Revolutionäre Umbrüche

Von Kathrin Hondl |
In der Schau "dégagements - la tunisie un an après" erinnert das Institut du Monde Arabe in Paris an die Jasmin-Revolution. Zu sehen sind Werke und Dokumente von rund 20 vorwiegend tunesischen Künstlern.
Ein Museum für moderne und zeitgenössische Kunst gibt es in Tunesien bisher nicht. Aber es gibt jetzt ein "Volkskomité für den Schutz des Nationalen Museums für moderne und zeitgenössische Kunst in Tunis".

Nach dem Vorbild der Volkskomités, die die Menschen damals in den Vierteln von Tunis gründeten, um sich gemeinsam vor der Gewalt des Regimes zu schützen hat der Künstler Halim Karabibene das Verteidigungskomité für das noch nicht existierende Museum im vergangenen Jahr gegründet: Auf großformatigen Schwarz-Weiß-Fotos posiert er als "Soldat Nr. 1" des Kunstschutz-Komités – in Malerschürze, auf dem Kopf ein Dampfkochtopf, den Topfdeckel als Schutzschild in der Hand. In der gleichen Montur hat er auch viele andere Männer und Frauen in Tunis fotografiert.

"Es ist ein don-quijoteskes Projekt", erzählt Halim Karabibene, "eine imaginäre Armee, die ich eines Tages mal gerne ganz real versammeln würde. Aber vorerst existiert sie nur auf meinen Bildern: Künstler, Leute aus der Zivilgesellschaft, Galeristen, Kunstkritiker, Arbeiter, Studenten. Es ist ‚work in progress’. 99 Leute habe ich schon so fotografiert – 99, das erinnert an die Wahlergebnisse von Ben Ali – 99 Prozent - aber es geht weiter, ich weiß noch nicht, bei welcher Zahl ich aufhören werde."

Der Dampfkochtopf, mit dem die Soldaten der imaginären Armee bewaffnet sind, spielte im Werk von Halim Karabibene auch schon in vorrevolutionären Zeiten eine wichtige Rolle.

"Seit 2007 arbeite ich an einem Projekt, mit dem ich auf spielerische Art provozieren will: Ich fordere ein Museum für Gegenwartskunst in Tunesien. Die Künstler in Tunesien verhungern nämlich, körperlich und künstlerisch, weil man ihre Werke nicht sieht. Ich hatte die Hoffnung verloren, dass es jemals ein Museum in Tunesien geben würde und habe ein Museum der Zukunft entworfen – für das Jahr 2069 mit Gebäuden in Form von diversen Dampfkochtöpfen. Geräten unter Druck also, die jeden Moment explodieren können."

Auf ganz andere Art und Weise erzählt eine Arbeit der Fotografin Faten Gaddes von der explosiven Atmosphäre im revolutionären Tunesien. "Punching Ball" heißt ihre Installation. In einem Boxring hängen da vier Boxsäcke von der Decke, die die Künstlerin mit Selbstporträts bedruckt hat: "Ich bin Jüdin" steht auf einem der Säcke, auf den anderen "Ich bin Christin" und "Ich bin Tunesierin". Daneben liegen Boxhandschuhe; die Ausstellungsbesucher dürfen auf die Boxsack-Frauen draufhauen. Diese ziemlich brutale Arbeit hat mit einem Erlebnis zu tun, das Faten Gaddes nachhaltig schockiert hat.

"Ich war auf einer Demonstration, wo wir ein laizistisches Tunesien forderten. Und da war eine Gruppe von Jungs, die das offensichtlich schockierte. Die sagten zu mir: ‚Sie sind also keine Tunesierin?’ ‚Wie bitte?’ hab ich geantwortet - ich fühlte mich, als würde ich ersticken. ‚Natürlich bin ich Tunesierin’, hab ich gesagt. Da sagt der Typ: ‚Aber Sie sind wohl keine Muslimin, sie müssen Christin oder Jüdin sein.’ Das war für mich so ein heftiger Angriff auf mich als Frau – gar nicht als Muslimin oder Tunesierin – einfach auf mich als Frau, dass ich mir sagte: Ich muss reagieren – wie eine Alarmanlage."

Von dem Bedürfnis, künstlerisch auf die Ereignisse und Umbrüche in Tunesien und der arabischen Welt zu reagieren und sich zu engagieren, erzählt auch der Libanese Ali Cherri. Er sieht aber auch die Gefahr, dass Künstler zu schnell auf aktuelle politische Ereignisse reagieren und diese dann womöglich bloß illustrieren.

"Dieser Umbruch ist ein sehr wichtiger historischer Augenblick für die ganze Region. Aber ich versuche, das mit viel Fingerspitzengefühl anzugehen. Es ist noch viel zu früh, um zu wissen, wohin das alles führen wird. Für Kunstwerke, die all das erklären und kommentieren wollen ist die Zeit noch nicht reif. Gleichzeitig ist es einfach meine Pflicht, als Bürger und als Künstler mich an den Ereignissen zu beteiligen."

Die Ausstellung im Institut du Monde Arabe ist natürlich eine etwas hastig zusammengestellte Momentaufnahme. Sie zeigt Arbeiten von 20 Künstlerinnen und Künstlern – übrigens genau so viele Frauen wie Männer, die auf sehr unterschiedliche Weise die revolutionären Umbrüche in Tunesien reflektieren.

Vor allem aber wird deutlich: In diesem Land, wo jegliche Bildproduktion jahrzehntelang streng überwacht und zensiert wurde, ist mit einer engagierten Kunstszene zu rechnen, für die der Künstler Halim Karabibene das passende Symbol gefunden hat: Ein Dampfkochtopf!


Die Ausstellung ist bis 1.4.2012 im Institut du Monde Arabe in Paris zu sehen.