Resistenzen gegen Krankheiten nehmen zu
Durch falsche Behandlung mit Antibiotika träten immer öfter Resistenzen gegen Krankheiten auf, erklärt Torsten Bauer, Chefarzt der Klinik für Pneumologie am Uniklinikum Heckeshorn in Berlin. Außerhalb Deutschlands kursiere bereits eine Form der resistenten Tuberkulose. "Das ist ein Problem, das uns irgendwann einholen wird."
Dieter Kassel: Nachdem Alexander Fleming 1928 das Penicillin entdeckte, begann der Siegeszug der Antibiotika, was inzwischen längst dazu geführt hat, dass uns bakteriell verursachte Erkrankungen nicht mehr schrecken. Die großen Schrecken der Menschheit wie Pest, Lepra, Cholera oder Tuberkulose gibt es in Europa sowieso längst nicht mehr und die Kleinigkeiten, die gehen ja meistens wieder weg, wenn man zwei Wochen lang die Antibiotika-Pillen nimmt.
Die Frage ist allerdings, wie lange das noch zu 100 Prozent funktioniert. Immer wieder hören wir ja von Resistenzen, die gewisse Bakterien entwickelt haben gegen einzelne Antibiotika, und wir hören davon, dass diese Entwicklung langsam voranschreitet. Wie in der Praxis wirklich damit umgegangen wird, wie schlimm es ist und was eigentlich die Ursachen für diese Resistenzen im Einzelfall sein können, darüber wollen wir jetzt mit Professor Torsten Bauer reden, Chefarzt der Klinik für Pneumologie am Uniklinikum Heckeshorn des Helios-Konzerns in Berlin. Herzlich Willkommen bei uns, schönen guten Tag!
Torsten Bauer: Schönen guten Tag!
Kassel: Sie arbeiten natürlich unter anderem, wenn es denn notwendig ist, mit Antibiotika bei der Behandlung Ihrer Patienten. Wie oft kommt es denn im Alltag wirklich vor, dass Resistenzen diese Behandlung erschweren?
Bauer: Wir arbeiten sehr viel mit Antibiotika, weil wir einen Schwerpunkt in der Infektiologie haben. Man muss wissen, dass Antibiotikaresistenz ein natürliches Phänomen ist. Sir Fleming hat 1928 das Penicillin beschrieben, 1940 waren die ersten Resistenzen beschrieben, kurz nachdem es breitflächig eingesetzt worden ist. Das heißt, wir müssen in der Infektiologie immer, natürlicherweise, mit Resistenz umgehen. In meinem Bereich zum Beispiel, im Bereich der Lungenheilkunde, haben wir bei der Lungenentzündung Resistenzen, die wir kennen, zum Beispiel gibt es Penicillinresistenzen gegen den herkömmlichsten Erreger. Wir können aber trotzdem mit Penicillin therapieren, wir müssen nur hoch genug dosieren.
Kassel: Gibt es trotzdem die Tendenz, dass diese Resistenzen zunehmen, also, müssen Sie damit heute häufiger umgehen als, sagen wir mal, noch vor zehn Jahren?
Bauer: Ja. Die Resistenzen nehmen zu, man muss das kennen, also zum Beispiel gegen das Penicillin oder eines der zweithäufigsten Antibiotika, das Makrolid, haben wir bestimmte Zahlen, mit denen wir arbeiten müssen, und wir sagen zum Beispiel: Wenn ein Erreger statistisch zu 20 Prozent resistent ist, dann erst müssen wir das Antibiotikum wechseln. Das heißt, wir gehen täglich mit diesen Resistenzen um, ohne dass es dazu führt, dass wir keine Antibiotika mehr haben, mit denen wir sie auch behandeln können.
Kassel: Die große Angst, die man natürlich dann als Laie sofort bekommt, ist, dass man eingeliefert wird oder auch zu einem ambulant behandelnden Arzt geht mit einer bakteriell verursachten Krankheit, gegen die es kein Antibiotikum gibt. Kommt das vor?
Bauer: Diese Angst halte ich im Moment für vollkommen übertrieben. Was Sie beschrieben haben, diesen Prozess – man kommt von zu Hause ins Krankenhaus – nennen wir, wie es immer neudeutsch heißt, community acquired, das heißt, Sie haben es sich in der community, in der häuslichen Umgebung, geholt. Dass sie dort mit ernsthaften Resistenzen zu rechnen haben, ist die Ausnahme. Alle anderen ernstzunehmenden Infektionen, die schwer behandelbar sind, kommen aus dem Krankenhaus.
Kassel: Reden wir über die Ursachen für die tendenzielle – ich versuche, das vorsichtig zu formulieren, aber Sie haben es ja bestätigt –, doch tendenzielle Zunahme von Resistenzen. Wenn man mal zwei europäische Statistiken vergleicht, dann kriegt man sofort eine Idee. Griechenland ist das Land, in dem man am leichtesten rankommt an Antibiotika, einige gibt es verschreibungsfrei, sie werden aber auch, wenn nötig, häufig verschrieben. Griechenland ist auch ein Land, in dem Antibiotikaresistenzen sehr häufig beobachtet werden. Schweden ist sehr restriktiv, was die Anwendung von Antibiotika angeht, dort sind diese Resistenzen zwar da, aber im Vergleich sehr viel seltener. Also ist es so simpel? Wenn wir zu leichtfertig, zu oft verschreiben, dann haben wir auch mehr Resistenzen?
Bauer: So einfach ist das, ja. Ich habe selbst zwei Jahre in einem Hochresistenzland gelebt, in Spanien, und dort bekamen Sie – zumindest um die Jahrtausendwende – die Antibiotika zwar nicht direkt über den Ladentisch gereicht, aber doch nebendran oder drumherum. Und wenn die Antibiotika nicht in der richtigen Dosierung und nicht in der richtigen Indikation verschrieben werden, dann neigen die Patienten auch dazu, sie relativ früh wieder abzusetzen, weil der Druck nicht da ist, diese Therapie jetzt auch durchzuführen. Und wenn diese Therapien nicht ausreichend lange durchgeführt werden, dann kommt es zu Resistenzen, sodass … Jeder, der sich Antibiotika holen kann, wird natürlich so früh wie möglich damit auch wieder aufhören, und wenn der erzieherische Wert der Verschreibung wegfällt, dann passieren solche Sachen wie in Italien, Spanien, Frankreich und Griechenland, Griechenland ist da nur die Spitze des Eisbergs.
Kassel: In einem Land wie Deutschland, wo es nun ohne Verschreibung legal nicht möglich ist, ranzukommen – wir liegen so ein bisschen im Mittelfeld. Es ist, ich sage mal einfach, nicht so gut wie in Schweden, aber nicht annähernd so schlimm wie in Griechenland. Woran liegt es, dass auch in Deutschland vielleicht zumindest manchmal ein bisschen zu schnell Antibiotika gegeben wird?
Bauer: Ich bin natürlich Arzt und würde ganz gerne auch immer mal die andere Seite schildern. Normalerweise werden immer die Ärzte dafür verantwortlich gemacht, zumindest in Deutschland ist das ja auch korrekt, weil sie die Verschreibungen auch treffen. Aber es gibt auch – und gerade im niedergelassenen Bereich – einen Druck, der auf den Ärzten lastet, in irgendeiner Form zu helfen. Es gibt eine sehr schöne internationale Studie, die in den einzelnen Ländern verglichen hat, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, aus einer Sitzung mit einem Arzt wieder mit einem Antibiotikum rauszukommen. Und wenn Sie mit der Erwartung da reingehen, dass Sie ein Antibiotikum wollen, dann kriegen Sie auch eins. Die Wahrscheinlichkeit steigt auf das Doppelte, denn wir müssen ja die Verantwortung für unsere Patienten übernehmen. Wir müssen sagen: Wenn Sie dieses Antibiotikum nehmen, werden Sie wahrscheinlich nicht schneller gesund als ohne. Und das ist eine Situation, die in der heutigen Medizin, wenn Sie sich vorstellen, niedergelassener Kollege muss diese Entscheidung vielleicht bei 60 Patientenkontakten pro Tag 20 Mal treffen, in der Influenza-Saison zum Beispiel, dass er manchmal dann eben auch keine Lust hat, die Verantwortung zu übernehmen.
Ein Ausweg aus dieser Krise kann sein, dass wir die Patienten mit in die Verantwortung nehmen. Das Verhältnis zwischen Patienten und Ärzten hat sich ja gewandelt in den letzten Jahren. Man ist eher zu einem partnerschaftlichen Verhältnis gekommen, und aus meiner Sicht gehört zu diesem partnerschaftlichen Verhältnis auch die gegenseitige Verantwortung und nicht nur die des Arztes.
Kassel: Wir reden im Deutschlandradio Kultur mit Professor Torsten Bauer, Lungenfacharzt, hat täglich in seiner Arbeit auch mit Antibiotika zu tun. Darüber reden wir, über die Zunahme von Resistenzen. Wie sieht das weltweit aus? Es gab im August in der Fachzeitschrift "Science" einen Überblicksartikel, in dem unter anderem auch bemängelt wurde von Experten, dass die Pharmaindustrie kein übertrieben großes Interesse an der Erforschung und Entwicklung neuer Antibiotika hat – was ein Problem sein kann, vielleicht nicht in den großen, reichen Industrieländern, sondern woanders. Mich überrascht das zum Teil zunächst mal, weil ja auch in Deutschland die Antibiotika einen vergleichsweise hohen Anteil an den Arzneimittelausgaben haben. Warum ist das offenbar trotzdem nicht lukrativ?
Bauer: Die Probleme, die der Pharmaindustrie immer zugeschrieben werden, sind im Prinzip Probleme, die eigentlich jede Industrie haben müsste. Wir könnten die Autoindustrie genauso gut dafür verantwortlich machen, dass sie Autos produziert, die zu viel Benzin verbrauchen. Die Antibiotika-Industrie unterliegt dem Diktat des Kapitalismus. Sie muss damit Geld verdienen. Und wenn die Patente nicht lange genug laufen, dann können sie die Entwicklungskosten eines Antibiotikums nicht mehr wieder reinholen.
Es gab vor zwei Jahren mal eine neue Formulierung eines Antibiotikums, wo nur eine Tablette notwendig gewesen wäre, und in Deutschland gab es dafür keine Zulassung, weil man im Zulassungsausschuss der Meinung war, dass es dieses Antibiotikum ja bereits gibt und dann müssen es die Patienten eben mehrfach nehmen. Aber im Zusammenhang mit dem, was ich gerade beschrieben habe, dass viele in der Indikation die Tabletten halt nur zur Hälfte nehmen, wäre das zum Beispiel ein sinnvoller Mechanismus gewesen, um Resistenzen in dieser Indikationsgruppe vielleicht zu reduzieren.
Deshalb darf man der Pharmaindustrie keine Vorwürfe machen, wenn sie sagt, ich kann mit dieser Indikation kein Geld verdienen, denn sie hat keinen gesellschaftlichen Auftrag. Und wenn zum Beispiel die Gesellschaft glaubt, dass die Pharmaindustrie einen solchen Auftrag annehmen soll, dann muss sie dafür Anreize schaffen. Das größte Problem – verlassen wir Deutschland mal für einen kleinen Augenblick – ist wahrscheinlich die resistente Tuberkulose. Das sind erst mal Resistenzen, die aufgetreten sind durch fehlerhafte Behandlungen, jetzt aber auch von Mensch zu Mensch übertragen werden. Die Tuberkulose kann heutzutage mit einem Euro pro Tag behandelt werden, aber sie wird nicht behandelt, weil es ökonomisch nicht lukrativ ist. Und das ist sicherlich ein Problem, was uns irgendwann wieder einholen wird.
Kassel: Wenn Sie zu Recht darauf hinweisen, dass ein normaler Pharmakonzern eben keinen gesellschaftlichen Auftrag hat, sondern ein Unternehmen ist, das Geld verdient mit seinen Produkten – wäre denn dann etwas eine Lösung, was nun ausgerechnet ein amerikanischer Mikrobiologe vorgeschlagen hat? Carl Nathan, der hat vor Kurzem gesagt, dass er – gerade auch im Zusammenhang mit Antibiotika – dann eigentlich gerne mal einen Pharmakonzern hätte, der staatlich gefördert wird. Wir sind in den USA, da hat man große Angst vor kommunistischen Ideen, deswegen sagt er nur "staatlich gefördert". Bei uns könnte man vielleicht sogar einen staatlichen Konzern sich vorstellen. Wäre das eine Lösung?
Bauer: Es gibt ja immer wieder Hinweise darauf – Sie hatten die skandinavischen Staaten schon zitiert –, dass, wenn man bestimmte Antibiotika eine Zeit lang nicht mehr benutzt, sie auch wieder als wirksame Waffe erscheinen. Das war zum Beispiel beim Erythromycin in Finnland der Fall, wo man einfach staatlich gesagt hat, dieses Medikament wird nicht mehr verordnet und zehn Jahre danach konnte man es wieder verordnen. Das heißt, wenn man regulativ in den Markt eingreift, kann man auch die Resistenzen in irgendeiner Form steuern.
In der aktuellen Situation haben wir einige Antibiotika, die sehr gut wirksam sind, mit denen sich aber relativ wenig Geld verdienen lässt. Und ich sage mal, die Pharmaindustrie könnte unter Umständen auf die Idee kommen – ohne Vorwurf sei es jetzt hier so formuliert –, die Produktionskapazitäten aufzukaufen, um dann, wie es zum Beispiel auch die Autoindustrie macht, diesen Hersteller zu schließen und das teurere Produkt nur noch auf dem Markt zu haben. Das sind sicherlich Bereiche, wo staatliche Förderung von Produktionskapazitäten sinnvoll wäre, ohne dass es gleich kommunistisch ist.
Kassel: Wir sind ja nicht in den USA. Also, ich fasse zusammen: Es gibt keinen Grund zur Panik, aber einen gewissen Grund zur Nachdenklichkeit und zur Verhaltensänderung im Umgang mit Antibiotika, wenn wir auf die Dauer damit zurechtkommen, dass die Resistenzen von Bakterien gegen viele bekannte Antibiotika weiter zunehmen. Professor Torsten Bauer war das, Chefarzt der Klinik für Pneumologie am Lungenklinikum am Heckeshorn, das gehört – ich mache es jetzt mal ganz offiziell – zum Helios-Klinikum Emil von Behring in Berlin-Zehlendorf. Ich danke Ihnen, dass Sie zu uns gekommen sind!
Bauer: Vielen Dank!
Die Frage ist allerdings, wie lange das noch zu 100 Prozent funktioniert. Immer wieder hören wir ja von Resistenzen, die gewisse Bakterien entwickelt haben gegen einzelne Antibiotika, und wir hören davon, dass diese Entwicklung langsam voranschreitet. Wie in der Praxis wirklich damit umgegangen wird, wie schlimm es ist und was eigentlich die Ursachen für diese Resistenzen im Einzelfall sein können, darüber wollen wir jetzt mit Professor Torsten Bauer reden, Chefarzt der Klinik für Pneumologie am Uniklinikum Heckeshorn des Helios-Konzerns in Berlin. Herzlich Willkommen bei uns, schönen guten Tag!
Torsten Bauer: Schönen guten Tag!
Kassel: Sie arbeiten natürlich unter anderem, wenn es denn notwendig ist, mit Antibiotika bei der Behandlung Ihrer Patienten. Wie oft kommt es denn im Alltag wirklich vor, dass Resistenzen diese Behandlung erschweren?
Bauer: Wir arbeiten sehr viel mit Antibiotika, weil wir einen Schwerpunkt in der Infektiologie haben. Man muss wissen, dass Antibiotikaresistenz ein natürliches Phänomen ist. Sir Fleming hat 1928 das Penicillin beschrieben, 1940 waren die ersten Resistenzen beschrieben, kurz nachdem es breitflächig eingesetzt worden ist. Das heißt, wir müssen in der Infektiologie immer, natürlicherweise, mit Resistenz umgehen. In meinem Bereich zum Beispiel, im Bereich der Lungenheilkunde, haben wir bei der Lungenentzündung Resistenzen, die wir kennen, zum Beispiel gibt es Penicillinresistenzen gegen den herkömmlichsten Erreger. Wir können aber trotzdem mit Penicillin therapieren, wir müssen nur hoch genug dosieren.
Kassel: Gibt es trotzdem die Tendenz, dass diese Resistenzen zunehmen, also, müssen Sie damit heute häufiger umgehen als, sagen wir mal, noch vor zehn Jahren?
Bauer: Ja. Die Resistenzen nehmen zu, man muss das kennen, also zum Beispiel gegen das Penicillin oder eines der zweithäufigsten Antibiotika, das Makrolid, haben wir bestimmte Zahlen, mit denen wir arbeiten müssen, und wir sagen zum Beispiel: Wenn ein Erreger statistisch zu 20 Prozent resistent ist, dann erst müssen wir das Antibiotikum wechseln. Das heißt, wir gehen täglich mit diesen Resistenzen um, ohne dass es dazu führt, dass wir keine Antibiotika mehr haben, mit denen wir sie auch behandeln können.
Kassel: Die große Angst, die man natürlich dann als Laie sofort bekommt, ist, dass man eingeliefert wird oder auch zu einem ambulant behandelnden Arzt geht mit einer bakteriell verursachten Krankheit, gegen die es kein Antibiotikum gibt. Kommt das vor?
Bauer: Diese Angst halte ich im Moment für vollkommen übertrieben. Was Sie beschrieben haben, diesen Prozess – man kommt von zu Hause ins Krankenhaus – nennen wir, wie es immer neudeutsch heißt, community acquired, das heißt, Sie haben es sich in der community, in der häuslichen Umgebung, geholt. Dass sie dort mit ernsthaften Resistenzen zu rechnen haben, ist die Ausnahme. Alle anderen ernstzunehmenden Infektionen, die schwer behandelbar sind, kommen aus dem Krankenhaus.
Kassel: Reden wir über die Ursachen für die tendenzielle – ich versuche, das vorsichtig zu formulieren, aber Sie haben es ja bestätigt –, doch tendenzielle Zunahme von Resistenzen. Wenn man mal zwei europäische Statistiken vergleicht, dann kriegt man sofort eine Idee. Griechenland ist das Land, in dem man am leichtesten rankommt an Antibiotika, einige gibt es verschreibungsfrei, sie werden aber auch, wenn nötig, häufig verschrieben. Griechenland ist auch ein Land, in dem Antibiotikaresistenzen sehr häufig beobachtet werden. Schweden ist sehr restriktiv, was die Anwendung von Antibiotika angeht, dort sind diese Resistenzen zwar da, aber im Vergleich sehr viel seltener. Also ist es so simpel? Wenn wir zu leichtfertig, zu oft verschreiben, dann haben wir auch mehr Resistenzen?
Bauer: So einfach ist das, ja. Ich habe selbst zwei Jahre in einem Hochresistenzland gelebt, in Spanien, und dort bekamen Sie – zumindest um die Jahrtausendwende – die Antibiotika zwar nicht direkt über den Ladentisch gereicht, aber doch nebendran oder drumherum. Und wenn die Antibiotika nicht in der richtigen Dosierung und nicht in der richtigen Indikation verschrieben werden, dann neigen die Patienten auch dazu, sie relativ früh wieder abzusetzen, weil der Druck nicht da ist, diese Therapie jetzt auch durchzuführen. Und wenn diese Therapien nicht ausreichend lange durchgeführt werden, dann kommt es zu Resistenzen, sodass … Jeder, der sich Antibiotika holen kann, wird natürlich so früh wie möglich damit auch wieder aufhören, und wenn der erzieherische Wert der Verschreibung wegfällt, dann passieren solche Sachen wie in Italien, Spanien, Frankreich und Griechenland, Griechenland ist da nur die Spitze des Eisbergs.
Kassel: In einem Land wie Deutschland, wo es nun ohne Verschreibung legal nicht möglich ist, ranzukommen – wir liegen so ein bisschen im Mittelfeld. Es ist, ich sage mal einfach, nicht so gut wie in Schweden, aber nicht annähernd so schlimm wie in Griechenland. Woran liegt es, dass auch in Deutschland vielleicht zumindest manchmal ein bisschen zu schnell Antibiotika gegeben wird?
Bauer: Ich bin natürlich Arzt und würde ganz gerne auch immer mal die andere Seite schildern. Normalerweise werden immer die Ärzte dafür verantwortlich gemacht, zumindest in Deutschland ist das ja auch korrekt, weil sie die Verschreibungen auch treffen. Aber es gibt auch – und gerade im niedergelassenen Bereich – einen Druck, der auf den Ärzten lastet, in irgendeiner Form zu helfen. Es gibt eine sehr schöne internationale Studie, die in den einzelnen Ländern verglichen hat, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, aus einer Sitzung mit einem Arzt wieder mit einem Antibiotikum rauszukommen. Und wenn Sie mit der Erwartung da reingehen, dass Sie ein Antibiotikum wollen, dann kriegen Sie auch eins. Die Wahrscheinlichkeit steigt auf das Doppelte, denn wir müssen ja die Verantwortung für unsere Patienten übernehmen. Wir müssen sagen: Wenn Sie dieses Antibiotikum nehmen, werden Sie wahrscheinlich nicht schneller gesund als ohne. Und das ist eine Situation, die in der heutigen Medizin, wenn Sie sich vorstellen, niedergelassener Kollege muss diese Entscheidung vielleicht bei 60 Patientenkontakten pro Tag 20 Mal treffen, in der Influenza-Saison zum Beispiel, dass er manchmal dann eben auch keine Lust hat, die Verantwortung zu übernehmen.
Ein Ausweg aus dieser Krise kann sein, dass wir die Patienten mit in die Verantwortung nehmen. Das Verhältnis zwischen Patienten und Ärzten hat sich ja gewandelt in den letzten Jahren. Man ist eher zu einem partnerschaftlichen Verhältnis gekommen, und aus meiner Sicht gehört zu diesem partnerschaftlichen Verhältnis auch die gegenseitige Verantwortung und nicht nur die des Arztes.
Kassel: Wir reden im Deutschlandradio Kultur mit Professor Torsten Bauer, Lungenfacharzt, hat täglich in seiner Arbeit auch mit Antibiotika zu tun. Darüber reden wir, über die Zunahme von Resistenzen. Wie sieht das weltweit aus? Es gab im August in der Fachzeitschrift "Science" einen Überblicksartikel, in dem unter anderem auch bemängelt wurde von Experten, dass die Pharmaindustrie kein übertrieben großes Interesse an der Erforschung und Entwicklung neuer Antibiotika hat – was ein Problem sein kann, vielleicht nicht in den großen, reichen Industrieländern, sondern woanders. Mich überrascht das zum Teil zunächst mal, weil ja auch in Deutschland die Antibiotika einen vergleichsweise hohen Anteil an den Arzneimittelausgaben haben. Warum ist das offenbar trotzdem nicht lukrativ?
Bauer: Die Probleme, die der Pharmaindustrie immer zugeschrieben werden, sind im Prinzip Probleme, die eigentlich jede Industrie haben müsste. Wir könnten die Autoindustrie genauso gut dafür verantwortlich machen, dass sie Autos produziert, die zu viel Benzin verbrauchen. Die Antibiotika-Industrie unterliegt dem Diktat des Kapitalismus. Sie muss damit Geld verdienen. Und wenn die Patente nicht lange genug laufen, dann können sie die Entwicklungskosten eines Antibiotikums nicht mehr wieder reinholen.
Es gab vor zwei Jahren mal eine neue Formulierung eines Antibiotikums, wo nur eine Tablette notwendig gewesen wäre, und in Deutschland gab es dafür keine Zulassung, weil man im Zulassungsausschuss der Meinung war, dass es dieses Antibiotikum ja bereits gibt und dann müssen es die Patienten eben mehrfach nehmen. Aber im Zusammenhang mit dem, was ich gerade beschrieben habe, dass viele in der Indikation die Tabletten halt nur zur Hälfte nehmen, wäre das zum Beispiel ein sinnvoller Mechanismus gewesen, um Resistenzen in dieser Indikationsgruppe vielleicht zu reduzieren.
Deshalb darf man der Pharmaindustrie keine Vorwürfe machen, wenn sie sagt, ich kann mit dieser Indikation kein Geld verdienen, denn sie hat keinen gesellschaftlichen Auftrag. Und wenn zum Beispiel die Gesellschaft glaubt, dass die Pharmaindustrie einen solchen Auftrag annehmen soll, dann muss sie dafür Anreize schaffen. Das größte Problem – verlassen wir Deutschland mal für einen kleinen Augenblick – ist wahrscheinlich die resistente Tuberkulose. Das sind erst mal Resistenzen, die aufgetreten sind durch fehlerhafte Behandlungen, jetzt aber auch von Mensch zu Mensch übertragen werden. Die Tuberkulose kann heutzutage mit einem Euro pro Tag behandelt werden, aber sie wird nicht behandelt, weil es ökonomisch nicht lukrativ ist. Und das ist sicherlich ein Problem, was uns irgendwann wieder einholen wird.
Kassel: Wenn Sie zu Recht darauf hinweisen, dass ein normaler Pharmakonzern eben keinen gesellschaftlichen Auftrag hat, sondern ein Unternehmen ist, das Geld verdient mit seinen Produkten – wäre denn dann etwas eine Lösung, was nun ausgerechnet ein amerikanischer Mikrobiologe vorgeschlagen hat? Carl Nathan, der hat vor Kurzem gesagt, dass er – gerade auch im Zusammenhang mit Antibiotika – dann eigentlich gerne mal einen Pharmakonzern hätte, der staatlich gefördert wird. Wir sind in den USA, da hat man große Angst vor kommunistischen Ideen, deswegen sagt er nur "staatlich gefördert". Bei uns könnte man vielleicht sogar einen staatlichen Konzern sich vorstellen. Wäre das eine Lösung?
Bauer: Es gibt ja immer wieder Hinweise darauf – Sie hatten die skandinavischen Staaten schon zitiert –, dass, wenn man bestimmte Antibiotika eine Zeit lang nicht mehr benutzt, sie auch wieder als wirksame Waffe erscheinen. Das war zum Beispiel beim Erythromycin in Finnland der Fall, wo man einfach staatlich gesagt hat, dieses Medikament wird nicht mehr verordnet und zehn Jahre danach konnte man es wieder verordnen. Das heißt, wenn man regulativ in den Markt eingreift, kann man auch die Resistenzen in irgendeiner Form steuern.
In der aktuellen Situation haben wir einige Antibiotika, die sehr gut wirksam sind, mit denen sich aber relativ wenig Geld verdienen lässt. Und ich sage mal, die Pharmaindustrie könnte unter Umständen auf die Idee kommen – ohne Vorwurf sei es jetzt hier so formuliert –, die Produktionskapazitäten aufzukaufen, um dann, wie es zum Beispiel auch die Autoindustrie macht, diesen Hersteller zu schließen und das teurere Produkt nur noch auf dem Markt zu haben. Das sind sicherlich Bereiche, wo staatliche Förderung von Produktionskapazitäten sinnvoll wäre, ohne dass es gleich kommunistisch ist.
Kassel: Wir sind ja nicht in den USA. Also, ich fasse zusammen: Es gibt keinen Grund zur Panik, aber einen gewissen Grund zur Nachdenklichkeit und zur Verhaltensänderung im Umgang mit Antibiotika, wenn wir auf die Dauer damit zurechtkommen, dass die Resistenzen von Bakterien gegen viele bekannte Antibiotika weiter zunehmen. Professor Torsten Bauer war das, Chefarzt der Klinik für Pneumologie am Lungenklinikum am Heckeshorn, das gehört – ich mache es jetzt mal ganz offiziell – zum Helios-Klinikum Emil von Behring in Berlin-Zehlendorf. Ich danke Ihnen, dass Sie zu uns gekommen sind!
Bauer: Vielen Dank!