrucksvoll und spannend belegt.
Als die spanischen Eroberer 1545 nach Potosí kamen, einer Siedlung im heutigen bolivianischen Altiplano auf etwa 4000 Meter Höhe über dem Meeresspiegel, staunten sie nicht schlecht: Der Berg, der den Ort überragte und von den Spaniern später Cerro Rico (Reicher Berg) genannt wurde, besaß Gesteinsschichten, die bis zu 50 Prozent aus reinem Silber bestanden.
Schier unvorstellbar für die Eroberer, war Silber in Europa doch sehr selten. Zudem war die Förderung selbst in den ergiebigsten Minen im Elsass und im Erzgebirge, in Kärnten oder auch auf Sardinien mühselig: Gestein wurde unter Tage geschlagen und dann verhüttet, um die Erze auszuschmelzen.
Silberboom in Potosí
Tillmann Bendikowski berichtet anschaulich vom Silberdiebstahl der Konquistadoren, vom Boom, der Potosí Ende des 16. Jahrhunderts mit 160.000 Einwohnern zu einer der größten Städte der Erde anwachsen ließ, von der Arbeit in den Minen am Cerro Rico, die zum Teil Zwangsarbeit war und zum Teil wesentlich besser bezahlt als die gleiche in Europa, aber die Menschen auffraß.
Hunderttausende starben an Überanstrengung, durch Unfälle, Krankheiten oder auch durch Quecksilbervergiftungen. Der Autor erzählt lebendig und detailreich von den Silbertransporten: erst per Lama-Karawane nach Callao, dem Hafen von Lima, dann per Schiff, Landtransport und wieder Schiff über Panama und Kuba schließlich nach Sevilla – und von durch Franzosen, Engländer und Niederländer gekaperten Silbertransporten.
Weltweite Warenströme
Das Edelmetall aus Lateinamerika überschwemmte Spanien und Europa und beflügelte weltweit den Warenstrom. Das Silber verblieb nämlich nicht in Spanien. Es floss, da das Land nur wenige Güter selbst produzierte, weiter in die großen Handelszentren – nach Genua, Antwerpen oder Amsterdam, wo importierte Luxusgüter aus Asien anlandeten, aber auch Stoffe oder andere Alltagswaren eingekauft wurden.
Spanien verließ sich darauf, dass die Minen in Übersee zuverlässig lieferten. Was sie taten, und so stieg die Geldmenge im Land beträchtlich schneller als die Warenproduktion. Das löste die erste großen Inflation aus – die Preise für Alltagsgüter stiegen im 16. und 17. Jahrhundert in vielen Teilen Europas teils um das Vierfache an. Manch Händler konnte davon profitieren, die breite Bevölkerung verarmte.
Von Gier getrieben
In seiner klugen Abhandlung verbindet der Autor Politik-, Wirtschafts- und Kriminalgeschichte: Was die Drei vereint, ist am Ende die Gier. Es war persönliche Gier, wenn Silbermünzen gefälscht wurden, es war staatliche, wenn Spanien seine Kolonie ausraubte oder England China mit Opium überschwemmte, um seine Silber-Handelsbilanz mit China zu verbessern, und es war eine Mischung aus beiden, als Deutschland im Nationalsozialismus jüdischen Bürgen ihr Silber raubte.
Und so ist sein Buch nicht nur eine sehr erhellende historische Erzählung, sondern lädt auch dazu ein, über Kolonialismus nachzudenken und darüber, woher wir heute unsere Rohstoffe beziehen – wer dafür zahlt und wer profitiert.