Revolutionäre Kirchengewänder
Wie das Gewand für einen evangelischen Pfarrer oder eine evangelische Pfarrerin genau auszusehen hat, schreiben die Landeskirchen vor. Die Pfarrer können ihre Talare im Katalog ordern oder auf den Leib schneidern lassen - zum Beispiel in Helmstedt.
Der schwarze Talar ist die traditionelle Berufskleidung für Geistliche, Professoren und Juristen. Wie das Gewand für einen evangelischen Pfarrer oder eine evangelische Pfarrerin genau auszusehen hat, schreibt die jeweilige Landeskirche vor. Die Pfarrer können ihre Talare per Katalog bestellen – oder ihn sich auf den Leib schneidern lassen. Diesen Service bieten nur noch wenige Textilwerkstätten an. Eine befindet sich in dem niedersächsischen Städtchen Helmstedt östlich von Braunschweig.
"Ist ganz schön, jetzt den eigenen mal anzuhaben, weil die ich bis jetzt anhatte, waren immer viel zu groß. Das ist immer so: Männertalare sind immer so halbe Zelte. Und dann hat man immer das Gefühl, man sieht unmöglich aus. Aber jetzt ist es schön, dass man den eigenen hat, der die richtigen Maße hat."
Ricarda Schnelle probiert ihren ersten eigenen Talar an. Die 25-Jährige macht ein Vikariat in einer evangelischen Gemeinde in Braunschweig. Während dieser praktischen Ausbildung für künftige Pfarrer darf sie schon Gottesdienste feiern – natürlich im Talar. Es ist Ricarda Schnelles zweiter Termin in der Paramentenwerkstatt in Helmstedt. Beim ersten musste sie sich für ein Modell entscheiden.
"Dann wurd ich vermessen und dann musst ich eben noch entscheiden, was ich für Knöpfe haben möchte, und ob eine Tasche – also die Talare haben so Taschen an der Seite – ob die rechts oder links sein muss."
Paramente werden alle Kleidungsstücke und Tücher genannt, die in der Kirche benutzt werden. Die Paramentenwerkstatt in Helmstedt hat seit 1862 ihren Sitz in dem evangelischen Kloster St. Marienberg, einem sogenannten Damenstift. Sie ist für die evangelische und die katholische Kirche tätig. Jedes Stück, das in der Werkstatt entsteht, ist Maßarbeit. Die Stoffe für die Talare kommen aus Handwebereien in Deutschland, Frankreich, Großbritannien und der Schweiz. 600 Euro wird Ricarda Schnelle ihr neuer Talar kosten. Sie dreht sich vor dem Spiegel hin und her. Ute Sauerbrey, die Leiterin der Werkstatt, berät sie.
Schnelle: "Ich weiß nicht. Hier oben ist es sehr breit. Also, es ist jetzt hier sehr locker, vom Hals her."
Sauerbrey: "Wollten Sie das enger haben?"
Schnelle: "Ist denn ne Schneiderin jetzt eigentlich im Haus?"
Sauerbrey: "Ich kann eine holen."
Schnelle: "Das wäre, glaub ich, grundsätzlich ganz gut. Ja."
Während Ricarda Schnelle mit der Schneiderin verhandelt, führen Ute Sauerbrey und Mechthild von Veltheim, die Domina des Klosters, in den benachbarten Saal. Dort sind Talare, Chormäntel, Taufkleider, Altartücher und andere Paramente ausgestellt. Anhand dieser Modelle und Muster können sich die Kunden etwas aussuchen. Nahezu alle Arbeiten werden von Hand gefertigt. 19 Frauen sind in der Paramentenwerkstatt tätig. Mechthild von Veltheim:
"Wir haben also, wir haben verschiedene Abteilungen, also einmal die Herstellung von neuen Textilien, von Paramenten, da haben wir Stickerinnen, Handstickerinnen, Handweberinnen, und eine Schneiderin. Und dann haben wir die Abteilung der Textilrestaurierung, da sind es Näherinnen, die beschäftigt sind und Schneiderinnen und natürlich die Restauratorinnen."
Im Auftrag von Gemeinden, Museen und Privatpersonen restauriert die Werkstatt alte Textilien. Auf einem Webstuhl an der Wand entstehen zum Beispiel Altartücher. Momentan sind zwei blaugrüne Stofffetzen aus Wolle eingespannt. Eine Frau bestickt ein Leinentuch, das in einem Stickrahmen eingespannt ist. Mit rotem und goldenen Garn wirkt sie christliche Symbole in das Tuch. Immer wieder probieren die Mitarbeiterinnen neue Techniken und Muster aus. Ute Sauerbrey fährt mit den Entwürfen in Gemeinden, die ein Altartuch, einen Klingelbeutel oder Ähnliches bestellen wollen.
"Was ist vor Ort? Aus welcher Zeit stammt diese Kirche? Was ist dort vorhanden auch schon an Farben, die dann auch in die Paramente mit übernommen werden? Das können zum Beispiel auch Farben sein, die in den Kirchenfenstern auftreten oder aber im Altar oder im Chorgestühl oder wo auch immer."
Paramente könnten die Pfarrer sonst auch über Spezialkataloge bestellen, über die mehrere Unternehmen in Deutschland liefern. Doch diese Ware ist oft importiert und meist billiger als maßgeschneidert und handgefertigt. Ute Sauerbrey:
"Ja, es kamen auch schon Gemeinden, die eben enttäuscht waren von der Katalogware, die eben dann nichts Individuelles zulässt. Es sind dann eben immer die gleichen Motive, die dann da angeboten werden."
Mit ihren Paramenten geht die Werkstatt in Helmstedt auch auf Trends ein. Mechthild von Veltheim:
"Also wir sind weg von Turnschuhen unterm Talar. Und das war ja auch mal also ne Zeit lang, da zeigte man: Also, man ist modern, man ist revolutionär, und man passt sich nicht an. Ich denke, dass die jungen Pfarrer und Pfarrerinnen heute doch wieder sehr bewusst sind für die Feierlichkeit."
In der evangelischen Kirche gab es bis vor etwa 60 Jahren nur männliche Geistliche. Und die trugen den sogenannten preußischen Amtstalar: ein schwarzes Gewand mit unzähligen Falten, weiten Ärmeln und dem kragenähnlichen weißen Beffchen. Das voluminöse, wuchtige Gewand ist für Frauen eher nicht geschaffen. Deshalb war Mechthild von Veltheim begeistert, als sich Mitte der 90er Jahre die Designerin Mareike Lührmann bei ihr meldete und ihr vorschlug, Damentalare zu fertigen. Rund fünf Stück verkaufen die Helmstedterinnen inzwischen pro Jahr. Mechthild von Veltheim beschreibt eines der Modelle, die Mareike Lührmann entworfen hat:
"Also wir haben jetzt hier von dieser Krause ja abgesehen und haben auf der linken Seite einen Reißverschluss eingesetzt. Das heißt also: Man muss den Talar nicht über den Kopf ziehen, was bei Frauen natürlich auch für die Frisur immer sehr wichtig ist. Dann haben wir einen kleinen Stehkragen angesetzt und oben eine kleine Schräge eingesetzt, und eben auch Taschen eingesetzt, sodass man also auch mal ein Taschentuch versenken kann."
Einige der Damentalare sind auf Figur geschnitten. Bei anderen bleibt darunter genug Platz für einen wärmenden Rollkragenpullover oder einen Babybauch. Das Beffchen fällt weg. Stattdessen kann die Pfarrerin über dem Talar eine Stola oder einen Kragen in den sogenannten liturgischen Farben anlegen: Weiß passt zum Beispiel zum Weihnachtsfest und zum Ostersonntag, Rot steht für den Heiligen Geist und wird zu Pfingsten getragen. Mit der Stola oder dem Kragen wirkt der Damentalar farbenfroher als sein schwarzes Männer-Pendant. Viele Menschen denken ja bei dessen Anblick vor allem an Tod und Trauer, sagt Mechthild von Veltheim:
"Und eigentlich ist die Botschaft ja eigentlich ne fröhliche. Und als wir uns angefangen haben, mit den Damentalaren zu beschäftigen, haben wir ja so ne kleine Revolution betrieben. Und das war auch dann sehr schwierig bei den Landeskirchen durchzusetzen oder bzw. überhaupt zu etablieren. Durchsetzen kann man's ja nicht. Dass also nicht die Würde des Amtes leidet, dass man nicht zu revolutionär ist, aber auch den Frauen gerecht werden. Und es ist nur eine wirklich eklatante Veränderung auch, das braucht einfach seine Zeit."
Ricarda Schnelle hat sich mit der Schneiderin verständigt. Die Halsweite ihres Talars bleibt, wie sie ist. Es ist – nein, kein Damentalar, sondern das klassische Männermodell: ein preußischer Amtstalar.
"Wir haben nicht mehr so das Bedürfnis, uns abzugrenzen in der Kirche, weil wir Frauen als Pastorinnen keine Minderheit mehr sind. Sondern eher im Gegenteil studieren immer mehr Frauen Theologie. Und ja, wir sehen uns einfach gleichberechtigt mit den Männern und sind es auch. Also diese Frage: Darf eigentlich ne Frau Pfarrerin sein? – die ist nicht mehr so wichtig."
"Ist ganz schön, jetzt den eigenen mal anzuhaben, weil die ich bis jetzt anhatte, waren immer viel zu groß. Das ist immer so: Männertalare sind immer so halbe Zelte. Und dann hat man immer das Gefühl, man sieht unmöglich aus. Aber jetzt ist es schön, dass man den eigenen hat, der die richtigen Maße hat."
Ricarda Schnelle probiert ihren ersten eigenen Talar an. Die 25-Jährige macht ein Vikariat in einer evangelischen Gemeinde in Braunschweig. Während dieser praktischen Ausbildung für künftige Pfarrer darf sie schon Gottesdienste feiern – natürlich im Talar. Es ist Ricarda Schnelles zweiter Termin in der Paramentenwerkstatt in Helmstedt. Beim ersten musste sie sich für ein Modell entscheiden.
"Dann wurd ich vermessen und dann musst ich eben noch entscheiden, was ich für Knöpfe haben möchte, und ob eine Tasche – also die Talare haben so Taschen an der Seite – ob die rechts oder links sein muss."
Paramente werden alle Kleidungsstücke und Tücher genannt, die in der Kirche benutzt werden. Die Paramentenwerkstatt in Helmstedt hat seit 1862 ihren Sitz in dem evangelischen Kloster St. Marienberg, einem sogenannten Damenstift. Sie ist für die evangelische und die katholische Kirche tätig. Jedes Stück, das in der Werkstatt entsteht, ist Maßarbeit. Die Stoffe für die Talare kommen aus Handwebereien in Deutschland, Frankreich, Großbritannien und der Schweiz. 600 Euro wird Ricarda Schnelle ihr neuer Talar kosten. Sie dreht sich vor dem Spiegel hin und her. Ute Sauerbrey, die Leiterin der Werkstatt, berät sie.
Schnelle: "Ich weiß nicht. Hier oben ist es sehr breit. Also, es ist jetzt hier sehr locker, vom Hals her."
Sauerbrey: "Wollten Sie das enger haben?"
Schnelle: "Ist denn ne Schneiderin jetzt eigentlich im Haus?"
Sauerbrey: "Ich kann eine holen."
Schnelle: "Das wäre, glaub ich, grundsätzlich ganz gut. Ja."
Während Ricarda Schnelle mit der Schneiderin verhandelt, führen Ute Sauerbrey und Mechthild von Veltheim, die Domina des Klosters, in den benachbarten Saal. Dort sind Talare, Chormäntel, Taufkleider, Altartücher und andere Paramente ausgestellt. Anhand dieser Modelle und Muster können sich die Kunden etwas aussuchen. Nahezu alle Arbeiten werden von Hand gefertigt. 19 Frauen sind in der Paramentenwerkstatt tätig. Mechthild von Veltheim:
"Wir haben also, wir haben verschiedene Abteilungen, also einmal die Herstellung von neuen Textilien, von Paramenten, da haben wir Stickerinnen, Handstickerinnen, Handweberinnen, und eine Schneiderin. Und dann haben wir die Abteilung der Textilrestaurierung, da sind es Näherinnen, die beschäftigt sind und Schneiderinnen und natürlich die Restauratorinnen."
Im Auftrag von Gemeinden, Museen und Privatpersonen restauriert die Werkstatt alte Textilien. Auf einem Webstuhl an der Wand entstehen zum Beispiel Altartücher. Momentan sind zwei blaugrüne Stofffetzen aus Wolle eingespannt. Eine Frau bestickt ein Leinentuch, das in einem Stickrahmen eingespannt ist. Mit rotem und goldenen Garn wirkt sie christliche Symbole in das Tuch. Immer wieder probieren die Mitarbeiterinnen neue Techniken und Muster aus. Ute Sauerbrey fährt mit den Entwürfen in Gemeinden, die ein Altartuch, einen Klingelbeutel oder Ähnliches bestellen wollen.
"Was ist vor Ort? Aus welcher Zeit stammt diese Kirche? Was ist dort vorhanden auch schon an Farben, die dann auch in die Paramente mit übernommen werden? Das können zum Beispiel auch Farben sein, die in den Kirchenfenstern auftreten oder aber im Altar oder im Chorgestühl oder wo auch immer."
Paramente könnten die Pfarrer sonst auch über Spezialkataloge bestellen, über die mehrere Unternehmen in Deutschland liefern. Doch diese Ware ist oft importiert und meist billiger als maßgeschneidert und handgefertigt. Ute Sauerbrey:
"Ja, es kamen auch schon Gemeinden, die eben enttäuscht waren von der Katalogware, die eben dann nichts Individuelles zulässt. Es sind dann eben immer die gleichen Motive, die dann da angeboten werden."
Mit ihren Paramenten geht die Werkstatt in Helmstedt auch auf Trends ein. Mechthild von Veltheim:
"Also wir sind weg von Turnschuhen unterm Talar. Und das war ja auch mal also ne Zeit lang, da zeigte man: Also, man ist modern, man ist revolutionär, und man passt sich nicht an. Ich denke, dass die jungen Pfarrer und Pfarrerinnen heute doch wieder sehr bewusst sind für die Feierlichkeit."
In der evangelischen Kirche gab es bis vor etwa 60 Jahren nur männliche Geistliche. Und die trugen den sogenannten preußischen Amtstalar: ein schwarzes Gewand mit unzähligen Falten, weiten Ärmeln und dem kragenähnlichen weißen Beffchen. Das voluminöse, wuchtige Gewand ist für Frauen eher nicht geschaffen. Deshalb war Mechthild von Veltheim begeistert, als sich Mitte der 90er Jahre die Designerin Mareike Lührmann bei ihr meldete und ihr vorschlug, Damentalare zu fertigen. Rund fünf Stück verkaufen die Helmstedterinnen inzwischen pro Jahr. Mechthild von Veltheim beschreibt eines der Modelle, die Mareike Lührmann entworfen hat:
"Also wir haben jetzt hier von dieser Krause ja abgesehen und haben auf der linken Seite einen Reißverschluss eingesetzt. Das heißt also: Man muss den Talar nicht über den Kopf ziehen, was bei Frauen natürlich auch für die Frisur immer sehr wichtig ist. Dann haben wir einen kleinen Stehkragen angesetzt und oben eine kleine Schräge eingesetzt, und eben auch Taschen eingesetzt, sodass man also auch mal ein Taschentuch versenken kann."
Einige der Damentalare sind auf Figur geschnitten. Bei anderen bleibt darunter genug Platz für einen wärmenden Rollkragenpullover oder einen Babybauch. Das Beffchen fällt weg. Stattdessen kann die Pfarrerin über dem Talar eine Stola oder einen Kragen in den sogenannten liturgischen Farben anlegen: Weiß passt zum Beispiel zum Weihnachtsfest und zum Ostersonntag, Rot steht für den Heiligen Geist und wird zu Pfingsten getragen. Mit der Stola oder dem Kragen wirkt der Damentalar farbenfroher als sein schwarzes Männer-Pendant. Viele Menschen denken ja bei dessen Anblick vor allem an Tod und Trauer, sagt Mechthild von Veltheim:
"Und eigentlich ist die Botschaft ja eigentlich ne fröhliche. Und als wir uns angefangen haben, mit den Damentalaren zu beschäftigen, haben wir ja so ne kleine Revolution betrieben. Und das war auch dann sehr schwierig bei den Landeskirchen durchzusetzen oder bzw. überhaupt zu etablieren. Durchsetzen kann man's ja nicht. Dass also nicht die Würde des Amtes leidet, dass man nicht zu revolutionär ist, aber auch den Frauen gerecht werden. Und es ist nur eine wirklich eklatante Veränderung auch, das braucht einfach seine Zeit."
Ricarda Schnelle hat sich mit der Schneiderin verständigt. Die Halsweite ihres Talars bleibt, wie sie ist. Es ist – nein, kein Damentalar, sondern das klassische Männermodell: ein preußischer Amtstalar.
"Wir haben nicht mehr so das Bedürfnis, uns abzugrenzen in der Kirche, weil wir Frauen als Pastorinnen keine Minderheit mehr sind. Sondern eher im Gegenteil studieren immer mehr Frauen Theologie. Und ja, wir sehen uns einfach gleichberechtigt mit den Männern und sind es auch. Also diese Frage: Darf eigentlich ne Frau Pfarrerin sein? – die ist nicht mehr so wichtig."