„Umgarnte mich mit Schlingen, selbst gesponnen
aus ihren losen, blonden, krausen Haaren
bei Wind auf einer grünen, frischen Wiese
die kleine Engelin; und Amor hatte
noch Leim darin gemischt und spitze Haken.“
Giovanni Boccaccio: „Auf einer Wiese, rings um eine Quelle. Sonette“
© Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung
Vom Auf und Ab der Liebe
06:56 Minuten

Giovanni Boccaccio
Christoph Ferber
„Auf einer Wiese, rings um eine Quelle. Sonette“Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung, Mainz 2025208 Seiten
24,00 Euro
In seinen Sonetten besingt Giovanni Boccaccio die Liebe. Dabei geht es genauso um die Euphorie des Verliebtseins wie um Eifersucht, Neid oder Betrug. Eine Jubiläumsausgabe zum 650. Todestag, die viele Entdeckungen bereithält.
Eine Sommergesellschaft unter schattigen Laubbäumen, Mitte des 14. Jahrhunderts. Zu ihr gehört eine junge Frau, die dem Sprecher des Gedichts auffällt. Ob er selbst Teil der Gesellschaft ist oder heimlicher Beobachter? Es bleibt offen. Doch sofort ist er von der eleganten Kleidung der Frau und von ihren „schönen Augen“, wie es heißt, gefangen. Und bei den Blicken bleibt es nicht. Denn es heißt weiter:
Haare verwandeln sich in Schlingen
Man staunt beim Lesen, wie sich die Haare hier in Schlingen verwandeln und Amor ins Spiel kommt und alles noch steigert, indem er die Haare sogar mit „spitze[n] Haken“ versieht.
Zugleich meint man sich vage zu erinnern: Hatte nicht schon Dante die Geliebte mit einem Engel verglichen? Und wie raffiniert das Gedicht gebaut ist! So wie sich die Schlingen der Liebe immer weiterzuziehen, spitzt sich die gedankliche Fügung zu und findet ihr Finale in einem schrägen Reim:
„Ich weiß, selbst wenn in meine Kraft ich großes
Vertrauen hatte, ward ich doch gefangen
in diesen so noch nie gespürten Schlingen.“
Literarische Tradition statt Herzschmerz
Über die Liebe zu schreiben, erst recht im Gedicht, das hieß im 14. Jahrhundert weniger, die eigenen „Herzensergießungen“ festzuhalten, wie es die Romantiker später nennen sollten, als sich mit einer Tradition auseinanderzusetzen, mit bestimmten Motiven und Genrevorgaben, und gleichzeitig alle Mittel der Sprache aufzufahren, um das Gedicht zum Klingen zu bringen.
Das Sonett trägt dieses Klingen – „Sonare“ – sogar im Namen. Giovanni Boccaccio hat in der Sonettform sein ganzes Leben lang Verse geschrieben. Auch wenn er vor allem für seine Prosawerke wie die berühmte Novellensammliung „Il Decamerone“ bekannt ist und die Prosa auch in seiner Selbsteinschätzung stets an erster Stelle stand, ließ ihn das Gedicht nie los.
Nun hat der Übersetzer Christoph Ferber zu Boccaccios 650. Todestag eine schöne kleine Auswahl aus den gut hundert überlieferten Gedichten Boccaccios zusammengestellt. 53 Sonette, die allesamt der italienischen Sonettvariante folgen: 14 Zeilen, die in zwei Quartette und zwei Terzette unterteilt sind.
Der Dichter denkt auch über das Schreiben nach
Die Entstehungsdaten vieler Boccaccio-Gedichte sind ungesichert. Christoph Ferber hat seine Auswahl als eine Art Stationendrama der Liebe komponiert. Vom Sich-Verlieben geht es über das Verliebtsein und Bewundern zu Lobgesängen auf die Angebetete, bis schon bald die Sehnsucht und vor allem die „Martern“ der Liebe im Vordergrund stehen. Dabei rutscht Boccaccio manchmal auch auf die Meta-Ebene, denkt über das Schreiben nach und bedient dabei den schon aus der Antike bekannten Unsagbarkeitstopos:
„[Ich] spürte, wie sich meine Geister rührten
und sie mit Liebe preisen wollten, aber:
kann, was ich fühl’, ich treffend je beschreiben?“
Die meisten der Sonette freilich besingen das Auf und Ab der Liebe. Der Euphorie des Schwärmens folgt schnell die Einsicht in die Vergänglichkeit jeder Liebe, in Schmerzen, die sogar zum Selbstverlust des Liebenden und zu Todesgedanken führen können. Nicht zu reden von Eifersucht und Neid, weil die Liebe nicht erwidert wird.
Traditionslinien: Von der Troubadour-Dichtung bis zu Dante
Der Auswahlband ist als Leseausgabe angelegt, die Boccaccios Gedichte einem größeren Publikum näher bringen soll, wie Christoph Ferber in seiner Vorbemerkung betont. Trotzdem muss man auf die Vorzüge einer wissenschaftlichen Edition nicht verzichten. Sie finden sich gleichsam eingeschmuggelt in die gewitzten Anmerkungen und das umfassende Nachwort, beides von der Romanistin Franziska Meier angefertigt, die eine ausgewiesene Dante- und Boccaccio-Spezialistin ist.
Sie zeichnet die Traditionslinien nach, die von der Troubadour-Dichtung und dem Minnesang mit ihren festen Sprachkonventionen und dem ritualisierten Schwärmen und Klagen bis zu Dante führen. Er nutzte vor allem die Volkssprache für seine Gedichte, das „Volgare“, und wollte gegen das vorherrschende Latein eine eigene italienische Dichtungssprache schaffen. Boccaccio folgt ihm darin, obwohl er gerade in späteren Jahren vor dem Hintergrund des aufkeimenden Humanismus auch das Lateinische verwenden sollte.
Kritik an der katholischen Körperfeindlichkeit
Dazu lässt er zahllose Gestalten aus der griechischen und römischen Mythologie durch seine Verse wandern, flattern und schwimmen, von der Titanin Tethys bis zu Neptun, dem Gott des Meeres. Über die antike Mythologie und ihre Sinneslust kann er wie nebenbei die Körperfeindlichkeit des Katholizismus kritisch reflektieren. Trotzdem bedient er sich auch beim Hohen Lied und anderen Bibelstellen und verbindet zugleich einen moralischen Impetus mit der Geliebten:
„So dass, wenn ich im Herzen sie betrachte,
mir ist, als wäre ich auf einmal besser.“
Obwohl es auch einige allenfalls solide Gedichte in der Auswahl gibt, ist es bewundernswert, wie Boccaccio in seiner Auseinandersetzung mit der Überlieferung immer wieder ganz eigene poetische Funken schlägt. Es mag das Bild einer Eislandschaft sein, das er dem inneren Brennen des Liebenden gegenüberstellt, oder das Herz, das bisweilen im Feuer regelrecht „verkohlt“. Und ein ums andere Mal zeigt er starke Frauenfiguren, die selbst das Wort ergreifen und dem Schwärmer klar machen, sie hätten ihn um seine Liebe nicht gebeten.
Starke Frauenfiguren ergreifen das Wort
Christoph Ferber hat in seinen Übersetzungen die Metren, meist fünfhebige Jamben, überzeugend nachgebildet. Die Reime fängt er in Halbreimen und Assonanzen ein und lässt so den historischen Abstand spürbar werden, verdeutlicht aber eben auch Boccaccios Können. Denn was für die Schlingen der Liebe gilt, gilt nicht weniger für die Sonette:
„So kunstgerecht ist alles dort verknotet.“
Wer diesen großen Dichter der Liebe kennenlernen will, der kann sich von Boccaccios Sonetten umgarnen lassen und in dem schön gestalteten Bändchen viele Entdeckungen machen.









