Ronya Othmann: Rückkehr nach Syrien

Zurück zum großmütterlichen Sommer-Sehnsuchtsort

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Cover des Buches "Rückkehr nach Syrien. Eine Reise durch ein ungewisses Land" von Ronya Othmann
© Rowohlt

Ronya Othmann

Rückkehr nach SyrienRowohlt, Hamburg 2025

192 Seiten

22,00 Euro

Stephanie von Oppen |
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Ronya Othman ist unmittelbar nach dem Sturz Assads nach Syrien gereist – mit ihrem syrisch-jesidischen Vater. Daraus entstand eine eindrucksvolle und facettenreiche Reisereportage über die ersten Monate nach dem Umbruch.
Othmann und ihr Vater sind ein bewährtes Reiseteam. In ihrem Roman „Vierundsiebzig“ beschreibt die Autorin unter anderem eine Reise mit ihm – durch den Süden des Iraks ins Sindschar-Gebirge, an die Orte, wo 2014 der islamische Staat gewütet und Tausende Jesiden getötet oder entführt hatte.

Besuch des berüchtigten Gefängnisses Saydnaya

Nun also Damaskus, Aleppo, Homs und andere Orte im Süden Syriens im Dezember 2024. Othmann und ihr Vater durchstreifen die Städte, reden mit Menschen auf der Straße, mit alten Bekannten, mit Vertretern der diversen Minderheiten. Sie besuchen das berüchtigte Gefängnis Saidnaya, wo Angehörige verzweifelt nach ihren verschwundenen Verwandten suchen, sie sehen die Folterkeller, die winzigen dunklen Zellen, die Hinterlassenschaften eines brutalen Gefängnisterrors.
Sie kommen auch zum aufgebrochenen Palast Assads und können sich gemeinsam mit anderen Schaulustigen ein Bild machen, in welchem unermesslichen Reichtum seine Familie gelebt hat. Und sie erleben die Angst, unter anderem der Alawiten, die als Religionsgruppe, zu der die Assads gehörten, besonders gefährdet ist. Denn die neuen Machthaber unter der Führung von Muhammad al Dscholani gehören zur Miliz der Islamisten – und tatsächlich kommt es schon im Dezember zu Massakern an dieser Minderheit.
Die Reportage über die erste Zeit nach dem Assadsturz hat eine solche Intensität und zeigt so viele Facetten der Situation vor Ort, dass es überrascht zu erfahren, dass Ronya Othmann und ihr Vater schon Ende Dezember wieder in Deutschland sind. Auch von dort verfolgt die Autorin die Ereignisse und wundert sich unter anderem über zu optimistische Einschätzungen der Lage durch Nahost-Experten.

Idyllische Kindheitserinnerungen

Doch bald machen die beiden sich wieder auf, reisen diesmal über den Osten der Türkei in den Norden Syriens ein – die Region, wo der Vater aufgewachsen ist. In ihrem erster Roman „Die Sommer“ erzählt Ronya Othmann von ihren idyllischen Kindheitserinnerungen an die Besuche der Familie bei der Großmutter in einem kleinen nordsyrischen Dorf – bis 2011, dem Jahr als der Bürgerkrieg ausbrach. Die alte Großmutter flüchtete 2014 nach München zu den Eltern der Autorin. Ihr Dorf hat sie nie wieder gesehen – umso emotionaler schildert Ronya Othmann ihre Eindrücke von dem Ort nach fast 15 Jahren. Es ist zum Teil ein trauriges Bild, das sich ihr bietet – verwilderte Gärten und bröckelnde Mauren, aber die Natur rundherum und der Himmel sind sich treu geblieben.
Auch die Begegnungen mit alten Bekannten zeigen, dass der Ort lebt. In diesem zweiten Teil der „Reise durch ein ungewisses Land“ erkunden Othmann und ihr Vater die ganze Region, in der Kurden, Jesiden und andere Volksgruppen zu Hause waren und auch noch sind. Auch dieser Teil des Buches lässt ein vielschichtiges Bild entstehen – durch Gespräche mit Einheimischen, historische Einordnung, persönlichen Reflexionen.
Ein gründlicheres Lektorat hätte dem in Windeseile entstandenen Buch sicher gutgetan. Manches „aber vorher trinken wir noch einen Tee bei … “ hätte man sich sparen können. Dennoch, diese Reisereportage, die in Teilen schon in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" veröffentlicht wurde, gibt einen sehr umfassenden Einblick in die aktuelle Lage Syriens. Und einmal mehr erweist sich die vielfach ausgezeichnete Ronya Othmann im Genre literarische Reportage als großes Talent.
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