Revolution der Strichmännchen

Von Jana Edelmann · 16.02.2010
Er hat den Graffiti-Stil in die Galerien gebracht, und er hat es wie kein Zweiter verstanden, Kunst, Promotion und Popkultur zu vereinen: Keith Haring wurde mit seinen eingängigen Symbolbildern, die er zuerst auf leere Wände in U-Bahnhöfen malte, zum Star in der New Yorker Kunstszene der 80er-Jahre.
Tanzende Männchen mit blinkendem Herz über dem Kopf, ein krabbelndes Baby im Strahlenkranz, aber auch erigierte Penisse mit Teufelshörnern. Alles in knallig-bunten Pop-Art Farben, immer mit formal reduzierter, plakativ-eingängiger Linienführung. Keith Harings Zeichensprache wirkt zuweilen zwar kindlich-naiv, sie transportiert aber auch sozialkritische Inhalte:

"Gewalt, sexuelle Unterdrückung, Apartheid, Atomkraft. Das finden Sie genauso wieder in dem Werk von Keith Haring wie die fröhlichen Themen: Liebe, Freundschaft, Glück. Das Besondere ist aber, dass Keith Haring keinen Unterschied gemacht hat in der Form der Präsentation. Er hat ein und denselben Stil für beide Themen."

So erklärt die Kunsthistorikerin Alexandra Kolossa die Popularität und Massentauglichkeit von Keith Harings Werk. Angebiedert an den etablierten Kunstbetrieb hat sich der Star der amerikanischen 80er-Jahre-Kunstszene aber nicht. Er ist ein Kind der Straßenkultur:

1978 zieht der 20-Jährige aus dem ländlichen Pennsylvania in die multikulturelle Metropole New York, um an der School of Visual Arts zu studieren. Bald wird er in angesagten Clubs zu Hip-Hop-Musik tanzen, die offene Schwulenszene exzessiv nutzen. Aber nicht nur das Nachtleben des Big Apple fasziniert ihn. Das von Graffititags geprägte Stadtbild inspiriert den jungen Kunststudenten zu eigener Guerilla-Kunst:

"Ich entdeckte rein zufällig die erste leere, schwarze Fläche in der U-Bahn. Und ich wusste sofort: Da musste ich drauf malen. Das matt-schwarze Papier an der Wand schrie geradezu danach."

Mit urbaner Höhlenmalerei des 20. Jahrhunderts – mit weißen Kreidemännchen auf den leeren Werbeflächen im New Yorker Untergrund – malt Keith Haring sich aus dem alternativen Graffiti-Umfeld in die etablierte Galerieszene New Yorks: Bald ist er stadtbekannt. Seine erste Einzelausstellung 1982 wird zum Kulturereignis, das mehr als 4000 Besucher sehen wollen. Keith Harings Selbstinszenierung als schillernde Kunstfigur beginnt. Später lässt er Madonna auf einer seiner Partys auftreten, bemalt den Körper von Grace Jones, wird von Star-Fotograf Helmut Newton für die "Vanity Fair" abgelichtet.

"Zu einem gewissen Zeitpunkt schien mein Ruhm größer als ich selbst. Und obgleich ich versuchte, ihn in eine ganz bestimmte Richtung zu lenken, begann er mich zu beherrschen."

Das Pferd kann er im Zaum halten: Er wird zum Globetrotter der Galerieszene und reist für Ausstellungen nach Paris, Tokio, London und Mailand. Oft kommt er ohne fertige Kunstwerke an. Er erschafft sie einfach vor Ort. In Japan bemalt er Drachen und Fächer – jeder Stoff, jeder Untergrund dient ihm als Material. Das bringt ihm auch Kritik ein. Vom "Ausverkauf der Kunst" ist gar die Rede, als er 1986 in New York seinen Pop-Shop eröffnet, um dort Merchandise-Produkte zu verkaufen.

"Er ist nicht nur ein Künstler gewesen, er ist auch ein Kenner des Marktes gewesen. Das darf man nicht vergessen. Die Idee war sicherlich nicht nur, seine Kunst weltweit zu vermarkten, der finanzielle Aspekt hat da eine Rolle gespielt. Er selbst hat seine Vermarktung initiiert. Und das ist Teil seiner Kunst."

Der Erfolg trägt ihn trotz der skeptischen Stimmen weiter zu Kunstevents auf der ganzen Welt. Im Frühjahr 1988 wird bei ihm Aids diagnostiziert. Mit der tödlichen Krankheit konfrontiert, arbeitet er umso unermüdlicher weiter. Keith Haring stirbt am 16. Februar 1990. Er wird nur 31 Jahre alt.

"Alles, was wir erschaffen, ist ein Streben nach Unsterblichkeit. Künstliche Dinge haben ja eine andere Art von Lebendigkeit. Sie hängen nicht vom Atmen ab, also existieren sie länger als wir alle. Es ist eine interessante Idee, dass diese Gegenstände unser Leben verlängern."

Keith Haring hat sich verewigt: Seine stilisierten Strichfiguren prägen die Alltagskultur bis heute. Und seine Bilder, Zeichnungen und Skulpturen weisen ihn als einen der bedeutendsten amerikanischen Künstler der Gegenwart aus.