"Resistance TV"

Late-Night-Shows als Hort des Widerstands

TV-Bild von der Late-Night-Show: Trump und neben ihm dem Moderator Stephen Colbert.
Stephen Colbert ist mit rund 3,3 Millionen Zuschauern täglich der beliebteste US-amerikanische Late Night Host. © US-Network CBS
Von Gabriele Riedle · 07.11.2017
Seit der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten vor einem Jahr mutierten die Late-Night-Shows zu Orten des politischen Widerstands. Die New York Times spricht von „Resistance TV“. Ein riskantes Spiel, denn Trump hofft, so werde seine Basis gestärkt.
Es ist 23.35 Uhr in New York City. Das ist der Moment, an dem alles besser wird, zumindest für kurze Zeit. Das ist die Stunde für ein Quantum Trost.
"Welcome, welcome everybody, down here, up there, out there, around the world, welcome to the Late Show! I am your host Stephen Colbert."

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Jeden Abend von Montag bis Freitag steht Stephen Colbert, 53 Jahre alt, schicker Anzug, zeitlose Brille, Hände lässig in den Hosentaschen, vor den Zuschauern im Ed Sullivan Theater am Broadway und vor denen des mächtigen Senders CBS zu Hause vor dem Fernseher. Er macht sich über alles her, was der Präsident und sein Umfeld an Zumutungen und Ungeheuerlichkeiten in die Welt setzen.

Trumps Stabschef Kelly bringt Colbert zur Weißglut

In diesen Tagen nimmt sich Stephen Colbert Trumps Stabschef General John Kelly vor. Der hatte sich kurz zuvor zum amerikanischen Bürgerkrieg geäußert. Damals hatte der konföderierte Süden erbittert für die Beibehaltung der Sklaverei gekämpft, während der Norden deren Abschaffung forderte. Und laut Kelly war der Bürgerkrieg einfach ein Ergebnis der Unfähigkeit, Kompromisse zu finden. Was Stephen Colbert so nicht stehen lassen will.
"Sie sind General und wissen nicht, wie es zum Bürgerkrieg kam? Vielleicht bin ich unfair, und vielleicht war das Fehlen von Kompromissen tatsächlich der Kern des Bürgerkrieges. Nehmen wir den Brief des Soldaten der Südstaaten-Armee, Buford Nathaniel Jessup, an seine Frau: Meine liebste Elisabeth, es tut mir leid, sagen zu müssen, dass die Nordstaaten-Armee jeden Kompromiss verweigert. Wir sagen immer: vielleicht können wir einfach Montag, mittwochs und freitags Sklaven halten. Aber sie sagen: Nöö. Und wir: Okay, also wie sieht es mit jedem zweiten Wochenende aus? Aber sie wollen uns überhaupt keine Sklaven geben. Da machen sie richtig einen auf Nazis. Was komisch ist, weil Nazis noch gar kein Thema sind. Oh, jetzt werde ich gerade von meinem Bruder mit dem Bajonett aufgespießt, ich muss los. Oder vielleicht weiß Kelly es besser und ist absichtlich ignorant, weil er als Stabschef gezwungen ist, die Position eines Idioten einzunehmen."
Vor den Wahlen hatte Stephen Colbert eher schwache Zuschauerzahlen. Doch mit der Wahl kam die Wende. Colbert wurde dezidiert politisch in seinen Auftritten. Und damit hatte er durchschlagenden Erfolg. Inzwischen ist er mit rund 3,3 Millionen Zuschauern täglich der stärkste der amerikanischen Late Night Hosts. Andere Kollegen zogen nach.

Late-Night-Shows als "Resistance TV"

Fast ein ganzes Dutzend Hosts der verschiedenen Fernsehsender zwischen New York und Los Angeles kümmert sich um Stimmungsaufhellung für die immer weiter wachsende Zahl von Trump-Gegnern im ganzen Land – eine Art informeller Therapeuten-Trupp mit Gelächter und Applaus. Ähnliches hat es im amerikanischen Fernsehen zuvor nicht gegeben. Jim Rutenberg, Medienkolumnist der New York Times und früher deren politischer Korrespondent, nennt das neue Phänomen "Resistance TV": Widerstandsfernsehen.
"Die Late-Night-Shows waren vorher schon im Ansatz politisch. Sie machten immer Witze über Präsidenten. Mit Trump wurden sie aber beißender und politisch sehr viel aggressiver. Um 23.30 Uhr geht es im US-Fernsehen um viel Geld. Und die Sender haben gesehen, dass es ein großes Publikum für eine sehr viel politischere Satire gibt, die sehr gegen Trump ist. Das war eine große Veränderung. Diese Comedians machen nicht einfach nur Witze. Manchmal liefern sie auch ernsthafte politische Kommentare. Die sind manchmal genauso gut wie die in der New York Times. Die Analyse ist oft sehr scharf und es ist interessant, sie zu verfolgen."
Plötzlich erscheint das alte Medium Fernsehen aber auch wieder als etwas, das Menschen miteinander verbindet – eine Art wärmendes Lagerfeuer.

"Die Zivilgesellschaft erwacht zum neuen Leben"

"Die Shows helfen definitiv den Leuten, die sich heftig über Trump aufregen. Sie können dann die Dinge etwas relativieren und lachen, und merken, dass sie nicht alleine sind. Die Shows empören sich über das, was Trump macht, und die Witze führen vor, wie verrückt das alles ist. Ich denke schon, dass das zeigt, dass die Zivilgesellschaft zu neuem Leben erwacht ist. Vielleicht entsteht da ein neues politisches Bewusstsein, und das wäre großartig."
Was Stephen Colbert betrifft, so arbeitet er jedoch nicht immer mit dem Florett. Bisweilen kommt er auch mit der Dachlatte. Dann geht es für Tage hoch her, in seiner Sendung und auch in der öffentlichen Diskussion.
Als Trump in einem seiner zahllosen Ausfälle gegen die Presse einen hoch angesehenen Interviewer, einen Kollegen von CBS, öffentlich beleidigt, macht Colbert seiner Empörung ungeniert Luft. Er attackiert den Präsidenten seinerseits auf heftigste Weise:
"Mister Trump, ich liebe ihre Präsidentschaft, ich nenne Sie die Schande der Nation. Sie sind der Präsi-Depp, aber Sie werden gerade zum Dödel-tator. Sir, Sie ziehen mehr Skinheads an als kostenloses Schurk-ain. Gegen Sie gehen mehr Leute auf die Straße als gegen Krebs. Sie sprechen wie ein Gorilla, der eins auf den Schädel bekommen hat. Ihr Mund taugt einzig und allein dafür, Wladimir Putins Kolbenhalfter zu sein."

"Ich habe die Witze – er hat die Codes für die Raketen"

Der Sturm der Kritik lässt nicht auf sich warten, inklusive der Forderung an den Sender CBS, Colbert zu feuern. Was dieser dann in seiner Show aufgreift.
"Ich hatte einige ausgewählte Beleidigungen für den Präsidenten. Ich bereue das nicht. Ich glaube, er kann für sich selbst sorgen. Ich habe die Witze, er hat die Codes für die Raketen. Das ist also ein fairer Kampf."
Sieht der Präsident nicht so – und schlägt zurück, was Stephen Colbert so pariert:
"Der Präsident sprach auch mit dem Time Magazine über sein wichtigstes Thema: diese Show. Da ist ein Typ wie Colbert, ohne jedes Talent. Was er sagt, ist überhaupt nicht witzig. Er stärkt nur meine Basis und hilft mir. Der Präsident der Vereinigten Staaten attackiert mich persönlich und meine Show. Dazu möchte ich nur eines sagen: hihihi. Mister Trump, wissen Sie nicht, dass ich seit einem Jahr versuche, Sie dazu zu bringen, meinen Namen zu sagen. Jetzt haben Sie es getan: Ich habe gewonnen! Und da mein ganzer Erfolg darauf beruht, dass ich über Sie spreche, gibt es offensichtlich nur eine Möglichkeit, mich niederzuringen: Ihren Rücktritt. Sir, wenn Sie das tun: Worüber soll ich dann sprechen?"

Tragen die Shows zur Spaltung der US-Gesellschaft bei?

Es gibt Stimmen, die befürchten, dass auch die Late-Night-Shows zur immer tieferen Spaltung der amerikanischen Gesellschaft beitragen. Hier die Welt der ernsthaften Trump-Anhänger. Dort die der beißenden Kritik und des allabendlichen Spotts. Und nichts, was zwischen diesen Welten vermitteln könnte.
"Ich weiß nicht, ob sich damit die Spaltung verschärft: Die Shows geben den Leuten, die Trump verteidigen und behaupten, dass die Medien alle gegen ihn sind, Futter. Und sie drängen die andere Seite in die Ecke."
Und wie lange werden die Light-Night-Hosts das alles noch durchhalten?
"Sie können so lange weitermachen, wie es neues Material gibt, und das verschafft ihnen der Präsident jeden Tag. Solange das nicht versiegt und die Leute nicht aufhören, das interessant zu finden – was im Moment nicht danach aussieht – können sie einfach weitermachen."
"Applaus - We will be right back! Applaus."
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