Saša Stanišić: „Mein Unglück beginnt damit, dass der Stromkreis als Rechteck abgebildet wird“

Der Schriftsteller als Spieler

Das Cover von Saša Stanišićs Band "Mein Unglück beginnt damit, dass der Stromkreis als Rechteck abgebildet wird" zeigt eine gezeichnete Glühbirne vor einem senf-gelben Hintergrund, der von einem angedeuteten Stromkreis umschlossen wird.
© Luchterhand Literaturverlag

Saša Stanišić

Mein Unglück beginnt damit, dass der Stromkreis als Rechteck abgebildet wird. Eine ErmutigungLuchterhand Literaturverlag, München 2025

160 Seiten

22,00 Euro

Von Jörg Magenau |
Wenn Reden zu Literatur werden: Saša Stanišić gelingt es, selbst aus dem eher trockenen Genre der Dankesrede etwas Unterhaltsames zu machen – indem er den Ernst spielerisch bricht und einfach seine Geschichten erzählt.
Gelegenheiten, sich in der Kunst der Dankesrede zu üben, gibt es für Saša Stanišić genug. Vermutlich gehört er zu den meistausgezeichneten deutschen Schriftstellern der Gegenwart, und jeder einzelne Preis ist mit der Erwartung verbunden, der Autor möge in seiner Dankesrede die Begründung dafür nachreichen. Oder die Rechtfertigung, den Preis auch wirklich verdient zu haben. Außerdem soll er ein paar feierliche Worte über das eigene Werk und Tiefsinniges über die Bedeutung der Literatur zum Besten geben, denn schließlich, und das weiß Saša Stanišić sehr genau, gilt die Regel:

Literatur lebt von der Erwartung, dass sich eine Erwartung erfüllt.

Aber er weiß auch:

Literatur lebt von der Erwartung, dass man auch ein bisschen unterhalten wird, bitte.

Und wer sich auf Stanišić einlässt, muss wissen:

Das Erzählen lebt von der Erwartung, dass wir ihm folgen, auch wenn es unzuverlässig ist.

Gut zu wissen also, dass die Reden von Saša Stanišić dazu tendieren, sich in Literatur zu verwandeln, also in etwas Unterhaltsames, Unzuverlässiges. Anstatt zu theoretisieren, erzählt er lieber Geschichten. Oder erfindet sie. Das ist nicht immer so leicht auseinanderzuhalten. Wenn er zwischendurch dann doch einmal gesellschaftskritisch wird, die soziale Armut oder die Zurückweisung von Flüchtlingen an der Grenze anprangert, merkt er selbst, wie erwartbar das ist und hört auch gleich wieder damit auf.
Seine Geschichten aber zielen ins Offene und lassen erfahren, „was wir gar nicht wissen“. Nur deshalb muss man sie erzählen. Sie handeln meistens von ihm selbst, von seiner Herkunft aus Višegrad, vom Jugoslawienkrieg, von der Flucht seiner Familie und vom Aufwachsen in einem anderen Land mit einer anderen Sprache. Und damit ist er dann auch schon bei seinem Thema.
Sprache ist für den, der mit fremdem Augen darauf blickt, eben mehr als eine Selbstverständlichkeit. Für den Schriftsteller ist sie gleich dreifach von Bedeutung: als Werkzeug, als Arbeitsraum und schließlich als Produkt.

Der Autor als Spieler

Doch vor allem ist die Sprache für Saša Stanišić ein Spielfeld. Seine Reden sind spielerische Übungen, in denen er sich von Wörtern oder Gegenständen anregen lässt. Die Dankesrede zum Schubart-Preis der Stadt Aalen, den er 2017 für den Erzählungsband „Fallensteller“ erhielt, ließ er ersatzweise seine Romanfigur Lada halten, Bewohner des uckermärkischen Dorfes Fürstenwerder oder vielmehr des dort angesiedelten Romans „Vor dem Fest“. Lada konnte Sachen sagen, die der Autor selbst nicht unbedingt hätte sagen dürfen:

Ich les‘ ja nicht viel, aber wenn ich mal was les‘, dann find ich Leichtigkeit super. So vom Stil her. Auch find ich Bücher gut, wo ich mich fürchte. Die beste Literatur ist die, sag ich, vor der man ein bisschen Schiss hat. Ehrlich! Ich mein jetzt nicht Horrorclowns. Sondern, du liest was, und das trifft dich so hier drin. Und du denkst dir: Ach, du liebe Scheiße.

Ein Stuhl, den Saša Stanišić auf einer Brache vor seiner Hamburger Wohnung entdeckt, reicht schon fast aus, um damit die ganze Schillerpreisrede zu bestreiten. In einer anderen Rede ist die Brache eher metaphorisch zu verstehen und wird zum Ort der Unzugehörigen, den nur verlässt, wer in der Mehrheitssprache erklären kann, was „Brache“ bedeutet.
Eine Rede, die er irgendwann einmal gerne in Graz halten würde, handelt von einem Anruf von Thomas Bernhard, der mit ihm in einem alten Peugeot 404 zu einem Treffen lebender und toter österreichischer Autoren fährt und unterwegs den Kopf in den Fahrtwind hält „wie ein gutaussehender Hund“.

Für mich ist die Sache einfach: Ich schreibe, weil ich das Spiel so sehr mag zwischen Ihnen und mir, zwischen Erwartung und Erfüllung, auf dem Spielfeld der Sprache. Der Schriftsteller ist nur da ganz Schriftsteller, wo er spielt.

Nur das Konkrete zählt

Die Lust, aus Abseitigkeiten Hauptsachen zu machen, verrückten Einfällen zu folgen, über konkrete Beobachtungen und einzelne Dinge zu schreiben anstatt übers Allgemeine, lässt sich bereits am rekordverdächtig langen Titel ablesen. Die Stromkreisunglückserwartung, die da geschürt wird, bezieht sich auf die Beobachtung, dass der Stromkreis in Physikbüchern nie rund, sondern eckig dargestellt wird. Anderen würde das nicht auffallen. Saša Stanišić macht daraus eine Rede vor Schülern des Gymnasiums Weilheim, die ihm den Weilheimer Literaturpreis verliehen haben.
Damit, Saša Stanišić auszuzeichnen, liegt man also niemals falsch. Was man dann bekommt, ist das, was man bei ihm auch erwarten darf: Fröhliche Erkenntnis, Anschaulichkeit, einen Hund im Wind und einen mit Hemd und Pullunder gekleideten Redner, der schon deshalb so unterhaltsam ist, damit die Leute nicht heimlich aufs Handy gucken.
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