Rettung des Aralsees

Das Meer ist verschwunden

28:45 Minuten
Blick auf eine teilweise von Schnee bedeckte Wanderdüne
Ab den 1960er-Jahren begann "das Meer", wie die Anwohner hier im zentralasiatischen Kasachstan den Aralsee nennen, zu verschwinden. © Edda Schlager
Von Edda Schlager · 23.12.2020
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Einst war er der viertgrößte See der Welt, so groß wie Bayern. Heute ist der Aralsee um 90 Prozent geschrumpft. Die fünf Anrainerstaaten der Zuflüsse nutzen das Wasser für Landwirtschaft. Eine Katastrophe für Umwelt und Menschen mit ein wenig Hoffnung.
Wer jetzt im Winter Fische fangen will im Aralsee, braucht kein Boot, sondern ein Moped. Mit 50, 60 Kilometern pro Stunde geht es über das gefrorene Wasser des kleinen Aralsees in Kasachstan: die Fischer auf ihren Lasten-Mopeds –und ich im hölzernen Seitenwagen.

Die Frage, ob der Aralsee noch zu retten ist, kam von Hörer Christian. Er hat sich am Aufruf für die Wunsch-Weltzeit 2020 beteiligt. Dank an alle, die mitgemacht haben!

Eigentlich sind das nur ein paar Holzplanken auf denen sonst die Netze und Fische liegen. Nun sitze ich hier: Dick eingepackt, mit dem Rücken zur Fahrtrichtung und mit einer geborgten Wattejacke unter dem Hintern, damit ich es bequem habe.
Edda Schlager mit Fischern unterwegs auf dem Aralsee. Sie sitzt im Seitenwagen des Mopeds. Der See ist gefrohren.
Warm eingepackt: Reporterin Edda Schlager mit Fischern unterwegs auf dem Kleinen Aralsee.© Edda Schlager
Rund 25 Zentimeter dick ist die weißglitzernde Eisfläche. Wind und Wasser haben grobe Riffeln auf der Oberfläche geformt, sodass das klapperige Moped immer wieder kurz abhebt, um hart zu landen und weiter übers Eis zu holpern. Minus 20 Grad sind hier draußen, der Wind macht es gefühlt noch kälter.
Rund fünf Kilometer vom Ufer entfernt halten wir. Mehrere Männer stehen hier um ein ein Meter breites Loch, das sie ins Eis gehackt haben. Einer von ihnen zieht langsam ein feinmaschiges Netz aus dem Wasser. Vorsichtig befreit er die silbern glänzenden Fische aus dem Netz: Brassen, Karpfen, Rapfen und ein großer Zander landen platschend auf einem Haufen. Marat, der mich hierhergefahren hat, erklärt mir, wie das Fischen unter dem Eis funktioniert.
"Dafür nehmen wir diese sechs Meter lange Holzstange und schieben sie unter das Eis. Daran ist das Netz befestigt, und alle sechs Meter ist ein Loch im Eis, sodass wir die Stange und das Netz weiterziehen können."
Fischer auf dem zugefrohrenen Aralsee in Kasachstan. Einer holt das Netz aus dem Eisloch.
Durch Eislöcher hindurch fangen Fischer auf dem zugefrorenen Aralsee ihren Fisch.© Edda Schlager
Erst jetzt sehe ich, dass es nicht nur dieses eine Eisloch gibt. Auf einer geraden Linie ragen in regelmäßigen Abständen Holzpfähle aus der glatten Eisfläche. Unter uns, auf einer Länge von rund 120 Metern zieht sich also das Netz unter dem Eis entlang.
Die Fischerbrigade hier besteht aus etwa fünf Männern, die sich den Fang teilen. Altynbai ist einer von ihnen. In diesem Jahr sei der Fang insgesamt nicht so gut gewesen, erzählt der 49-Jährige, der den Aralsee – wie alle hier – nur "das Meer" nennt.
"Na ja, es war schon okay, aber weniger als im vorigen Jahr. In diesem Jahr ist einfach weniger Wasser ins Meer geflossen. Die da oben wissen besser, woran das genau liegt. Wir sind nur Fischer."

Als der Aralsee begann zu verschwinden

Das langsame Austrocknen des Aralsees ist eine der größten menschengemachten Umweltkatastrophen der Welt. Einst war er der viertgrößte See der Welt – mit einer Fläche von fast 70.000 Quadratkilometern – ähnlich groß wie Bayern. Doch Anfang der 1960er-Jahre begann der Aralsee zu verschwinden. Seine beiden einzigen Zuflüsse, der Amudarja und der Syrdarja, die im Hochgebirge in den Nachbarländern Tadschikistan und Kirgistan rund 2000 Kilometer vom Aralsee entfernt entspringen, kamen nur noch als Rinnsale an der Mündung an. Der Grund: intensive Bewässerungswirtschaft entlang der Flussläufe.
Innerhalb weniger Jahrzehnte schrumpfte die Wasserfläche immer weiter. Der See teilte sich in den Großen Aralsee im Süden, der im 1991 unabhängig gewordenen Usbekistan lag, und in den Kleinen Aralsee im Norden, hier, wo ich jetzt bin, in Kasachstan. Mittlerweile ist der Große Aralsee im Süden vollständig ausgetrocknet.

Ein Staudamm zur Rettung

Der Kleine Aral in Kasachstan konnte dagegen gerettet werden. Wer wissen will warum, muss stundenlang durch die Wüste fahren. Asphaltstraßen gibt es hier längst nicht mehr, nur sandige Buckelpisten, die Fahrzeugen alles abverlangen.
Es geht zum Kokaral-Damm, einem 13 Kilometer langen Staudamm, der das Wasser des Zuflusses Syrdarja aufstaut und verhindert, dass es in der Wüste versickert. Mein Guide ist Bolat Bekniyaz, Hydrologe und kasachischer Landesdirektor des Internationalen Fonds zur Rettung des Aralsees.
"Zum allerersten Mal wurde der Aralsee im Jahr 1848 durch eine Expedition unter Leitung von Admiral Alexei Iwanowitsch Butakow erforscht."
Jener russische Forschungsreisende Butakow, so erzählt Bekniyaz per Funkgerät auf dem Weg, hatte 1850 die erste geografische Karte des Aralsees erstellt. Rund 100 Jahre später dann nahm die Umweltkatastrophe ihren Lauf.
Angekommen am Kokaral-Damm ist kaum vorstellbar, dass es hier zu wenig Wasser geben könnte. Unter lautem Getöse strömen Unmengen von Wasser durch ein breites Wehr. Nördlich des Staudamms liegen der kleine Aralsee und sein Zufluss Syrdarja. Von dort rauscht das Wasser durch das Wehr in Richtung Süden.
Durch den Kok-Aral-Damms existiert der Kleine Aralsee weiterhin. Das Wasser fließt hindurch, wenn der Wasserdruck zu groß ist.
Nur aufgrund des Kokaral-Damms existiert der Kleine Aralsee weiterhin.© Edda Schlager
Von Zeit zu Zeit müsse das Wehr geöffnet werden, wenn der Wasserdruck auf den Damm zu groß sei. Dann werde Wasser abgelassen, erklärt mir Hydrologe Bekniyaz. Aber im Süden, wo das Wasser hinfließt, sei der See so flach, dass das Wasser verdunste und kein Fisch überlebe. Der Damm sichere immerhin das Leben im nördlichen Teil.
"Dieser Damm hier ist das wichtigste Bauwerk am Aralsee. Er hält 27 Kubikkilometer Wasser im nördlichen Aralsee. Dank dieses Staudamms existiert der nördliche Aralsee."
2005 nahm der Kokaral-Damm seinen Betrieb auf, finanziert durch die Weltbank. So konnte Kasachstan wenigstens einen Teil des Aralsees auf dem eigenen Staatsgebiet retten. Trotz dieses Erfolgs entspricht das aber nicht einmal mehr einem Zehntel der ehemaligen Größe des gesamten Sees.

Wo der See war, ist heute Wüste

Wo der einst war, ist inzwischen die weltweit jüngste Wüste entstanden: die Aralkum. Eine vergiftete Landschaft. Denn die Zuflüsse Syrdarja und Amudarja spülten einst Düngemittel aus der Landwirtschaft in den See. Die lagerten sich auf dem Seeboden ab und werden jetzt durch Staubstürme in die Luft geblasen.
Verantwortlich für die Katastrophe am Aralsee ist nicht ein Land allein. An den Unterläufen von Amudarja und Syrdarja in Kasachstan, Usbekistan und Turkmenistan wird seit Jahrzehnten intensive Landwirtschaft betrieben. Diese Länder nutzen das Wasser bis heute für die künstliche Bewässerung von wasserintensiven Kulturen wie Baumwolle und Reis. In den trockenen, heißen Sommern Zentralasiens verdunstet das Wasser auf den Feldern und in Hunderten Kilometern langen offenen Kanalsystemen. Dieses Wasser fehlt am Aralsee.
Und auch die Länder am Oberlauf der Flüsse, Kirgistan und Tadschikistan, erheben Anspruch auf das Wasser, wie Hydrologe Bekniyaz erzählt.
"Jetzt ist gerade die Zeit des Jahres, in der Kirgistan und Tadschikistan Wasser aufstauen für ihre großen Wasserkraftwerke, mit denen sie vor allem jetzt im Winter Strom erzeugen. Und wir hier merken, dass weniger Wasser ankommt. Die lassen dann das Wasser schrittweise ab, und langsamer als sonst kommt das dann auch bei uns an."
1993 war der Fonds zur Rettung des Aralsees von den fünf zentralasiatischen Anrainerstaaten der Aralsee-Zuflüsse für eine bessere Koordination untereinander gegründet worden. Doch die fünf jungen Länder – nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion in einer schweren Wirtschaftskrise – hatten unterschiedliche Interessen. Der Aralsee stand nicht oben auf der Prioritätenliste. Bis heute fehlt es an einem länderübergreifenden Konzept und an der Bereitschaft, den Wasserkonsum einzuschränken.

Wanderdünen im Dorf

80 Kilometer Luftlinie vom Kokaral-Damm entfernt, nordwestlich, genau auf der anderen Seite des kleinen Aralsees, bin ich zu Besuch bei Nurbol Ussenow im Dorf Akespe.
Der 45-Jährige hat vier Kinder, das kleinste gerade ein paar Monate alt. Nurbols Ehefrau und seine Mutter kümmern sich um die Kinder und den 71-jährigen Vater, der mit chronischer Bronchitis seit Jahren bettlägerig ist.
Nurbol lebt von seinen rund 30 Pferden und Kamelen, die auf der Suche nach Futter irgendwo weit draußen vor dem Dorf alleine durch die Wüste ziehen. Zwei Kamele werden täglich gemolken. Die größeren Kinder helfen Nurbol, wenn er im Haus große Milchkannen mit Wasser füllt und sie auf den Hof trägt, um die Kamele zu tränken.
Das Haus der Ussenows ist groß, hell und warm, trotz der eisigen Temperaturen draußen. Die Familie hat es erst vor zwei Jahren bezogen. Warum, erzählt Nurbol eine halbe Stunde später, als er mir das Dorf zeigt, in dem seine Familie früher gewohnt hat:
"Das ist unser zweites Haus, das ist das erste, da war der Dorfladen. 1993 oder 1994 haben wir das zweite Haus gebaut und Mitte der 50er-Jahre das alte. Hier sind eben keine Leute mehr gewesen, alle sind weggegangen. Wir sind auch ins neue Dorf gezogen, weil dort alle hin sind. Hier war ja niemand mehr."
In diesem Haus wurde Nurbol Ussenov geboren. Sein Dorf Akespe lag am Aralsee. Dann verschwand das Wasser und die Wanderdünen kamen. Alle Bewohner mussten wegziehen.
In diesem Haus wurde Nurbol Ussenow geboren. Sein Dorf Akespe lag am Aralsee. Dann verschwand das Wasser und die Wanderdünen kamen.© Edda Schlager
Drei Häuser hat die Familie im vergangenen halben Jahrhundert gebaut. Zwei davon – hier im alten Dorf – musste sie aufgeben. Denn das gesamte Dorf ist von Wanderdünen durchzogen. Das Geburtshaus von Nurbol steht knietief im Sand.
"Hier, sehen Sie diese Holzzäune? Das ist gegen den Sand. Manchmal hält das, manchmal aber nicht. Hier war auch so ein Zaun. Ein Jahr hat das gehalten, dann im nächsten Jahr ist die Düne da drübergegangen. Und hier unter diesen Dünen stehen ganze Häuser und Bäume, und alle Nachbarn sind weggezogen deshalb. Die Häuser sind dageblieben, gute Steinhäuser, aber die Leute sind weg."

Anwohner sind mitverantwortlich für Wüstenbildung

Nurbol weiß, dass sie zum Teil selbst verantwortlich sind für das, was hier passiert ist. Das Vieh hatte rund ums Dorf alles kahl gefressen. Ohne die Pflanzenschicht wurde der Sand nicht mehr festgehalten, dazu die Trockenheit. So begann der Treibsand zu wandern.
"Natürlich sind wir Menschen daran schuld, weil unser Vieh den Boden kahl frisst. Das wissen wir. Als unsere Familie hierher gezogen ist, gab es noch gar keine Dünen. Aber wir brauchen Kamele, Pferde, Kühe – wir wollen Milch trinken und ohne Fleisch können wir nicht leben. Nur Fisch essen, das geht nicht. Ohne Vieh kann man vielleicht in der Stadt leben, aber nicht hier im Aul."
Ich selber war schon einmal hier im Dorf Akespe, vor acht Jahren. Ich habe noch einen dieser rostigen Fischkutter vor Augen, die malerisch und mahnend zugleich auf dem Trockenen in der Wüste lagen. Einer wurde hier damals wieder vom Wasser umspült. Für mich war das ein Zeichen, dass es dem Aralsee langsam wieder besser geht.
Aber wo ist das Wasser heute? Nurbol klettert mit mir auf einen kleinen Hügel und deutet nach Süden. Vor uns liegt eine weite mit Schnee bedeckte Ebene.
"Vor zehn Jahren war hier das Meer, aber in den vergangenen Jahren ist es wieder verschwunden. Weil aus dem Syrdarja und dem Amudarja kein Wasser mehr in den Aralsee fließt. Die Usbeken haben Stauseen gebaut, und da geht das Wasser jetzt hin. Deshalb kommt hier nichts mehr an. Die nehmen uns unser Wasser weg. Alle wissen darüber Bescheid, der Staat natürlich auch. Die Leute müssen ja was essen. Ich muss auch fischen. Aber wenn aus Syrdarja und Amudarja nichts mehr kommt, wird aus dem Aral ein einziger Salzschlammsee."
Nurbol hält nicht nur Kamele und Pferde, er ist auch Fischer – so wie es sein Vater war. Mit einer Brigade aus Akespe geht er – wie die Fischer, die ich auf dem Eis getroffen habe – regelmäßig auf Fischzug. Dazu müssen sie mittlerweile wieder weit fahren. Rund zehn Tage sind sie dann unterwegs, leben vor Ort wie Wanderarbeiter. Dass das Ufer des kleinen Aralsees hier wieder zurückweicht, macht ihm Sorgen.
"Ich will, dass das wieder besser wird. Nachdem sie den Kokaral-Damm gebaut haben, war das toll. Aber jetzt gibt es nur noch kleine Fische. Für die kommenden Generationen braucht es ja auch Fisch, damit die von etwas leben können."

Aralsk war früher Hafenstadt, heute Wüste

Eines der Zentren der früheren Fisch-Industrie war Aralsk. Früher eine prosperierende Hafenstadt – heute liegt sie in der Wüste. Das Hafenbecken ist leer. Zwei alte Lastenkräne ragen in den Himmel.
Das leere Hafenbecken in Aralsk. Hier legten vor 50 Jahren Schiffe an. Heute wachsen Pflanzen im Sand. Die alten Kräne sind noch zu sehen.
Das leere Hafenbecken in Aralsk. Hier legten vor 50 Jahren Schiffe an.© Edda Schlager
Nur noch rund 33.000 Menschen wohnen hier. Die älteren wie der 61-jährige Madi Zhasekenow erinnern sich an die Blütezeit von Aralsk:
"Im April ging der Schiffsverkehr los und von hier haben sie Süßigkeiten, Kekse, Mehl nach Karakalpakistan in Usbekistan auf der anderen Seite des Sees gebracht. Von dort wurde vor allem Baumwolle hierher geliefert, mit den Kränen umgeladen und dann ging sie per Zug nach Alma-Ata, Shymkent oder in den Norden in die Textilfabriken."
Zhasekenow ist Museumsdirektor in Aralsk. Hier direkt am alten Hafenbecken hat das Museum ein paar alte Fischkutter aufgestellt, die an bessere Zeiten erinnern sollen. Vom Fischfang lebte einst eine ganze Region.
"Im Winter gab es den besten Fisch. Manchmal war das so viel, dass die Lagerhallen voll waren. Dann haben die den Fisch hier im Hafen einfach mitten aufs Eis gekippt, und die Leute haben sich selbst bedient. Ich bin als Kind mit dem Schlitten hingefahren und hab den vollgeladen. Wir haben keinen Fisch gekauft, den gab es kostenlos. Als das Meer dann weg war und es Fisch nur noch auf dem Basar gab, waren wir das überhaupt nicht gewöhnt. Der war auch viel zu teuer."
Museumsdirektor Madi Zhasekenov am früheren Hafen von Aralsk. Im Hintergrund sind alte Schiffe aufgestellt.
Schiffe, aber kein Wasser: Museumsdirektor Madi Zhasekenow am früheren Hafen von Aralsk.© Edda Schlager
Wie viele ältere Menschen hier wünscht sich Zhasekenow, dass das Wasser Aralsk wieder erreichen möge. Ein durchaus realistisches Szenario. Seit dem Bau des Kokaral-Damms kommt das Ufer des Aralsees jedes Jahr näher. Inzwischen ist es bis auf 20 Kilometer an Aralsk herangerückt. Hydrologe Bolat Bekniyaz erklärt mir, wie die letzten Kilometer gelingen könnten:
"Es gibt den Plan eines zweiten Damms für die Bucht Saryshyganak, dann hätte man den See auf zwei Stufen. Außerdem würde ein Kanal gebaut werden, der das Delta des Syrdarja erweitert. Und so würde das Wasser bis Aralsk kommen."
Derzeit wird eine Machbarkeitsstudie vorbereitet, um die Bucht vor Aralsk wieder mit Wasser zu füllen. In vier, fünf Jahren könnte es dann soweit sein, ist sich Bekniyaz sicher: "Nach Aralsk wird das Meer zurückkommen, aber hier südlich des Damms wird es kein Wasser mehr geben, dafür andere stabile Ökosysteme."

Das Wasser reicht nicht für den Großen Aralsee

Der Große Aralsee lässt sich also nicht wiederbeleben?
"Im Süden reicht das Wasser nicht. Die offene Wasserfläche zu erhalten, macht keinen Sinn, weil es zu schnell verdunstet. Ziel muss es sein, ein zusammenhängendes Sumpfgebiet aus Wasserläufen, Schilfgebieten und Flussauen zu schaffen. So würde das Gebiet ökologisch stabiler werden, es gäbe keine Salzstaubstürme mehr. Das betrifft ein riesiges Gebiet, das deutlich größer ist als der nördliche Aralsee."
Die Wüste im Süden Kasachstans soll also zu einem grünen Sumpfgebiet werden. Den Anfang dürfte erst einmal das Delta des Zuflusses Syrdarja machen. Hier sollen Renaturierungsmaßnahmen mehr Laich- und Brutgebiete für Fische und Wasservögel schaffen. So würde sich das gesamte Mikroklima der Region verbessern, sind sich Wissenschaftler einig.
Auch Zauresh Alimbetova freuen diese staatlichen Pläne. Sie ist die Direktorin des Naturreservats Barsakelmes.
"Wir würden natürlich gerne den Ökotourismus entwickeln. Das können wir bisher nicht, weil wir gar keine Infrastruktur haben. Das Reservat fängt ja gerade erst an, sich zu entwickeln. Ich bin ganz sicher, dass es Liebhaber gibt, die die Vögel, den Syrdarja und das Meer hier gerne anschauen würden."

Pläne für Ökotourismus am Aralsee

Das wäre schon eine gewaltige Achterbahnfahrt. Wie mir Zauresh Alimbetova in ihrem Büro in Aralsk erzählt, ist ihr Naturreservat Barsakelmes eines der ältesten auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion. Im Jahr 1939 erhielt es seinen Schutzstatus. Damals war Barsakelmes die größte Insel im Aralsee. Und es war ein so einmaliger Naturraum, dass hier große Säugetiere von der Roten Liste der gefährdeten Arten angesiedelt wurden.
"Man hat Zheyran-Gazellen, Saiga-Antilopen und Kulane auf die Insel gebracht. Da gab es ideale Bedingungen. Die Tiere haben das Wasser aus dem Aralsee getrunken, es gab genug Futter. Ziel war es, ein Schutzgebiet zu entwickeln, die Biodiversität zu erhöhen."
Zauresh Alimbetova ist die Chefin des Naturreservats Barsakelmes - einst eine Insel im Aralsee, soll aus der Wüste künftig eine Sumpflandschaft werden. Sie sitzt im Büro vor einer kasachischen Flagge.
Zauresh Alimbetova ist die Chefin des Naturreservats Barsakelmes: einst eine Insel, nun Wüste. Künftig soll es eine Sumpflandschaft werden.© Edda Schlager
Als in den 60er-Jahren das Wasser begann zu verschwinden, wuchs die Insel Barsakelmes zunächst, bis sie sich schließlich ganz mit dem Festland vereinigte. Die seltenen Tiere wurden wieder umgesiedelt. Die Insel Barsakelmes gibt es heute nicht mehr. Trotzdem hat die UNESCO das Naturreservat 2016 aufgrund seiner Einmaligkeit zum Biosphärenreservat ernannt. Mittlerweile verantwortet Alimbetova eine Gesamtfläche von rund 160.000 Hektar – halb so groß wie der kleine Aralsee – und alles Wüste.
"Für mich als Mensch mit Herz und Verstand ist das unheimlich traurig. Um zu verstehen, was so eine ökologische Katastrophe globalen Ausmaßes bedeutet, muss man wirklich hinfahren. Wenn man da steht und denkt, früher war hier rundherum Wasser und jetzt liegen hier Salz und Staub. Mir tut unser Insel regelrecht leid. Jedes Mal, wenn ich da hinkomme, hab ich das Gefühl, sie freut sich, und es gibt nichts Schlimmeres, als sie wieder alleine zurückzulassen."
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