Retter

Die letzte Reise

06:25 Minuten
Der portugiesische Politiker António de Oliveira Salazar an seinem Schreibtisch. Von 1932 bis 1968 bekleidete er das Amt des Ministerpräsidenten und baute ein diktatorisches Regierungssystem auf.
Der portugiesische Politiker António de Oliveira Salazar an seinem Schreibtisch. © picture alliance/ dpa
Von Étienne Roeder · 31.01.2014
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Mehrere zehntausend Unterschriften leistete Aristides de Sousa Mendes, seinerzeit Konsul Portugals, im Jahr 1940 - und rettete damit viele Leben. Wofür er heute in Yad Vashem als Gerechter unter den Völkern geehrt wird, bezahlte er damals in Portugal mit seinem Ruf und seiner Freiheit.
"Ich lese nun die schwierigste Liste vor, denn sie enthält eine Menge tschechischer, polnischer und vor allem ungarischer Namen, die keiner aussprechen kann.
Ludwig Rosenberg, age 45, Esther Begel, age 49, Eugene Begel, age 46."
Im großen Spiegelsaal des Curia Palace Hotels wird es still als die Namen derer vorgelesen werden, die heute vor genau 73 Jahren eine Fahrkarte aus der damaligen Hölle Europa erhielten. Es sind nicht die Namen derer, die gedemütigt, verfolgt und ermordet wurden, sondern derjenigen, die 1940 der Katastrophe entrannen – mit einem Ausreisevisum. Und das Dank der Hilfe eines couragierten Portugiesen, dem die Veranstaltung an diesem Abend gewidmet ist.
Den Weg der Flüchtigen nachgereist
Die Delegation unter Leitung von Olivia Matthis, die von Paris bis nach Lissabon den Weg der Flüchtigen nachreist und dabei hier in Curia Station macht, gehört zur Aristides de Sousa Mendes Foundation mit Sitz in Seattle. Aristides de Sousa Mendes, seinerzeit Konsul Portugals in Bordeaux, setzte sich im Juni 1940, nach dem Fall Frankreichs, über die Direktive des portugiesischen Staatschefs António Salazar hinweg und zeichnete mit der Unterstützung seiner Familie und seiner Angestellten mehrere zehntausend Visa innerhalb weniger Tage. Wofür er heute in Yad Vashem als Gerechter unter den Völkern geehrt wird, bezahlte er damals in Portugal mit seinem Ruf und seiner Freiheit.
Das Hotel in Curia ist nicht zufällig als Station der Reise gewählt. In den großen, vergilbten Gästebüchern jener Tage, die für diesen Anlass ausliegen, findet sich seitenlang der Eintrag Refugiado oder Refugée als schützendes Synonym für Menschen aus ganz Europa, die hier ihre Weiterreise abwarteten. Als das Salazar Regime bemerkte, dass der Zustrom jüdischer und nicht jüdischer Flüchtlinge überhand nahm, wurden diejenigen, die bereits ein Visum für Portugal in den Händen hielten sogenannten residencias fixas, Sammelunterkünften für Ausländer, zugeteilt. Curia, 30 Kilometer von der Universitätsstadt Coimbra entfernt, war ein solcher Ort. Klein, unprätentiös und in sicherer Entfernung zu großen Ballungszentren versprach er den Kontakt zwischen Ausländern und Einheimischen gering zu halten.
"Portugal war ein Transitland. Die Flüchtlinge sollten so kurz wie möglich hier bleiben. Ankommen, das Schiff abwarten und raus. Die restriktiven Gesetze dieser Zeit waren nicht explizit antisemitisch, doch sie schrieben vor, denjenigen, die kein Heimatland besaßen, in das sie zurückkehren hätten können, lediglich ein Touristenvisum über 4 Wochen auszustellen. - und das betraf vor allem die Juden aus Deutschland, Österreich und anderen besetzten Gebieten. Die Mehrzahl der Flüchtlinge kam daher mit Visa von Aristides Souza Mendes ins Land, es müssen Tausende gewesen sein. In Vilar Formoso, an der Grenze zu Spanien drängten sich in diesen paar Tagen im Juni Zehntausende um danach über die Häfen Portugals nach Amerika zu kommen. Das lief im Akkord. Einige wenige konnten direkt nach Lissabon weiterreisen. Wer bei der Einreise kein Visum nach Übersee vorzeigen konnte, sondern nur eines von Sousa Mendes, kam in eine Sammelunterkunft."
Angst vor Ansteckung - im ideologischen Sinne
Die Historikerin Irene Flunser Pimentel aus Lissabon hat diese ambivalente Politik Salazars untersucht und dazu mehrere Bücher geschrieben. Gemeinsam mit Cláudia Ninhos veröffentlichte sie in diesem Jahr ihr Buch „Salazar, Portugal und der Holocaust“
Salazar hatte furchtbare Angst vor Ansteckung, allerdings nicht im biologischen, sondern eher im ideologischen Sinne. Die Ansteckung, das war für ihn der Einfluss, den diese Leute mit anderen Werten und politischen Überzeugungen auf die einheimische Bevölkerung haben könnten. Die Leute, die zum Beispiel Aristides de Sousa Mendes mit seinen Visa rettete, die gehörten einem gänzlich anderen sozialen wie kulturellen Umfeld an als die meisten Portugiesen. Einige von ihnen kamen im Auto aus Bordeaux, hier verkauften die Leute dann alles um die Schiffsfahrkarten zu bezahlen. Dazu gehörten Diamanten belgischer Edelsteinhändler aus Antwerpen, die einfach herzubringen waren, ebenso wie Pelzmäntel und Autos. In den Zeitungen dieser Zeit finden sich viele Anzeigen auf Deutsch und Französisch, die sagen “Voiture, Bon Marché”…
"Mais pour nous la lumière c´est vraiment Aristide de Sousa Mendes. Et demain dans la université de Coimbra le president de la office de tourisme il va faire un retour de la Université de Coimbra, oú Aristide a etudié trés jeune dans cette temps."
Erst Jahrzehnte nach der Nelkenrevolution werden nun auch die Bemühungen Sousa Mendes gewürdigt und seiner gedacht. Es gibt bereits ein virtuelles Museum und die amerikanische Aristides de Sousa Mendes Stiftung gründete sich mit dem konkreten Ziel die Restaurierung des Familienhauses Casa do Passal, in dem der Diplomat bis kurz vor seinem Tod 1954 lebte, zu finanzieren und seinen Ausbau als physisches Museum voran zu treiben.
Sousa Mendes starb vereinsamt und verschuldet
Die Reise der 44 Überlebenden und ihrer Nachkommen aus acht Ländern, die über die Stiftung zueinander gefunden haben, machte daher auch dort Station. Der junge New Yorker Architekt Eric Moed, dessen Urgroßvater und Großvater ein Visum von Sousa Mendes erhielten, stellte zu diesem Anlass vor den Besuchern seine Installation Work towards Fairness vor, ein weiß schimmernder temporärer Eingang, der dem Museum einladend vorgreifen soll. Er steht im krassen Gegensatz zu dem vermodernden, herabsinkenden Dach des Hauses, an dem seit 60 Jahren keine Arbeiten mehr vorgenommen wurden. Sousa Mendes selbst, verschuldet und vereinsamt, musste die großen Holztüren des Hauses damals verheizen bevor er in einem Armenkrankenhaus in Lissabon starb.
" (…) Cecile Zwiebel, age 26, Ana Zwiebel, age 57, J. Feldmann, Chaim Feldmann, Maxim Furland, age 15, J. Furland, age 17, Elena Furland, age……."
Für jede seiner Unterschriften zwischen dem 16. und 23. Juni 1940 jedoch steht heute ein Name. Jeder Teilnehmer der Reise führt einen Auszug der langen Liste mit sich, die durch die Nachforschungen der Stiftung stetig erweitert wird. Am Tag der Ausstellung des Visums tragen mehrere Männer und Frauen diese Namen andachtsvoll vor, lassen das Protokoll der langen Reise für einen kurzen Moment in den Hintergrund treten. Ihre Erinnerung und ihre Präsenz zeugen von dem beherzten Vorgehen des Diplomaten aus Portugal, auch wenn das baufällige Gebäude, in das Regen und Wind Einzug halten und über das sie sich alle gefunden haben, nicht mehr zu retten ist.
"Piere and Roger Han, age 12 and 8. Their father John Han, age 44, who was denied a French exit visa and prevented him from crossing into Spain. Henry Schilten and Jane Schilten."