Rettung der Menschheit durch Degeneration
Ignatius J. Reilly ist wohl der komischste Antiheld der Literaturgeschichte: fettwanstig, misanthropisch und auf merkwürdige Art durchgeknallt. Für "Die Verschwörung der Idioten" erhielt John Kennedy Toole den Pulitzerpreis - posthum, denn er hatte sich aus Enttäuschung über die zahlreichen Ablehnungen umgebracht.
Man muss die locker eingestreuten Helvetismen in dieser Ausgabe als eine Art Wasserzeichen begreifen. Alex Capus ist Schweizer, und er hat in seine Übertragung - wohl um zu zeigen, wer hier übersetzt hat -, possierliche Worte wie "handkehrum" (schweizerisch für "plötzlich"), "Kassier" (für "Kassierer") oder auch "Zupfstube" (für "Striplokal") einfließen lassen. Unter anderem in einer "Zupfstube" von New Orleans nämlich, im verruchten "Night of Joy", spielt der herrlich durchgeknallte Roman "Die Verschwörung der Idioten" von John Kennedy Toole, dem Capus nun eine furiose Neuübersetzung hat angedeihen lassen. Sie sollte dieses Buch endlich erlösen davon, als Geheimtipp gehandelt zu werden.
Im Zentrum von Tooles Roman steht ein falstaffartiger Fettwanst: Ignatius J. Reilly, ein 30-jähriges schwules Muttersöhnchen, das es sich im Hotel Mama bequem gemacht hat und an einem "kulturkritischen Meisterwerk" zu arbeiten behauptet. Ein "Psycho" und schnurrbärtiger "Wahnsinnsknabe", der seine Umwelt in Erstaunen versetzt durch seine abstoßende, weil arg ramponierte Erscheinung (wir dürfen ihn uns als Vorbild für Hermes Phettberg vorstellen) und seinen Ein-Mann-"Kreuzzug" gegen den überall ins Auge stechenden Verfall: "Die Fratzen im Fernsehen müsste man allesamt vergasen", urteilt er und: "Wir tanzen am Rande des Abgrunds, das sage ich schon lange."
Er schätzt Batman-Comics ebenso wie den "Trost der Philosophie" von Anicius Manlius Severinus Boethius. Von diesem Boethius weiß man, dass er "im niedergehenden Rom" in den Verdacht geriet, Teil einer Verschwörung zu sein und darob hingerichtet wurde. Ignatius J. Reillys Programm lautet – es lebe das Paradoxon - "Rettung der Menschheit durch Degeneration". Doch selbst die Tunten und Tucken aus dem French Quarter (unter ihnen ein gewisser "Dorian Greene") weigern sich, seine Bundesgenossen zu werden. Tooles Roman lebt von funkelnden Wortspielen und Dialogen, deren Witz Alex Capus elegant ins Deutsche überträgt.
Ob der oftmals rülpsende "dicke Spinner" Reilly, ebenso flatulent wie eloquent, in einer Hosenfabrik arbeitet oder als Hotdog-Verkäufer, der eine riesige "Blechwurst" durch die Straßen von New Orleans schiebt – keiner reicht an ihn heran in puncto Komik. Dieser paranoide Narr hält seiner Umwelt unentwegt den Spiegel vor, die sich in der Kommunistenhatz ebenso ergeht wie in rassistischen Klischees (einen Verbündeten findet Reilly schließlich im schwarzen Türsteher und Nachtclub-"Putzsklaven" Burma Jones).
Vor der sicheren Einlieferung in die Psychiatrie, "wo man an seiner Seele rumstümpern würde", bewahrt ihn schlussendlich eine nicht minder exzentrische New Yorker Brieffreundin. In John Kennedy Tooles New Orleans scheint man das gesamte Jahr über Mardi Gras zu feiern, werden hier doch selbst Polizisten dazu verdonnert, verkleidet herumzulaufen. Der Humor des Karnevals ist ein wirksames Mittel gegen staatliche wie kirchliche Herrschaftsansprüche und Repressionen, hat bereits der russische Literaturwissenschaftler Michail Bachtin festgestellt. Inmitten dieses bunten Treibens ist Ignatius J. Reilly ein würdiger König.
Besprochen von Knut Cordsen
John Kennedy Toole: Die Verschwörung der Idioten
Roman. Neu übersetzt von Alex Capus
Klett Cotta, Stuttgart 2011
462 Seiten. 22,95 Euro
Im Zentrum von Tooles Roman steht ein falstaffartiger Fettwanst: Ignatius J. Reilly, ein 30-jähriges schwules Muttersöhnchen, das es sich im Hotel Mama bequem gemacht hat und an einem "kulturkritischen Meisterwerk" zu arbeiten behauptet. Ein "Psycho" und schnurrbärtiger "Wahnsinnsknabe", der seine Umwelt in Erstaunen versetzt durch seine abstoßende, weil arg ramponierte Erscheinung (wir dürfen ihn uns als Vorbild für Hermes Phettberg vorstellen) und seinen Ein-Mann-"Kreuzzug" gegen den überall ins Auge stechenden Verfall: "Die Fratzen im Fernsehen müsste man allesamt vergasen", urteilt er und: "Wir tanzen am Rande des Abgrunds, das sage ich schon lange."
Er schätzt Batman-Comics ebenso wie den "Trost der Philosophie" von Anicius Manlius Severinus Boethius. Von diesem Boethius weiß man, dass er "im niedergehenden Rom" in den Verdacht geriet, Teil einer Verschwörung zu sein und darob hingerichtet wurde. Ignatius J. Reillys Programm lautet – es lebe das Paradoxon - "Rettung der Menschheit durch Degeneration". Doch selbst die Tunten und Tucken aus dem French Quarter (unter ihnen ein gewisser "Dorian Greene") weigern sich, seine Bundesgenossen zu werden. Tooles Roman lebt von funkelnden Wortspielen und Dialogen, deren Witz Alex Capus elegant ins Deutsche überträgt.
Ob der oftmals rülpsende "dicke Spinner" Reilly, ebenso flatulent wie eloquent, in einer Hosenfabrik arbeitet oder als Hotdog-Verkäufer, der eine riesige "Blechwurst" durch die Straßen von New Orleans schiebt – keiner reicht an ihn heran in puncto Komik. Dieser paranoide Narr hält seiner Umwelt unentwegt den Spiegel vor, die sich in der Kommunistenhatz ebenso ergeht wie in rassistischen Klischees (einen Verbündeten findet Reilly schließlich im schwarzen Türsteher und Nachtclub-"Putzsklaven" Burma Jones).
Vor der sicheren Einlieferung in die Psychiatrie, "wo man an seiner Seele rumstümpern würde", bewahrt ihn schlussendlich eine nicht minder exzentrische New Yorker Brieffreundin. In John Kennedy Tooles New Orleans scheint man das gesamte Jahr über Mardi Gras zu feiern, werden hier doch selbst Polizisten dazu verdonnert, verkleidet herumzulaufen. Der Humor des Karnevals ist ein wirksames Mittel gegen staatliche wie kirchliche Herrschaftsansprüche und Repressionen, hat bereits der russische Literaturwissenschaftler Michail Bachtin festgestellt. Inmitten dieses bunten Treibens ist Ignatius J. Reilly ein würdiger König.
Besprochen von Knut Cordsen
John Kennedy Toole: Die Verschwörung der Idioten
Roman. Neu übersetzt von Alex Capus
Klett Cotta, Stuttgart 2011
462 Seiten. 22,95 Euro