Restitution muss Gerechtigkeit schaffen

Von Reinhold Baumstark · 10.07.2009
Restitution meint die Rückgabe unrechtmäßig erworbenen Kunstbesitzes, und solange beide Seiten von der Unrechtmäßigkeit des derzeitigen Zustandes überzeugt sind, lässt sich wohl immer ein Ausgleich finden. Erst wenn sich beide Seiten im Recht wähnen, beginnt der Konflikt.
Erschwerend kommt hinzu, dass moderne Rechtsnormen auf historische Bedingungen treffen, die seinerzeit legal gewesen sein mögen, heute aber in anderem Licht gesehen werden. So war der Erwerb der Parthenon-Skulpturen durch Lord Elgin vom türkischen Sultan, dem damaligen Landesherrn Griechenlands, rechtens, doch seither hat sich eine moderne griechische Nation gebildet, die das damalige türkische Joch und alle damit verbundenen Verträge abgeschüttelt hat. Die Aufteilung archäologischer Funde zwischen den zumeist ausländischen Ausgräbern und den Behörden des Grabungslandes war lange Zeit geläufige Praxis, zur Zufriedenheit beider Seiten. So füllten sich die Museen in Paris und London, Berlin und New York mit Schätzen des Altertums. Heute allerdings bestreitet Ägypten die Rechtmäßigkeit des Teilungsaktes, der die wundervolle Büste der Nofretete nach Berlin brachte. War es geltendes Kriegsrecht, das die britischen Truppen bei der Erstürmung Benins, dem heutigen Nigeria, im Jahr 1899 zum Raub kostbarer Bronzen berechtigte, die nun über die großen Museen der Welt verteilt sind?

Das Recht des Anspruchs auf Eigentum zu belegen, ist die eine, ohnehin schon schwierige Aufgabe. Doch noch gravierender erscheint, dass es sich zumeist um einzigartiges Kulturerbe handelt, um ein Patrimonium, an dem der Stolz einer Nation hängt. Griechenland hat vor wenigen Tagen in Athen ein eigenes Museum eröffnet, das den Londoner Parthenon-Skulpturen endgültigen Raum gewähren soll. Es ist dies eine gebaute Restitutionsforderung, vorgetragen mit dem Pathos des leeren, nun für immer zu füllenden Raums. Ist dieser Forderung stattzugegeben, soll das Patrimonium zurückkehren in den Schutz seiner Nation?

Allerdings muss auch die andere Seite zu Wort kommen. Seit nahezu 200 Jahren haben die Parthenon-Skulpturen in London ihren Ort gefunden, von wo sie Millionen von Betrachtern das Erlebnis der Klassik Griechenlands vermittelt haben, wo sie eingebettet sind in eine überwältigende Schau der Kulturen, der Zeugnisse des Geistes unserer Welt. Sie haben dort das Bild der Freiheit des Menschen verkörpert, der Grundlage zur Demokratie eines Staatswesens und damit Griechenlands wichtigstem Vermächtnis zunächst an Europa, dann an die gesamte Menschheit.

In Berlin vermittelt die Aura der Nofretete das Gespür für die auf Ewigkeit zielende Kunst des alten Ägypten, vermag die hoch emotionale Sprache der Skulpturen des Pergamon-Altares den Betrachter zu erschüttern. Diese Zeugen einer uns noch immer bewegenden Vergangenheit haben in den großen Kunstzentren eine Bildungstradition begründet, die uns befähigt, die Welt geistig zu vermessen.

In den Museen ist der Keim angelegt für die Universalität, die uns zu Weltbürgern macht. Und diese Tradition moderner Kulturstaaten, die unsere Sicht bestimmt, so wie sie viele Generationen vor uns geprägt hat, verfügt über eine eigene Geschichtlichkeit. Deren Wirkung kann nicht ausgelöscht werden, denn sie ist nun ebenso verwurzelt und damit gleichberechtigt zur Geschichtlichkeit, die sich an die Ursprünge der Kunstwerke knüpft. Restitution ist damit nur zuzustimmen, solange sie Gerechtigkeit schafft. Sie ist abzulehnen, sobald sie überholte nationalistische Grenzen zieht.


Reinhold Baumstark, 1944 in Hahnenklee geboren. Er studierte Kunstgeschichte, Archäologie und Alte Kirchengeschichte. Er war von 1976 bis 1991 Direktor der Sammlungen des Fürsten von Liechtenstein und von 1991 bis 1999 Generaldirektor des Bayerischen Nationalmuseums. Von 1999 bis 2009 leitete er als Generaldirektor die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen und damit die drei Münchner Pinakotheken.
Reinhold Baumstark
Reinhold Baumstark© Bayerische Staatsgemäldesammlungen