Rettungsanker für das Kirchenschiff

Von Alexa Hennings |
Die Flussschifferkirche im Hamburger Hafen ist das einzige schwimmende Gotteshaus Deutschlands. Im Bauch eines alten Schleppers gibt es dort an jedem Sonntag Gottesdienste und das schon seit 55 Jahren. In diesem Jahr drohte das Projekt Kirchenschiff unterzugehen, wurde aber umgehend gerettet.
Fest vertäut im Hamburger Hafen, gegenüber der gerade neu entstehenden "Hafencity" und umgeben von Hafenrundfahrt-Kähnen, liegt die Flussschifferkirche. Ein hundertjähriger, schwarzer Frachtkahn mit einem kleinen Holzkreuz und einer Glocke an Deck. Vorne am Bug steht ein älterer Herr und zieht gerade die bunten Flaggen hoch.

"Die erste hier auf der Seite, die da verkehrt herum hängt, das ist der Schifferverein von Berlin. Und das andere ist Schulte und Bruhns, die Reederei in Emden. Die Kirchenflagge soll normalerweise oben rein, aber da ist die Rolle weggeflogen. Krieg ich nicht, sollte ich schon lange kriegen. Ist immer noch nicht da!"

Ernst Mertins sendet einen prüfenden Blick nach oben. Hauptsache, es hängen überhaupt Flaggen da, meint er. Der alte Binnenschiffer möchte, dass man das Kirchenschiff schon von weitem sieht.

Die kleine Glocke an Deck ruft zum Gottesdienst, wie an jedem Sonntagnachmittag um 15 Uhr. 55 Jahre geht das schon so, doch die Gemeinde wurde kleiner, die Generationen wechselten, die Binnenschiffer, für die das Kirchenschiff einst gedacht war, haben heute nur noch ganz kurze Liegezeiten im Hafen und kaum Zeit zum Gottesdienst.

"Es stand eine Zeitlang im Raum, dass die Kirche ihren Status als Kirche verliert oder sogar richtig abgewrackt wird. Einfach nicht mehr existiert. Und dem Förderverein, uns, war es wichtig, dass wir gesagt haben: Nein, diese Kirche soll erhalten bleiben und auch als Kirche erhalten bleiben. Wir haben Partyschiffe genug im Hamburger Hafen, das brauchen wir nicht. Wir wollten hier die einzige schwimmende Kirche im Hamburger Hafen erhalten. Und es ist ja nicht nur im Hamburger Hafen die einzige schwimmende Kirche, sondern in Deutschland die einzige schwimmende Kirche dieser Art, mit 100 Sitzplätzen im Rumpf, im alten Frachtraum des Schiffes."

Albrecht Kaspar vom Förderverein Flussschifferkirche und seine Mitstreiter haben es geschafft, den Untergang des Kirchenschiffs zu verhindern. Sie gaben zwar den Status als eigene Gemeinde samt Pfarrstelle auf, damit der Kirchenkreis Alt-Hamburg Geld sparen kann. Im Gegenzug jedoch bekommt der Verein das Kirchenschiff kostenlos überlassen und führt die gesamte kirchliche Arbeit eigenständig weiter. So fährt zweimal wöchentlich die Seelsorgebarkasse zu den Binnenschiffern hinaus, der Verein gestaltet die Liturgie und die Küsterdienste selbst und lädt Pastoren aus der Region zu den Gottesdiensten, die stets besondere sind, ein: Es gibt einen maritimen Gottesdienst, einen plattdeutschen und einen mit der Predigtreihe "Menschen im Hafen".

"Es ist eine Gemeinde, die sehr aktiv ist und die durch die Krise, durch die wir jetzt hindurch gegangen sind, noch mal stärker aktiv geworden ist und lebendiger. Wir finanzieren ja hier den ganzen Laden komplett selber. Und es ist auch das Gefühl, dass wir die Leute hier erreichen."

Auch an diesem sonnigen Herbstsonntag ist das Kirchenschiff gut besucht. Es hat sich herumgesprochen, dass es hier den einzigen regelmäßigen plattdeutschen Gottesdienst gibt in Hamburg. Da geht es ohne Umschweife und Förmlichkeit zu, da wird die Gemeinde mit "leewe Lüür", liebe Leute, angeredet und Klartext gepredigt - zur großen Freude dieser Hamburger Besucherin.

"Ich bin eine Plattdeutsche, mit Leib und Seele. Und dadurch, dass die Kirche jetzt an so einem zentralen Ort liegt, deswegen komm ich dann hierher. Schönes Wetter, und die Leute sehen das: Gottesdienst, mitten im Hafen, was ist das denn? Also, das wird, glaube ich, schon gut angenommen, und das finde ich auch wichtig für die, die dahinter stehen und die ganze Arbeit haben. Es hat sich ja alles verändert, und dass dann jetzt der Erfolg auch da ist. Den wüllt je mal die Duumens drücken."

Sie wolle die Daumen drücken für das Kirchenschiff, sagt die Hamburgerin und nimmt sich noch einen Kaffee, von dem nach dem Gottesdienst reichlich angeboten wird. Ernst Mertins, der Flussschiffer von einst, hat ein Fotoalbum auf den Knien. Es zeigt den Schlepper 1952, als er als Kirchenschiff eingeweiht wurde, und der seitdem ein Stück Heimat ist für den 70-Jährigen.

"Da wir Schiffer ja immer alleine waren. Wenn wir irgendwo Station hatten, Hamburg oder Berlin, da haben wir uns immer getroffen, und hier hat sich ein Jugendkreis aufgebaut - nicht nur Schiffer. Wir waren hier 40, 50 Jugendliche drin, immer Mittwoch und Freitag, da war hier was los! Wir hatten ja keinen Gemeindesaal, Tanzabende, gemütliche Abende, das spielte sich alles in dem Raum hier ab, und seitdem hänge ich an dem Schiff, ich komme da nicht von weg!"

Weil heutzutage kaum noch Binnenschiffe in Hamburg-Rothenburgsort liegen, jenem Platz, an dem das Kirchenschiff die letzten Jahre lag, zog das Schiff vor einem Jahr um direkt in die Hafencity.

"Rothenburgsort, da wären wir am Ende gewesen, weil keine Leute hinkamen, von der Schifffahrt ist keiner da und von Land, da fährt der Bus Ostern, Pfingsten und Weihnachten und dann noch laufen, um die Ecke bis dorthin. Und hier, mit der U-Bahn: Jeder, der vorbei läuft, sieht das Schiff liegen. Ich hatte ja immer das Vertrauen, dass das hier was wird!"

77.000 Euro braucht der Verein jährlich, um die Flussschifferkirche, in der auch eine kleine Orgel nicht fehlt, zu erhalten. Viele Hamburger Firmen, vor allem aus dem Hafen, zeigten schon ihre Solidarität, indem sie Dach, Heizungsanlage und Vertäuung unentgeltlich wieder flottmachten, und so wird sich das einzigartige Gefühl, einen Gottesdienst auf schwankendem Grund zu erleben, in Hamburg erhalten.

"Ist das nicht herrlich? Ist das nicht toll? Da steht jemand und predigt und das Schiff geht so, und dann klingelt es mal draußen und man hört die Rundsagen und das Hupen. Hach, schön, einfach schön!"

"Das werden immer mehr Leute, und jeder steckt mal eine Mark rein. Sie haben ja gesehen, ich habe nun heute nicht gezählt, aber 30 waren es wohl. Ich hatte auch erst Bedenken, aber: Es geht weiter!"