Respektlos kreativer Umgang mit der europäischen Kunstgeschichte

Von Jochen Stöckmann |
Die Ausstellung "Nothing to declare" spürt den Veränderungen auf dem Kunstmarkt nach. Faktenreich versuchen der Kunsthistoriker Hans Belting und die Kuratorin Andrea Buddensieg, Trends in der Kunst zu kartographieren. Die entscheidene Frage beantwortet die Ausstellung aber nicht. Zum Glück.
China drängt auf den Kunstmarkt, die Golfstaaten kaufen weltweit ein für ihre Museen, russische Oligarchen frönen ihrer Sammelwut - diese Trends und Tatsachen dokumentiert die Ausstellung "Weltkarten der Kunst nach '89" mit Infografiken und animierten Statistiken. In Holzcontainern, jederzeit bereit zum Weitertransport, zeigen Videoarbeiten in der Berliner Akademie der Künste aber auch, wie sich mit den Verschiebungen auf der Landkarte die Kunst selbst verändert hat: Aray Rasdjarnrearnsook filmt thailändische Bauern, die auf einer Wiese am Waldrand sitzen und Manets Gemälde "Frühstück im Grünen" betrachten. Und mit dem Flug von Avataren durch einen ebenso ort- wie endlosen Cyberspace spielt Miao Xiaochum auf Michelangelos "Jüngstes Gericht" an.

Dieser respektlos kreative Umgang mit der europäischen Kunstgeschichte ist nicht mehr neu. Was dagegen auffällt: bestimmte Genres, etwa das klassische Herrscherporträt, fehlen bei dieser globalen Kartierung.

Hans Belting: "Ja, die Herrscher in der Politik haben andere Rollen eingenommen, das kann man wohl sagen. Und insofern ist das heute ein anonymer Prozess, der trotzdem eine gewaltige Macht hat, eine größere Macht als die damaligen Herrscher. Viele Leute, etwa Australier, mit denen ich gesprochen habe, die sagen: Unsere Kunst ist anders als die Kunst im Westen, weil sie einen "social change" repräsentiert, der hier bei uns stattfindet und nicht bei euch - und insofern symbolisch."

Der Kunsthistoriker Hans Belting versucht zusammen mit Kuratorin Andrea Buddensieg jenem "change", jenen Veränderungen nachzuspüren, die sich hinter den symbolischen, aus verschiedenen Kulturen zusammenströmenden Kunst-Motiven verbergen. Schon 1984 hatte Belting in seiner wegweisenden Studie "Das Ende der Kunstgeschichte" mit dem "Gänsemarsch der Stile" in der eurozentrischen Sicht auf die Weltkunst gebrochen.

Auch die neuen Recherchen folgen keinem chronologischen Schema. Stattdessen münden sie in ein multimediales Panorama, das den weltweiten Vormarsch der Kunstmessen und Biennalen, vor allem aber die irrwitzigen Kapriolen des Kunstmarkts erstmals umfassend kartographiert. Wichtige Details gehen dabei nicht verloren, etwa die Asian-Pacific Triennial von 1993:

"Dass Australien sich auf einer großen Biennale mit drei Aborigines-Frauen repräsentiert, dass dahinter ganz massive ökonomische Interessen einerseits und ein großer sozialer Wandel steht, das ist klar. Aber dass eine Kunst, die behauptet, sozusagen Steinzeitwurzeln zu haben, plötzlich auf dem zeitgenössischen Kunstmarkt akzeptiert wird, das ist schon ein Phänomen. Ich habe dazu keinen Schlüssel, wir können es nur dokumentieren - das fasziniert mich."

Leider gelingt es mit der faktenreichen Präsentation nicht immer, diese Faszination auch zu übertragen: Auf eine zentrale Figur wie den gebürtigen Pakistani Rasheed Araeen, der sich in England seit Ende der Sechziger vergeblich um Zugang zur Kunstszene bemühte, sollen die fast 150 Ausgaben seiner in London herausgegebenen Zeitschrift "Third Text" aufmerksam machen: Berge von Papier, mehr oder minder graue Theorie, auf die die Protagonisten der neuen, der globalen Kunstwelt zumindest in dieser Form nicht mehr angewiesen sind:

"Es gibt natürlich außer dem Reisekünstler, der als der Wanderer zwischen den Biennalen dargestellt wird, Künstler, die durch das Internet mit anderen Künstlern oder mit ihren Studios in anderen Ländern arbeiten, die gar nicht mehr zu reisen brauchen."

Mit Internet und Neuen Medien entsteht auch in der Berliner Ausstellung ein virtueller Raum, eine Vorstellungswelt, die Platz lässt für jene Vielzahl von Geschichten, Utopien und Fiktionen, welche die eine große Meistererzählung westlich geprägter Kunst ersetzt haben. Und damit wirft "Nothing to declare?" jene Frage auf, die Hans Belting und seine Mitstreiter - glücklicherweise - nicht beantworten:

""Was mit dem Kunstbegriff passiert in einer Welt, in der Mehrheit des Publikums aus anderen Kulturen kommt, Kunst kauft, sich mit Kunst beschäftigt und Kunst fördert, das ist wirklich die entscheidende Frage. Und mir ist klar, dass Veränderungen auch dazu führen, dass meine eigenen Vorlieben, also meine Erziehungsideale, dabei baden gehen oder jedenfalls Schaden erleiden. Aber so ist Geschichte! Ich werde immer gefragt: Was sagen Sie denn dazu? Und meine Antwort ist dann meistens: Die Weltgeschichte fragt mich selten was sie machen soll."


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