Requiem für George W.
Crawford ist ein Kaff, wie es viele gibt in Texas. Dass man die kleine Stadt überhaupt kennt, liegt an George W. Bush, der hier seine Ranch hat. Und weil er hier seine Ranch hat, ticken die Uhren in Crawford anders als im Rest der Welt. Während Demokraten und viele, viele Republikaner (und die restliche Welt sowieso) die Zeit nach George W. herbeisehnen, wird er in Crawford als großer Präsident verehrt.
Irak? Katrina? Bankenkrise? In Crawford ist der Krieg gegen den Terror ein voller Erfolg, George W. ein Krisenmanager par excellence, und die Wirtschaft boomt. Ich denke an eine Art Asterix-Geschichte: Wie sich ein kleines Dorf der Weltmeinung widersetzt. In der Reportage treffen wir unter anderem die Fotografin und Pro-Bush-Aktivistin Valerie Duty und Leon Smith, den Chefredakteur des "Lone Star Iconoclast".
Valerie Duty lässt ihren Wagen an, eines dieser spritfressenden Monstren, die Amerikaner vom Land so lieben. "Tschuldigung für das Chaos", flötet sie. Aber ihr Auto ist auch Büro und Wohnung. Sie räumt einen Taschenkalender und einen Stapel frischer Wäsche vom Beifahrersitz und wuchtet alles auf die Rückbank, auf der sich schon etliche Kisten und Koffer türmen. Valerie Duty lächelt. Dabei entblößt sie schneeweiße, schiefe Zähne. Sie lächelt viel und ansteckend, eine Frau in den Vierzigern mit brünetten, schulterlangen Haaren.
Valerie Duty fädelt sich auf einer vierspurigen, schnurgeraden Straße ein, dem George W Bush Parkway. Die Straße heißt nicht ohne Grund so, denn hier ist Bush Country, wie ein Schild verkündet, von dem George und Laura ein bisschen überbelichtet hinabblicken. Hier, zwei Autostunden südlich von Dallas, hat der 43. Präsident der Vereinigten Staaten seinen Privatwohnsitz, auf einer Ranch in einem Nest namens Crawford. Der Ort ist durch Bush berühmt geworden, und weil die Parallele so offensichtlich ist, der Cowboy-Präsident und das Cowboy-Kaff, hat Crawford Freunde und Gegner angelockt. So eng ist die Symbiose gewesen, dass man sich fragt, was aus Crawford wird, wenn Bush am 20. Januar 2009 aus dem Amt scheidet. Auch Valerie Duty stellt sich diese Frage, denn für sie ist George W. der Fixpunkt ihres Lebens, seit sie ihm bei einem Ostergottesdienst vor sieben Jahren begegnet ist.
"Ich saß in der Reihe hinter dem Präsidenten, der First Lady, seiner Mutter und Bush 41, wie wir seinen Vater nennen. An diesem Tag beschloss ich, dem Präsidenten zu folgen, egal, was passiert, und alles zu tun, um ihm zu helfen. Denn er sang alle Lieder mit, ohne das Gesangsbuch zu öffnen, er kannte alle Gebete. Man merkte, dass er ein gläubiger Mensch ist. Und das sage ich Ihnen: Wer Gott nicht im Land hat, ist zum Scheitern verurteilt."
Dass Gott in Bush Country zu Hause ist, davon zeugt ein Dutzend Kirchen entlang der Straße. Sie führt durch staubige, ausgetrocknete Prärie. Vorbei an einer weißen Kitschvilla, die unmotiviert mitten im Nichts steht. Dort ist Teeniestar Jessica Simpson aufgewachsen, ein paar Kilometer weiter hat der waffenvernarrte Altrocker Ted Nugent gelebt - Jessy und Teddy, wie Valerie sie nennt.
Valerie Duty ist Fotografin. Sie hat Tony Blair beim Staatsbesuch in Crawford abgelichtet, ebenso Wladimir Putin, Australiens Ex-Premier John Howard, den saudi-arabischen König Abdullah und zuletzt auch Angela Merkel. 2004 hat sie Wahlkampf für George Bush gemacht, in Waukesha County in Wisconsin, auf eigene Kosten. Die Gemeinde ist mit über 90 Prozent an Bush gegangen - sein bestes Ergebnis im ganzen Land, wie sie stolz hervorhebt. Und damit das Erbe bewahrt wird, von Vater Bush, dem 41. Präsidenten, über den Sohn, hat sie letztes Jahr die Kampagne "Condi 08" ins Leben gerufen, um Außenministerin Condoleezza Rice zur Kandidatur zu bewegen. Vergeblich.
"Das ist es, das Stadtzentrum. Und dort die einzige Ampel, sie blinkt."
Auf den ersten Blick sieht Crawford aus wie ein politisches Schlachtfeld. Überall Schilder, auf denen zur bedingungslosen Unterstützung für Präsident und Truppen aufgefordert wird. Am Ortseingang gut sichtbar Auszüge aus der Rede, mit der Bush nach 9/11, dem Anschlag auf das World Trade Center, den "Krieg gegen den Terror" eingeleitet hat: "Wir werden nicht schwanken, wir werden nicht aufgeben, wir werden nicht scheitern."
Crawford ist überschaubar. Rechts zwei Silos der Landkooperative, an die Farmer ihre Erzeugnisse verkaufen. Links eine Tankstelle mit angeschlossenem Restaurant, der Coffee Station. Laut Leuchtreklame ist sie weltberühmt - Bush und 41 haben hier mal gegessen. Jenseits der Ampel eine Bank und eine Geschäftszeile. Der Frisörsalon ist wohl schon seit Jahren geschlossen. Im Fenster hängt ein T-Shirt: W = Winner, durchgestrichenes W = Whino - wer sich für Bush ausspricht, ist ein Sieger, wer gegen ihn ist, eine Heulsuse.
Neben dem Frisör zwei Souvenirläden. Den dritten hat Valerie Duty ein Haus weiter betrieben und mangels Kunden vor einem Jahr geschlossen. Auch den anderen beiden geht es nicht gut. Der eine hat nur manchmal auf, sagt Valerie. Heute ist offensichtlich nicht manchmal.
Im anderen sitzt Joey, eine kleine Frau mit schlohweißen Haaren und Langeweile im Blick. Um sie herum George Bush. Auf Tassen, Stiften, Mützen, Bildern.
Kunden hat sie heute noch nicht gehabt. Aber gestern. Und vor allem vorgestern: aus Bolivien, China, Australien. Valerie nickt. Ist das nicht der Beleg, dass George W. Bush beliebt ist, überall auf der Welt?
Treffen mit Marylin Judy. Auf der Bank vor dem Red Bull. Sie hat blonde, lange Haare, trägt einen blassblauen Jogginganzug und blickt aus wachen Augen in die Welt. In Crawford ist sie das Mädchen für alles. Sie sitzt im Schulrat, in der Notrufzentrale und ist Vorsitzende der Handelskammer. Was die Frage aufwirft, wofür ein 705-Seelen-Dorf, in dem es noch nicht einmal einen Lebensmittelladen gibt, ein solches Instrument der lokalen Wirtschaftsförderung überhaupt braucht.
"Bevor der Präsident hierherzog, hatten wir auch keine. Aber plötzlich kamen so viele Leute, und wir glaubten, dass wir diesen Service anbieten müssten. Jetzt geht das Interesse an der Handelskammer zurück, wir brauchen sie auch nicht mehr. Die ganze Begeisterung von damals ist vorbei, jetzt, wo er bald aus dem Amt scheidet. Aber es wird immer Leute geben, die herkommen, um zu sehen, wo der Präsident seine Ranch hatte."
Ein Freud’scher Versprecher: wo Bush seine Ranch HATTE. Übelmeinende haben immer gesagt, dass dieser Präsident eine Inszenierung ist. Die Ranch? Ein Jahr vor seiner Wahl gekauft - ein Millionärssohn braucht eine gewisse Erdung, um bei den Wählern in der Mitte Amerikas anzukommen. Die Geschichten vom Rancher Bush, der in seiner Freizeit gerne Unterholz lichtet? Komisch nur, dass dabei immer ein Fotograf zur Stelle ist. Und überhaupt: Was soll texanisch sein an diesem Spross der Ostküstenelite?
"Er ist einfach ein echt netter Kerl, er mag es, andere zu drücken und zu knuddeln - das ist sehr texanisch. Wir mögen die Nähe zu anderen. Und es gibt hier einen Spruch: Ich wurde zwar nicht in Texas geboren, aber ich bin so schnell es ging hergekommen."
Marylin Judy packt ein Fotoalbum aus. Wenn der Präsident auf seiner Ranch ist, zum Urlauben im August oder wenn er dort Staatsgäste empfängt, fallen Medienvertreter in Crawford ein. Als Schulrätin organisiert sie dann das Pressezentrum in der Turnhalle der Mittelschule, ehrenamtlich versteht sich. Die Bilder zeigen sie mit Putin, ihren Mann mit Blair, beide mit König Abdullah.
"Wir haben Geschichte geschrieben, wir sagen unseren Kindern: Ihr werdet in den Geschichtsbüchern von euch lesen. Vielleicht von Putins Pressekonferenz: Ich war dabei, ein paar Minuten davor hatte ich noch den Rasen gemäht."
Sie, ihr Mann und die beiden Töchter Arm in Arm mit dem Präsidenten. Aufgenommen bei einem Grillfest für die Bürger von Crawford, auf Einladung von Bush. Im August 2001 ist das gewesen, ein paar Wochen vor 9/11. Seitdem hat sich der Präsident in Crawford nicht mehr blicken lassen. Und auch Valerie Duty muss lange überlegen, um sich zu erinnern, wann sie ihn zuletzt leibhaftig gesehen hat. Um dann zu passen: "Es waren so viele Begegnungen", sagt sie und lächelt über diese Unwahrheit hinweg.
Auf dem Weg zur Ranch. Vorbei an schachbrettartig angelegten Wohnsiedlungen mit eingeschossigen Fertighäusern. Raus aus Crawford. Die Prairie Chapel Road führt im scheinbar sinnlosen Zickzack vorbei an Ranches mit Namen wie Broken Spoke oder Shiloh. Eine typisch amerikanische Landschaft. Der Horizont ist weit, hier kann man schon mal das Gefühl für die eigenen Grenzen verlieren. Rechts zweigt ein Schotterweg ab, nach hundert Metern ein Schlagbaum mit Wachhaus. Gegenüber zwei Wohncontainer fürs Wachpersonal. Valerie deutet auf die Baumlinie in einer Senke.
"Das ist ein Teil des alten Hauses, und das ist alles, was man sehen kann. Viel ist es nicht, gut so für den Präsidenten. Haben Sie die Schilder an der Straße gesehen: Parken und Halten verboten? Wir können also nicht zum Tor fahren und dort Fotos von den Sicherheitsleuten machen, wie in dem Haus seines Vaters in Kennebunkport. Sie dürfen nicht vergessen: Dies ist ein Kriegspräsident, das ist zu seiner eigenen Sicherheit."
Das Verbot ist vor 2005 in Kraft getreten. Wegen Cindy Sheehan: Sie hat ihren Sohn Casey im Irak verloren. Bush drückt sein Beileid aus und spricht von der "edlen Sache", für die Casey gestorben ist. Mit dieser Floskel gibt sich Cindy Sheehan damals nicht zufrieden.
"Cindy Sheehan kam nach Crawford, um gegen den Krieg zu protestieren. Ihr Sohn Casey war im Irak gefallen, aber die meisten Leute wissen nicht, dass er sich freiwillig verpflichtet hatte. Sie hat ihr Zelt dort drüben an der Straße aufgebaut, 26 Tage lang, und wollte mit George Bush sprechen. Dann hat ein wütender Waldaufseher ein paar Schüsse abgefeuert, in die Luft, er hat nur für die Taubensaison geübt. Aber das hat sie so entnervt, dass sie ihr Camp ein bisschen weiter die Straße runter aufgebaut hat."
Die verzweifelte Mutter, die Erklärungen verlangt, und der Präsident, der sie ihr verweigert - für die Medien ist das ein gefundenes Fressen. Kriegsgegner aus dem ganzen Land kommen nach Crawford, um Sheehan zu unterstützen. Für Valerie Duty ist das zu viel. Mit einem Dutzend Gleichgesinnten errichtet sie ihr eigenes Camp auf der Prairie Chapel Road - gegenüber von Cindy Sheehan. Sie nennt es Camp Reality. 21 Tage verbringt Valerie im Straßengraben. Für ihren Präsidenten.
"Camp Casey wurde nach ihrem Sohn benannt, aber die Wahrheit ist doch, dass unsere Soldaten im Mittleren Osten viel Gutes tun. Frauen können wählen, es gibt mehr Sicherheit in der ganzen Region. Seien wir ehrlich: Wir sind einen Diktator los geworden, und zwar einen wirklich üblen.
Dieses Dreieck hier an der Kreuzung, es war voll mit Polizisten. Und manchmal, vor allem an den Wochenenden, wenn Leute von außerhalb hinzukamen, wurde es ganz schön hitzig. Aber es kam nie zu Schlägereien, alles blieb zivilisiert. Wir hielten Schilder hoch, anstatt über die Straße zu brüllen. Zum Beispiel: Was ist mit den Kurden? Und sie kamen mit etwas Geistreichem zurück."
So friedlich, wie Valerie es schildert, ist es nicht zugegangen. Die Medien berichten von einem Pick-up, der auf die Kriegsgegner zurast, von Verbalinjurien und der latent drohenden Eskalation. Schließlich erlässt die Gemeinde das Parkverbot. Cindy Sheehan kauft ein Stück Land am Ortsausgang von Crawford und baut dort das zweite Camp Casey auf. Wann immer Bush auf seiner Ranch ist, kampieren dort bis zu 1000 Demonstranten.
"Das ist es, Camp Casey heute. Ich bin nicht mehr hier gewesen, seit Cindy es verkauft hat. Sieht noch so aus wie damals. Die Kreuze sind weg, na ja, ein paar stehen noch, aber das ganze Areal war voll mit Kreuzen. Die Leute hier hatten weder fließendes Wasser noch Strom oder Gas. Das ist alles, was geblieben ist. Sogar die Flaggen sind zerfleddert."
Valerie schluckt. Die Geschichte der Proteste ist eben auch ihre. In den Jahren 2005 und 2006 ist Crawford der Mittelpunkt der Welt gewesen, jedenfalls von hier aus betrachtet. Was bleibt, sind Erinnerungen. Wie nach einer großen, alles verzehrenden Fußballschlacht.
"Ich würde nicht gerade sagen, dass wir gute Freunde waren, aber wir haben einander respektiert. Ich hoffe, dass Cindy Frieden findet, denn Casey war ein ehrenwerter Mann. Er hat seinem Land das größte Geschenk gemacht. Deshalb bete ich immer noch für Cindy."
Valerie Duty kann sich die Großherzigkeit leisten. Ihr geht es gut, Cindy Sheehan dagegen hat den Sohn verloren, ihre Ehe ist zerbrochen, und sie ist pleite. Ein wohlhabender Kalifornier hat ihr das Stück Land in Crawford abgekauft, um ihr finanziell wenigstens ein bisschen zu helfen.
Mittagessen in der "weltberühmten" Coffee Station. Auch hier ist George W. Bush allgegenwärtig. Aus der Ecke linst er als Pappkamerad herüber, auf einer Fotowand posiert er mit den Besitzern der Restaurant-Tankstelle. Und auf der Speisekarte gibt er jenem Gericht den Namen, das er und 41 bei ihrem Besuch vor sieben Jahren verdrückt haben, einem doppelten Cheeseburger mit Zwiebelringen und Pommes
Auch Leon Smith hat früher oft hier gegessen. Seine Haare und sein Bart sind grau. Er trägt einen schwarzen Anzug und eine weinrote Krawatte zum moosgrünen Hemd. Damit fällt er auf inmitten der Bluesjeans- und Turnschuh-Fraktion in der Coffee Station.
Smith ist Chefredakteur des "Clifton Record", dem Lokalblatt im Nachbarstädtchen. Nach Bushs Wahl zum Präsidenten hat er auch in Crawford eine Zeitung lanciert, den "Lone Star Iconoclast". Teils aus Geschäftssinn, teils weil er große Hoffnungen in diesen Präsidenten gesetzt hat. Bushs damaliges Schlagwort vom "mitfühlenden Konservativismus" beschreibt ziemlich genau, wo Leon Smith sich politisch fühlt.
"”Based upon what he was saying we thought that he might be good. But we were totally wrong.""
Diese Erkenntnis reift mit dem Irakkrieg. Langsam rückt der Iconoclast von Bush ab. Erst von einzelnen Positionen, dann vom Mann selbst. Im Wahlkampf 2004 schließlich druckt Smith eine Empfehlung für den Demokraten John Kerry ab, ausgerechnet in Bush Country.
"Wenn man den Leitartikel heute liest, würde sich keiner groß darüber aufregen, aber damals wurde er als sehr radikal aufgefasst. Wir erhielten Drohungen, E-Mails, Anrufe. Einer sagt: Friss Dreck und stirb. Keine Ahnung, wie ernst man so etwas nehmen muss. In der Woche danach wurden ein paar Studenten, die für mich arbeiteten, bei einem Festival in Crawford erkannt und rausgeworfen. Und binnen Kurzem sind unsere Kontakte komplett ausgetrocknet, die Leute wollten einfach nichts mehr mit uns zu tun haben."
Für die Bürger Crawfords ist der Wahlaufruf ein Affront. Abos werden gekündigt, Läden boykottiert, die den Iconoclast führen. Wie immer, wenn es gilt, sich für George W. Bush stark zu machen, steht Valerie Duty an der Spitze der Bewegung. Und sie hat Erfolg: Binnen zwei Wochen sinkt die Auflage von 900 auf null.
"Und dann bekamen wir Abobestellungen aus dem ganzen Land, und die Auflage stieg auf über 2000. Also entschlossen wir uns zu einem Richtungswechsel: Wir wurden politischer und kümmerten uns mehr um nationale Themen. Mit dem Boykott hätten wir niemals gerechnet, aber was passiert ist, ist in Ordnung. Denn nun sind wir kein lokales Blatt mehr, sondern ein landesweites."
Leon Smith grinst. Er fühlt sich als Sieger in einer Schlacht, in der es um nicht weniger gegangen ist als um die Meinungsfreiheit. Die Auflage ist höher denn je, dank des Internetauftritts boomt das Anzeigengeschäft. Und der Iconoclast macht seinem Namen - der Bilderstürmer - mit kritischen, meinungsstarken Artikeln alle Ehre. In der aktuellen Ausgabe zieht eine Autorin ein fundiertes und verheerendes Fazit der Ära George W. Bush. Schmierenjournalismus, giftet Valerie Duty. Für sie ist Leon Smith ein carpet bagger. Der Begriff stammt aus der Zeit nach dem amerikanischen Bürgerkrieg und bezeichnet jemanden, der Geschäfte an Orten macht, an denen er nichts verloren hat.
Das wahre Crawford, es lebt für Valerie Duty in Gemeinden wie der Canaan Baptist Church. Die kleine Kirche steht unweit der Ranch auf einem Hügel, dem einzigen weit und breit. Ein symbolträchtiges Bild, denn in ihrem Selbstverständnis sind die USA genau das: die chapel on the hill, ein Ort, der Zuflucht und Hoffnung verheißt. Zweimal hat George W. Bush hier einen Gottesdienst besucht, Ostern 2001 und 2002. Auch das haben seine Imageberater ausgeschlachtet und den Präsidenten als Freund des aufrechten, hart arbeitenden Mannes vom Land dargestellt. Und die Leute hier haben mitgespielt und von den sporadischen Begegnungen erzählt. So ist es entstanden, das Bild vom Präsidenten und dem Städtchen, in dem er angeblich als Gleicher unter Gleichen lebt.
Zwanzig Personen sind zum Gottesdienst gekommen, die Männer in Jeans, Cowboystiefeln und karierten Hemden, die Frauen in knöchellangen Baumwollkleidern. Hinterm Altar hängen zwei Flaggen, die amerikanische und die texanische. Der Pastor predigt über Vergebung: Wer anderen nichts nachträgt, dem vergibt auch Gott.
Nach dem Gottesdienst gibt es ein gemeinsames Mittagessen - die Gemeinde mag klein sein, aber sie hält zusammen. Und weil sie alle aufrechte Patrioten sind, haben auch sie sich für George W. Bush in die Schlacht geworfen. Aber darüber will heute niemand mehr reden.
"Bush war okay", sagt Jerry Gauer, ein knorriger Rancher mit Bürstenschnitt. "Ein guter Christ mit guten Überzeugungen", ergänzt Kermit Dreyer hinter dicken Brillengläsern. "Trotzdem gut, dass bald alles vorbei ist", knurrt Gauer. Sie alle sind erschöpft, vielleicht auch desillusioniert von einer Präsidentschaft, die ihnen ständig ein klares Bekenntnis abverlangt hat: entweder für oder gegen George Bush. Gerade hier, in Bush Country. Und sie sehnen die Zeit herbei, wenn Crawford wieder zu der schläfrigen Kleinstadt von früher wird. Was bleibt, ist der Kampf um sein Bild in der Geschichte
"Er ist ein großer Präsident, davon bin ich überzeugt. Wie andere ihn sehen, das wird die Zeit zeigen. Vielleicht hat die Welt in 20 Jahren eine ganz andere Meinung von ihm, vielleicht sagen die Leute dann: Oh, er hat doch recht gehabt. Ich hoffe, dass ich diesen Tag noch erlebe."
Mit Gleichgesinnten hat Valerie Duty Autoaufkleber mit der Aufschrift "Everything but Hillary", "Alles außer Hillary", produziert. In Bush Country haben sie reißenden Absatz gefunden. Diesen Kampf scheint sie zu gewinnen.
Valerie Duty lässt ihren Wagen an, eines dieser spritfressenden Monstren, die Amerikaner vom Land so lieben. "Tschuldigung für das Chaos", flötet sie. Aber ihr Auto ist auch Büro und Wohnung. Sie räumt einen Taschenkalender und einen Stapel frischer Wäsche vom Beifahrersitz und wuchtet alles auf die Rückbank, auf der sich schon etliche Kisten und Koffer türmen. Valerie Duty lächelt. Dabei entblößt sie schneeweiße, schiefe Zähne. Sie lächelt viel und ansteckend, eine Frau in den Vierzigern mit brünetten, schulterlangen Haaren.
Valerie Duty fädelt sich auf einer vierspurigen, schnurgeraden Straße ein, dem George W Bush Parkway. Die Straße heißt nicht ohne Grund so, denn hier ist Bush Country, wie ein Schild verkündet, von dem George und Laura ein bisschen überbelichtet hinabblicken. Hier, zwei Autostunden südlich von Dallas, hat der 43. Präsident der Vereinigten Staaten seinen Privatwohnsitz, auf einer Ranch in einem Nest namens Crawford. Der Ort ist durch Bush berühmt geworden, und weil die Parallele so offensichtlich ist, der Cowboy-Präsident und das Cowboy-Kaff, hat Crawford Freunde und Gegner angelockt. So eng ist die Symbiose gewesen, dass man sich fragt, was aus Crawford wird, wenn Bush am 20. Januar 2009 aus dem Amt scheidet. Auch Valerie Duty stellt sich diese Frage, denn für sie ist George W. der Fixpunkt ihres Lebens, seit sie ihm bei einem Ostergottesdienst vor sieben Jahren begegnet ist.
"Ich saß in der Reihe hinter dem Präsidenten, der First Lady, seiner Mutter und Bush 41, wie wir seinen Vater nennen. An diesem Tag beschloss ich, dem Präsidenten zu folgen, egal, was passiert, und alles zu tun, um ihm zu helfen. Denn er sang alle Lieder mit, ohne das Gesangsbuch zu öffnen, er kannte alle Gebete. Man merkte, dass er ein gläubiger Mensch ist. Und das sage ich Ihnen: Wer Gott nicht im Land hat, ist zum Scheitern verurteilt."
Dass Gott in Bush Country zu Hause ist, davon zeugt ein Dutzend Kirchen entlang der Straße. Sie führt durch staubige, ausgetrocknete Prärie. Vorbei an einer weißen Kitschvilla, die unmotiviert mitten im Nichts steht. Dort ist Teeniestar Jessica Simpson aufgewachsen, ein paar Kilometer weiter hat der waffenvernarrte Altrocker Ted Nugent gelebt - Jessy und Teddy, wie Valerie sie nennt.
Valerie Duty ist Fotografin. Sie hat Tony Blair beim Staatsbesuch in Crawford abgelichtet, ebenso Wladimir Putin, Australiens Ex-Premier John Howard, den saudi-arabischen König Abdullah und zuletzt auch Angela Merkel. 2004 hat sie Wahlkampf für George Bush gemacht, in Waukesha County in Wisconsin, auf eigene Kosten. Die Gemeinde ist mit über 90 Prozent an Bush gegangen - sein bestes Ergebnis im ganzen Land, wie sie stolz hervorhebt. Und damit das Erbe bewahrt wird, von Vater Bush, dem 41. Präsidenten, über den Sohn, hat sie letztes Jahr die Kampagne "Condi 08" ins Leben gerufen, um Außenministerin Condoleezza Rice zur Kandidatur zu bewegen. Vergeblich.
"Das ist es, das Stadtzentrum. Und dort die einzige Ampel, sie blinkt."
Auf den ersten Blick sieht Crawford aus wie ein politisches Schlachtfeld. Überall Schilder, auf denen zur bedingungslosen Unterstützung für Präsident und Truppen aufgefordert wird. Am Ortseingang gut sichtbar Auszüge aus der Rede, mit der Bush nach 9/11, dem Anschlag auf das World Trade Center, den "Krieg gegen den Terror" eingeleitet hat: "Wir werden nicht schwanken, wir werden nicht aufgeben, wir werden nicht scheitern."
Crawford ist überschaubar. Rechts zwei Silos der Landkooperative, an die Farmer ihre Erzeugnisse verkaufen. Links eine Tankstelle mit angeschlossenem Restaurant, der Coffee Station. Laut Leuchtreklame ist sie weltberühmt - Bush und 41 haben hier mal gegessen. Jenseits der Ampel eine Bank und eine Geschäftszeile. Der Frisörsalon ist wohl schon seit Jahren geschlossen. Im Fenster hängt ein T-Shirt: W = Winner, durchgestrichenes W = Whino - wer sich für Bush ausspricht, ist ein Sieger, wer gegen ihn ist, eine Heulsuse.
Neben dem Frisör zwei Souvenirläden. Den dritten hat Valerie Duty ein Haus weiter betrieben und mangels Kunden vor einem Jahr geschlossen. Auch den anderen beiden geht es nicht gut. Der eine hat nur manchmal auf, sagt Valerie. Heute ist offensichtlich nicht manchmal.
Im anderen sitzt Joey, eine kleine Frau mit schlohweißen Haaren und Langeweile im Blick. Um sie herum George Bush. Auf Tassen, Stiften, Mützen, Bildern.
Kunden hat sie heute noch nicht gehabt. Aber gestern. Und vor allem vorgestern: aus Bolivien, China, Australien. Valerie nickt. Ist das nicht der Beleg, dass George W. Bush beliebt ist, überall auf der Welt?
Treffen mit Marylin Judy. Auf der Bank vor dem Red Bull. Sie hat blonde, lange Haare, trägt einen blassblauen Jogginganzug und blickt aus wachen Augen in die Welt. In Crawford ist sie das Mädchen für alles. Sie sitzt im Schulrat, in der Notrufzentrale und ist Vorsitzende der Handelskammer. Was die Frage aufwirft, wofür ein 705-Seelen-Dorf, in dem es noch nicht einmal einen Lebensmittelladen gibt, ein solches Instrument der lokalen Wirtschaftsförderung überhaupt braucht.
"Bevor der Präsident hierherzog, hatten wir auch keine. Aber plötzlich kamen so viele Leute, und wir glaubten, dass wir diesen Service anbieten müssten. Jetzt geht das Interesse an der Handelskammer zurück, wir brauchen sie auch nicht mehr. Die ganze Begeisterung von damals ist vorbei, jetzt, wo er bald aus dem Amt scheidet. Aber es wird immer Leute geben, die herkommen, um zu sehen, wo der Präsident seine Ranch hatte."
Ein Freud’scher Versprecher: wo Bush seine Ranch HATTE. Übelmeinende haben immer gesagt, dass dieser Präsident eine Inszenierung ist. Die Ranch? Ein Jahr vor seiner Wahl gekauft - ein Millionärssohn braucht eine gewisse Erdung, um bei den Wählern in der Mitte Amerikas anzukommen. Die Geschichten vom Rancher Bush, der in seiner Freizeit gerne Unterholz lichtet? Komisch nur, dass dabei immer ein Fotograf zur Stelle ist. Und überhaupt: Was soll texanisch sein an diesem Spross der Ostküstenelite?
"Er ist einfach ein echt netter Kerl, er mag es, andere zu drücken und zu knuddeln - das ist sehr texanisch. Wir mögen die Nähe zu anderen. Und es gibt hier einen Spruch: Ich wurde zwar nicht in Texas geboren, aber ich bin so schnell es ging hergekommen."
Marylin Judy packt ein Fotoalbum aus. Wenn der Präsident auf seiner Ranch ist, zum Urlauben im August oder wenn er dort Staatsgäste empfängt, fallen Medienvertreter in Crawford ein. Als Schulrätin organisiert sie dann das Pressezentrum in der Turnhalle der Mittelschule, ehrenamtlich versteht sich. Die Bilder zeigen sie mit Putin, ihren Mann mit Blair, beide mit König Abdullah.
"Wir haben Geschichte geschrieben, wir sagen unseren Kindern: Ihr werdet in den Geschichtsbüchern von euch lesen. Vielleicht von Putins Pressekonferenz: Ich war dabei, ein paar Minuten davor hatte ich noch den Rasen gemäht."
Sie, ihr Mann und die beiden Töchter Arm in Arm mit dem Präsidenten. Aufgenommen bei einem Grillfest für die Bürger von Crawford, auf Einladung von Bush. Im August 2001 ist das gewesen, ein paar Wochen vor 9/11. Seitdem hat sich der Präsident in Crawford nicht mehr blicken lassen. Und auch Valerie Duty muss lange überlegen, um sich zu erinnern, wann sie ihn zuletzt leibhaftig gesehen hat. Um dann zu passen: "Es waren so viele Begegnungen", sagt sie und lächelt über diese Unwahrheit hinweg.
Auf dem Weg zur Ranch. Vorbei an schachbrettartig angelegten Wohnsiedlungen mit eingeschossigen Fertighäusern. Raus aus Crawford. Die Prairie Chapel Road führt im scheinbar sinnlosen Zickzack vorbei an Ranches mit Namen wie Broken Spoke oder Shiloh. Eine typisch amerikanische Landschaft. Der Horizont ist weit, hier kann man schon mal das Gefühl für die eigenen Grenzen verlieren. Rechts zweigt ein Schotterweg ab, nach hundert Metern ein Schlagbaum mit Wachhaus. Gegenüber zwei Wohncontainer fürs Wachpersonal. Valerie deutet auf die Baumlinie in einer Senke.
"Das ist ein Teil des alten Hauses, und das ist alles, was man sehen kann. Viel ist es nicht, gut so für den Präsidenten. Haben Sie die Schilder an der Straße gesehen: Parken und Halten verboten? Wir können also nicht zum Tor fahren und dort Fotos von den Sicherheitsleuten machen, wie in dem Haus seines Vaters in Kennebunkport. Sie dürfen nicht vergessen: Dies ist ein Kriegspräsident, das ist zu seiner eigenen Sicherheit."
Das Verbot ist vor 2005 in Kraft getreten. Wegen Cindy Sheehan: Sie hat ihren Sohn Casey im Irak verloren. Bush drückt sein Beileid aus und spricht von der "edlen Sache", für die Casey gestorben ist. Mit dieser Floskel gibt sich Cindy Sheehan damals nicht zufrieden.
"Cindy Sheehan kam nach Crawford, um gegen den Krieg zu protestieren. Ihr Sohn Casey war im Irak gefallen, aber die meisten Leute wissen nicht, dass er sich freiwillig verpflichtet hatte. Sie hat ihr Zelt dort drüben an der Straße aufgebaut, 26 Tage lang, und wollte mit George Bush sprechen. Dann hat ein wütender Waldaufseher ein paar Schüsse abgefeuert, in die Luft, er hat nur für die Taubensaison geübt. Aber das hat sie so entnervt, dass sie ihr Camp ein bisschen weiter die Straße runter aufgebaut hat."
Die verzweifelte Mutter, die Erklärungen verlangt, und der Präsident, der sie ihr verweigert - für die Medien ist das ein gefundenes Fressen. Kriegsgegner aus dem ganzen Land kommen nach Crawford, um Sheehan zu unterstützen. Für Valerie Duty ist das zu viel. Mit einem Dutzend Gleichgesinnten errichtet sie ihr eigenes Camp auf der Prairie Chapel Road - gegenüber von Cindy Sheehan. Sie nennt es Camp Reality. 21 Tage verbringt Valerie im Straßengraben. Für ihren Präsidenten.
"Camp Casey wurde nach ihrem Sohn benannt, aber die Wahrheit ist doch, dass unsere Soldaten im Mittleren Osten viel Gutes tun. Frauen können wählen, es gibt mehr Sicherheit in der ganzen Region. Seien wir ehrlich: Wir sind einen Diktator los geworden, und zwar einen wirklich üblen.
Dieses Dreieck hier an der Kreuzung, es war voll mit Polizisten. Und manchmal, vor allem an den Wochenenden, wenn Leute von außerhalb hinzukamen, wurde es ganz schön hitzig. Aber es kam nie zu Schlägereien, alles blieb zivilisiert. Wir hielten Schilder hoch, anstatt über die Straße zu brüllen. Zum Beispiel: Was ist mit den Kurden? Und sie kamen mit etwas Geistreichem zurück."
So friedlich, wie Valerie es schildert, ist es nicht zugegangen. Die Medien berichten von einem Pick-up, der auf die Kriegsgegner zurast, von Verbalinjurien und der latent drohenden Eskalation. Schließlich erlässt die Gemeinde das Parkverbot. Cindy Sheehan kauft ein Stück Land am Ortsausgang von Crawford und baut dort das zweite Camp Casey auf. Wann immer Bush auf seiner Ranch ist, kampieren dort bis zu 1000 Demonstranten.
"Das ist es, Camp Casey heute. Ich bin nicht mehr hier gewesen, seit Cindy es verkauft hat. Sieht noch so aus wie damals. Die Kreuze sind weg, na ja, ein paar stehen noch, aber das ganze Areal war voll mit Kreuzen. Die Leute hier hatten weder fließendes Wasser noch Strom oder Gas. Das ist alles, was geblieben ist. Sogar die Flaggen sind zerfleddert."
Valerie schluckt. Die Geschichte der Proteste ist eben auch ihre. In den Jahren 2005 und 2006 ist Crawford der Mittelpunkt der Welt gewesen, jedenfalls von hier aus betrachtet. Was bleibt, sind Erinnerungen. Wie nach einer großen, alles verzehrenden Fußballschlacht.
"Ich würde nicht gerade sagen, dass wir gute Freunde waren, aber wir haben einander respektiert. Ich hoffe, dass Cindy Frieden findet, denn Casey war ein ehrenwerter Mann. Er hat seinem Land das größte Geschenk gemacht. Deshalb bete ich immer noch für Cindy."
Valerie Duty kann sich die Großherzigkeit leisten. Ihr geht es gut, Cindy Sheehan dagegen hat den Sohn verloren, ihre Ehe ist zerbrochen, und sie ist pleite. Ein wohlhabender Kalifornier hat ihr das Stück Land in Crawford abgekauft, um ihr finanziell wenigstens ein bisschen zu helfen.
Mittagessen in der "weltberühmten" Coffee Station. Auch hier ist George W. Bush allgegenwärtig. Aus der Ecke linst er als Pappkamerad herüber, auf einer Fotowand posiert er mit den Besitzern der Restaurant-Tankstelle. Und auf der Speisekarte gibt er jenem Gericht den Namen, das er und 41 bei ihrem Besuch vor sieben Jahren verdrückt haben, einem doppelten Cheeseburger mit Zwiebelringen und Pommes
Auch Leon Smith hat früher oft hier gegessen. Seine Haare und sein Bart sind grau. Er trägt einen schwarzen Anzug und eine weinrote Krawatte zum moosgrünen Hemd. Damit fällt er auf inmitten der Bluesjeans- und Turnschuh-Fraktion in der Coffee Station.
Smith ist Chefredakteur des "Clifton Record", dem Lokalblatt im Nachbarstädtchen. Nach Bushs Wahl zum Präsidenten hat er auch in Crawford eine Zeitung lanciert, den "Lone Star Iconoclast". Teils aus Geschäftssinn, teils weil er große Hoffnungen in diesen Präsidenten gesetzt hat. Bushs damaliges Schlagwort vom "mitfühlenden Konservativismus" beschreibt ziemlich genau, wo Leon Smith sich politisch fühlt.
"”Based upon what he was saying we thought that he might be good. But we were totally wrong.""
Diese Erkenntnis reift mit dem Irakkrieg. Langsam rückt der Iconoclast von Bush ab. Erst von einzelnen Positionen, dann vom Mann selbst. Im Wahlkampf 2004 schließlich druckt Smith eine Empfehlung für den Demokraten John Kerry ab, ausgerechnet in Bush Country.
"Wenn man den Leitartikel heute liest, würde sich keiner groß darüber aufregen, aber damals wurde er als sehr radikal aufgefasst. Wir erhielten Drohungen, E-Mails, Anrufe. Einer sagt: Friss Dreck und stirb. Keine Ahnung, wie ernst man so etwas nehmen muss. In der Woche danach wurden ein paar Studenten, die für mich arbeiteten, bei einem Festival in Crawford erkannt und rausgeworfen. Und binnen Kurzem sind unsere Kontakte komplett ausgetrocknet, die Leute wollten einfach nichts mehr mit uns zu tun haben."
Für die Bürger Crawfords ist der Wahlaufruf ein Affront. Abos werden gekündigt, Läden boykottiert, die den Iconoclast führen. Wie immer, wenn es gilt, sich für George W. Bush stark zu machen, steht Valerie Duty an der Spitze der Bewegung. Und sie hat Erfolg: Binnen zwei Wochen sinkt die Auflage von 900 auf null.
"Und dann bekamen wir Abobestellungen aus dem ganzen Land, und die Auflage stieg auf über 2000. Also entschlossen wir uns zu einem Richtungswechsel: Wir wurden politischer und kümmerten uns mehr um nationale Themen. Mit dem Boykott hätten wir niemals gerechnet, aber was passiert ist, ist in Ordnung. Denn nun sind wir kein lokales Blatt mehr, sondern ein landesweites."
Leon Smith grinst. Er fühlt sich als Sieger in einer Schlacht, in der es um nicht weniger gegangen ist als um die Meinungsfreiheit. Die Auflage ist höher denn je, dank des Internetauftritts boomt das Anzeigengeschäft. Und der Iconoclast macht seinem Namen - der Bilderstürmer - mit kritischen, meinungsstarken Artikeln alle Ehre. In der aktuellen Ausgabe zieht eine Autorin ein fundiertes und verheerendes Fazit der Ära George W. Bush. Schmierenjournalismus, giftet Valerie Duty. Für sie ist Leon Smith ein carpet bagger. Der Begriff stammt aus der Zeit nach dem amerikanischen Bürgerkrieg und bezeichnet jemanden, der Geschäfte an Orten macht, an denen er nichts verloren hat.
Das wahre Crawford, es lebt für Valerie Duty in Gemeinden wie der Canaan Baptist Church. Die kleine Kirche steht unweit der Ranch auf einem Hügel, dem einzigen weit und breit. Ein symbolträchtiges Bild, denn in ihrem Selbstverständnis sind die USA genau das: die chapel on the hill, ein Ort, der Zuflucht und Hoffnung verheißt. Zweimal hat George W. Bush hier einen Gottesdienst besucht, Ostern 2001 und 2002. Auch das haben seine Imageberater ausgeschlachtet und den Präsidenten als Freund des aufrechten, hart arbeitenden Mannes vom Land dargestellt. Und die Leute hier haben mitgespielt und von den sporadischen Begegnungen erzählt. So ist es entstanden, das Bild vom Präsidenten und dem Städtchen, in dem er angeblich als Gleicher unter Gleichen lebt.
Zwanzig Personen sind zum Gottesdienst gekommen, die Männer in Jeans, Cowboystiefeln und karierten Hemden, die Frauen in knöchellangen Baumwollkleidern. Hinterm Altar hängen zwei Flaggen, die amerikanische und die texanische. Der Pastor predigt über Vergebung: Wer anderen nichts nachträgt, dem vergibt auch Gott.
Nach dem Gottesdienst gibt es ein gemeinsames Mittagessen - die Gemeinde mag klein sein, aber sie hält zusammen. Und weil sie alle aufrechte Patrioten sind, haben auch sie sich für George W. Bush in die Schlacht geworfen. Aber darüber will heute niemand mehr reden.
"Bush war okay", sagt Jerry Gauer, ein knorriger Rancher mit Bürstenschnitt. "Ein guter Christ mit guten Überzeugungen", ergänzt Kermit Dreyer hinter dicken Brillengläsern. "Trotzdem gut, dass bald alles vorbei ist", knurrt Gauer. Sie alle sind erschöpft, vielleicht auch desillusioniert von einer Präsidentschaft, die ihnen ständig ein klares Bekenntnis abverlangt hat: entweder für oder gegen George Bush. Gerade hier, in Bush Country. Und sie sehnen die Zeit herbei, wenn Crawford wieder zu der schläfrigen Kleinstadt von früher wird. Was bleibt, ist der Kampf um sein Bild in der Geschichte
"Er ist ein großer Präsident, davon bin ich überzeugt. Wie andere ihn sehen, das wird die Zeit zeigen. Vielleicht hat die Welt in 20 Jahren eine ganz andere Meinung von ihm, vielleicht sagen die Leute dann: Oh, er hat doch recht gehabt. Ich hoffe, dass ich diesen Tag noch erlebe."
Mit Gleichgesinnten hat Valerie Duty Autoaufkleber mit der Aufschrift "Everything but Hillary", "Alles außer Hillary", produziert. In Bush Country haben sie reißenden Absatz gefunden. Diesen Kampf scheint sie zu gewinnen.