Requiem auf eine Volksdichterin

Von Burkhard Birke · 28.03.2011
Die Schriftstellerin Anna Andrejewna Achmatowa gilt als bedeutendste russische Dichterin des 20. Jahrhunderts. In ihren Gedichten kommt vor allem der Schrecken der stalinistischen Herrschaft zum Vorschein. Nun wurde das Leben der Achmatowa zum Opernstoff.
"Achmatowas Dichtung ist sehr lyrisch und abstrakt zugleich. Diese beiden Aspekte wollte ich musikalisch umsetzen; das heißt einerseits etwas sehr gut Singbares, Vokales schreiben und gleichzeitig eine Distanz aufbauen, die Achmatowa einen Hauch von Ewigkeit und nicht nur den des Stalinopfers verleiht. Und ich finde, unser Poster und Bühnenbild, Modiglianis Darstellung von Achmatowa, hat das Lyrische, gleichzeitig aber auch etwas Einfaches und sehr Distanziertes."

Bei Bruno Mantovanis zweiter Oper mündet das in eine Instrumentalisierung mit einem schweren Unterton: Viel Klarinetten, Streicher, tiefe Bläser ... keine Harfe – so als ob er einen Orgelklang mit dem Orchester nachvollziehen wollte.

Bruno Mantovani, 36 Jahre jung und schon Direktor des Pariser Konservatoriums, hatte sich das Thema gewünscht: Ein Sujet, das mit dem Zweiten Weltkrieg und Russland zu tun haben sollte. Anna Achmatowa, die unter Stalin gepeinigte russische Dichterin bot sich da förmlich an.

1889 in einem Dorf bei Odessa geboren, beginnt sie mit elf bereits ihre ersten Gedichte zu schreiben, nicht als Gorenko, so ihr Geburtsname, sondern unter dem Pseudonym ihrer Großmutter Achmatowa.

Ihre Sprache ist einfach und prägnant; ihre Themen entspringen dem Alltag, oft beschreibt sie Trennung, Kummer, Liebesleid. Eine Dichtung, die den Stalinisten zu wenig gesellschaftlich relevant, mit religiös-mystischen und erotischen Motiven überladen erschien.

In der Stalinzeit setzt denn die Oper an und erzählt die leidvolle Geschichte der zeitweise verbotenen Dichterin Anna Achmatowa und ihres Sohnes Lew, der mehrfach inhaftiert, zu Tode verurteilt ins Lager verbannt und erst 1956 zehn Jahre vor ihrem Tod wieder freigelassen wurde.

Janina Bächle: "Es ist eine große Herausforderung, eine so große Frau und eine so wichtige Frau darzustellen. Das war mir zum Glück, als ich die Aufgabe übernommen habe, nicht klar, wie sehr Anna Achmatowa heute noch gerade im russischen Volk verehrt wird und wie groß diese Beziehung zu ihr und ihren Gedichten ist. Und das singend darzustellen ist schon etwas sehr Eigenes."

Für Mezzosopran Janina Bächle gibt es eine Doppelpremiere: Sie feiert ihr Paris Debüt und ihre erste Welturaufführung.

"Die Oper ist eine Maßanfertigung für Janina Bächle. Bevor ich auch nur eine Note geschrieben habe, war mir klar, sie hat die Stimme für Achmatowa. Das musste eine tiefere, eine Mezzosopran-Stimme sein."

Und in dieser Rolle glänzte Janina Bächle, zumindest in den Proben.
Das Dekor ist nüchtern schwarz weiß, Mal grau, mit szenenweisen Kontrasten: etwa durch eine knallrote Sonne, die über einem einfachen Bett thront.
Die Effekte mit der Schiebebühne für die Reise ins Kriegsexil sind gelungen, als Wandillustrationen dienen überdimensionierte Kopien der Modigliani Darstellung. Modigliani hatte die russische Nationaldichterin Achmatowa auf einer ihrer Reisen nach Frankreich und Italien gezeichnet.

Irgendwie erinnere die Beziehung der Achmatowa zu ihrem Sohn, der ihr auch noch vorwirft, sich nicht genug für ihn eingesetzt zu haben, an die Geschichte von Maria, die ihren Sohn Jesus leiden sieht, meint Skriptautor Christophe Christi. Darin liegt für Janina Bächle jedoch nicht die größte Herausforderung.

"Es ist eher die Schwierigkeit, die Vielschichtigkeit der Figur zu zeigen; am Anfang die Dichterin, die zufrieden ist mit ihrem Geschaffenen, die so ein bisschen in Erinnerungen schwelgt und dann einerseits die Mutter und andererseits die politische Person herauszuarbeiten und das auch stimmlich klar zu machen."

Während unzählige Opern immer wieder das Spannungsverhältnis Vater-Sohn aufgreifen, ist Achmatowa wohl die erste mit einer kritischen Mutter-Sohn-Beziehung und eine Oper, die einer großen Dichterin womöglich auch noch zu musikalischen Heldentum verhilft.

Links bei dradio.de:
Große Oper zu einer großen Lyrikerin
Mantovanis "Achmatowa” an der Opéra Bastille Paris


Links zum Thema:
Opera Bastille Paris "Akhmatova"
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