Respekt!

Von Cora Stephan |
Ich finde auch, dass man das mal sagen muss: dass man, fährt man nach Deutschland, zum Beispiel des Fußballs wegen, "zu Gast bei Freunden" ist. Nicht bei Feinden, zum Beispiel. Oder bei Hunnen und Teutonen und anderem barbarischen Gesocks. Insbesondere den Briten muss man ja bekanntlich noch immer erklären, dass hierzulande niemand mit "Heil Hitler" grüßt oder im Stechschritt über die Straße geht. Hej, wir sind modern! Weltoffen! Tolerant! Selbstkritisch! Und, im Vertrauen gesagt: Wir haben sogar Humor und lachen mit, wenn sich andere über uns lustig machen.
Ach was, dann lachen wir sogar besonders herzlich.
Und insofern kann man uns einen stabilen Nationalcharakter nicht bestreiten: Die Deutschen sind ein gesittetes, gutmütiges und gutwilliges Völkchen mit einem gehörigen Schuss Masochismus. Uns fehlt die Selbstüberschätzung der Franzosen und die überkommene imperiale Arroganz der Briten, das robuste Muskelspiel der Amerikaner und der Ehrbegriff traditioneller Herrenvölker, was uns ungemein sympathisch machen würde, wenn uns nicht immer der Frischgewaschenduft eines europäischen Musterknabens umwehte.

Weshalb es alles nichts hilft: Sie lieben uns einfach nicht, die anderen. Und während man sich früher noch darauf verlassen konnte, dass sie einen wenigstens fürchteten, ersatzweise, so hat sich auch das mittlerweile erledigt. Die Welt fürchtet höchstens unsere Verzagtheit, unsere schlechte Laune, unser mangelndes Selbstvertrauen, unsere ewige German Angst. Und wer das nicht fürchtet, der macht sich lustig über uns.

Mit anderen Worten: Niemand gibt uns, was heutzutage jeder integrationsgestörte Subkulturjungmann als sein Geburtsrecht einklagt: Respekt. Für die einen sind wir ewig unsichere Kantonisten, umso verdächtiger, je netter wir uns geben, für die anderen Weicheier und Warmduscher, desto toleranter wir auftreten.

Wie soll es auch anders sein? Jeder Küchenpsychologe weiß, dass dem Respekt der anderen die Selbstanerkennung vorausgehen muss. Doch im Misstrauen uns selbst gegenüber lassen wir uns von niemandem übertreffen. Und deshalb gerät jeder Konflikt zu einem Drama, das die Fundamente des Gemeinwesens zu erschüttern geeignet ist. Als ob es nicht schlimm genug wäre, dass nach einer Schlägerei unter betrunkenen Männern der eine von den dreien schwer verletzt im Koma liegt: Eine stets alarmierbare Öffentlichkeit vermutet dahinter sogleich Rassismus und Nazitum, als ob andere Übel hierzulande nicht vorstellbar wären, ja als ob das je individuelle Böse stets auf das nationale Trauma verwiese. Und so schleicht sich in die durchaus sympathische Besorgtheit um das gesellschaftliche Gefüge schnell jener leicht hysterische Ton ein, der jedem neutralen Beobachter vor allem eines suggeriert: Wir trauen dem Frieden nicht. Wir trauen uns selbst nicht. Wir trauen uns nur eines zu: das Schlimmstmögliche.

Dagegen scheint kein Kraut gewachsen. Denn auch das spricht ja wieder für uns: dass wohl die wenigsten folgsam wären, wenn einer käme und mit kernigem Basta unsere Selbstzweifel vom Tisch wischte. Dabei geht der Hang zur nationalen Depression vor allem unseren Nachbarn gehörig auf den Wecker. Europa braucht die Lokomotive Deutschland, Amerika kann einen selbstbewussten Bündnispartner vertragen und insbesondere die heutigen und künftigen osteuropäischen EU-Mitglieder wollen ein freiheitlich-kämpferisches europäisches Kernland. Und wir hier könnten ein bisschen Optimismus und Vertrauen in die eigene Kraft schon aus wirtschaftlichen Gründen verdammt gut gebrauchen.

Aber der wichtigste Grund geht den Deutschen erst seit wenigen Jahren auf. Wer sich selbst nicht respektiert, kann Respekt auch von anderen nicht erwarten – vor allem von jenen nicht, für die Stärke und Ehre Ersatz sind für Erfolg und Anerkennung. Das mangelnde deutsche Selbstbewusstsein ist zu einem ernstzunehmenden Hindernis für eine gelingende Integrationspolitik geworden.

Und das ist paradox. Ausgerechnet in dem für Migranten aus allen Gegenden der Welt attraktivsten Einwanderungsland hat man jahrelang nicht begriffen, dass es nicht nur die Not anderswo, sondern auch die Vorzüge hierzulande sind, die Menschen veranlasst, nach Deutschland zu kommen. Stattdessen verkündete eine ewig infantile Linke wehleidig: "Liebe Ausländer, lasst uns mit den Deutschen nicht allein!"

Geschieht uns wohl recht, wenn uns niemand respektiert. Stolz auf Deutschland? Nicht mit uns.

Dabei gibt es so vieles, was man lieben kann hierzulande. Und noch mehr, auf das man nicht verzichten möchte. Ich schlage deshalb vor: ein bisschen mehr Stolz auf ein Land, zu dessen Ehre es gehört, die Menschenwürde der Frau zu respektieren. Irgendwo muss man ja mal anfangen.

Die Frankfurter Publizistin und Buchautorin Cora Stephan, Jahrgang 1951, ist promovierte Politikwissenschaftlerin. Von 1976 bis 1984 war sie Lehrbeauftragte an der Johann Wolfgang von Goethe Universität und Kulturredakteurin beim Hessischen Rundfunk. Von 1985 bis 1987 arbeitete sie im Bonner Büro des "Spiegel". Zuletzt veröffentlichte sie "Der Betroffenheitskult. Eine politische Sittengeschichte", "Die neue Etikette" und "Das Handwerk des Krieges".