Republik Moldau

Richtungswahl zwischen Ost und West

Richtungswahl: Eine junge Frau verteilt Moldau- und EU-Wimpel an Autofahrer im Stadtzentrum von Chisinau.
Eine junge Frau verteilt Moldau- und EU-Wimpel an Autofahrer im Stadtzentrum von Chisinau. © dpa / picture alliance / Thomas Körbel
Moderation: Ute Welty · 29.11.2014
Die Republik Moldau wählt am Sonntag ein neues Parlament und muss sich dabei für oder gegen eine Annäherung an die EU entscheiden. Vor allem die Jungen setzen große Hoffnungen in die Abstimmung, sagt Südosteuropaexperte Frank Morawietz.
Nach Einschätzung des Südosteuropabeauftragten des deutsch-französischen Jugendwerks (DFJW) setzen junge Moldauer große Hoffnung auf die Europäische Union. Die am Sonntag anstehende Parlamentswahl werde als Schicksalstag für das Land wahrgenommen, sagte Frank Morawietz am Samstag im Deutschlandradio Kultur.
Im Moment gehe es in der Republik Moldau um die zukünftige Ausrichtung des Landes, erklärte Morawietz. Das sei bei einem Austauschseminar zwischen moldauischen, deutschen und französischen Jugendlichen deutlich geworden. "Die jungen Leute aus Moldau setzen sehr, sehr große Hoffnungen in diese Wahl", so der Südosteuropaexperte. "Sie möchten Europäer sein, sie möchten an einem demokratischen Europa mitarbeiten."
Gleichzeitig seien viele junge Leute mit den proeuropäischen Parteien in der Ukraine sehr unzufrieden. Ihnen würden mangelnde Reformen und Korruption vorgeworfen. "Es kann durchaus auch sein, dass die Wahl unter anderem deswegen sehr knapp ausgehen wird, weil es eine große Kritik gegenüber den etablierten Parteien gibt", gab Morawietz zu Bedenken.

Das Gespräch im Wortlaut:
Ute Welty: Was schon feststeht, ist, dass diese Wahl besonders von den Nachbarn beobachtet wird, auf der anderen Seite EU-Mitglied Rumänien, auf der anderen Seite die Ukraine, die im Richtungsstreit zwischen West und Ost zu zerreißen droht. Ist diese Wahl also eine Schicksalswahl für die Moldau? Das kann einschätzen Frank Morawietz, Südosteuropa-Beauftragter des Deutsch-Französischen Jugendwerks. Er hat gerade eine Gruppe Moldawier eine Woche bei ihrem Deutschlandbesuch begleitet. Guten Morgen, Herr Morawietz!
Frank Morawietz: Ja, einen wunderschönen guten Morgen!
Welty: Was haben Ihre Gäste, was haben unsere Gäste berichtet im Hinblick auf die Wahl, was wünschen sie sich für ein Parlament und was für eine Ausrichtung?
Morawietz: Ja, das Deutsch-Französische Jugendwerk hatte jetzt eine Woche vor dieser Wahl, vor dieser wichtigen Wahl, in der Republik Moldau ein deutsch-französisch-moldauisches Jugendseminar durchgeführt, und das geht zurück auf den Besuch von Bundesaußenminister Steinmeier und des französischen Außenministers Laurent Fabius im Frühjahr in der Republik Moldau, wo beschlossen wurde, den Jugendaustausch zwischen Moldau, Frankreich und Deutschland zu stärken.
Wir haben dann daraufhin sofort reagiert, und wir haben 25 Jugendliche eingeladen aus Frankreich und Deutschland und aus Moldau, um eine Woche vor der Wahl zu sprechen über die aktuelle Situation in Moldau und über die Annäherung an die Europäische Union. Und ich kann Ihnen sagen, dass die jungen Leute aus Moldau sehr, sehr große Hoffnungen in diese Wahl setzen. Sie möchten Europäer sein, sie möchten an einem demokratischen Europa mitarbeiten, und es war sehr beeindruckend zu sehen, mit wie viel Hoffnung sie auf diesen Sonntag warten.
In Transnistrien schwelt ein Dauerkonflikt
Welty: Auf der anderen Seite, 20 Prozent der Moldawier sprechen Russisch, das ist ja keine ganz kleine Gruppe, und besonders problematisch ist die Situation in Transnistrien – die Region hat sich von Moldau losgesagt, dort sind russische Truppen stationiert. Wie wird sich dieses Konfliktpotenzial nach der Wahl entwickeln? Was glauben Sie und was haben Ihre Gäste gesagt?
Morawietz: Das hat sich in unserem Seminar auch widergespiegelt zum einen dadurch, dass wir natürlich nicht nur Jugendliche aus der Republik Moldau, sondern auch aus Transnistrien in unserer Gruppe hatten – übrigens auch die Jugendlichen aus Transnistrien waren - für uns überraschend - sehr, sehr proeuropäisch. Was unterstrichen worden ist, ist, wie wichtig auch in Zukunft ein Dialog ist zwischen den Jugendlichen in Moldau und den Jugendlichen in Transnistrien, und natürlich das Ganze eingebettet in einen europäischen Dialog.
Und die Jugendlichen haben uns gesagt, dass jetzt natürlich die Situation in Transnistrien sehr, sehr schwierig ist, seit über 20 Jahren sehr, sehr schwierig ist, dass es aber auch in einer mittelfristigen und langfristigen Perspektive auch wichtig ist, weiterhin den Dialog mit Russland zu halten. Und die Zivilgesellschaft in der Republik Moldau hat durchaus auch Kontakte zur russischen Seite und auch zur transnistrischen Seite, auch wenn es schwierig ist. Und ich glaube, es gibt überall eine große Bereitschaft, diesen Dialog auch auszubauen und zu stabilisieren.
Menschen mit Ukraine- und EU-Flaggen auf dem Maidan in Kiew
Parallelen zur Ukraine: Beide Länder stehen zwischen Ost und West.© dpa / picture alliance / Zurab Dzhavakhadze
Welty: Angesichts dieses Konflikts haben wir alle die Ukraine und die Krim vor Augen, wenn die genannten Stichworte fallen. Halten Sie die Situationen für vergleichbar?
Morawietz: Na, es ist immer schwierig, das zu vergleichen, aber es gibt natürlich schon eine Menge gemeinsame Punkte. Also der erste Punkt, der mir dazu einfällt, ist, dass Russland unbedingt die territoriale Integrität der Ukraine und auch von Moldau respektieren muss, und ich glaube, das ist auch das, wovon viele Bürger in Moldau auch Angst haben. Der Konflikt in der Ukraine ist natürlich ein schlechtes Zeichen für Moldau und weckt nicht gerade Vertrauen.
Aber ein Unterschied besteht zum Beispiel darin, dass ja jetzt in diesem Jahr die Visumsbefreiung für Moldau beschlossen worden ist, das heißt, gerade junge Bürger aus Moldau können jetzt frei reisen, können frei in die EU reisen, und viele machen davon Gebrauch. Und das ist, glaube ich, ein ganz, ganz wichtiger Schritt, um den Dialog zwischen Moldau und der EU zu stabilisieren, und ich finde, wir bräuchten diesen Dialog und diese Begegnung auch dringend mit Jugendlichen aus der Ukraine.
Kritik an proeuropäischen Parteien
Welty: Inwieweit beherrscht diese Ausrichtungsfrage den Wahlkampf in der Republik Moldau, oder spielen andere Themen noch eine viel größere Rolle, die wir gar nicht so sehen von hier?
Morawietz: Ja, ich glaube, also im Moment geht es wirklich darum in der Republik Moldau – das zumindest haben uns die Jugendlichen gespiegelt – was ist die zukünftige Ausrichtung der Republik Moldau, und das ist schon ein bisschen eine Schicksalsfrage. Einer unserer Jugendlichen hat es so formuliert: Entweder gibt es totalen Stillstand oder es gibt tatsächlich den Weg der Annäherung an die Europäische Union. Ich glaube schon, dass das im Vordergrund steht. Allerdings, das muss man auch sagen, viele junge Leute sind sehr unzufrieden, auch mit den proeuropäischen Parteien. Sie werfen ihnen mangelnde Reformen, auch Korruption vor, und es kann durchaus auch sein, dass diese Wahl unter anderem deswegen sehr knapp ausgehen wird, weil es eine große Kritik gegenüber den etablierten Parteien gibt.
Welty: Ja, Schlagzeilen gemacht hat ja jetzt auch noch die Flucht eines prorussischen Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten. Inwieweit erhöht das die Spannung und auch das Risiko, dass die Situation womöglich eskaliert?
Morawietz: Na ja, wenn man sich diesen Kandidaten anguckt, das war schon sehr mysteriös und sehr merkwürdig. Von den Jugendlichen in unserem Seminar ist das so kommentiert worden, dass dieser Kandidat ein eher russischer Kandidat war, und dass er von der Wahlkommission abgesetzt worden ist, ist in unserem Seminar sehr positiv aufgenommen worden.
Welty: Wie wollen Sie den Dialog fortsetzen nach der Wahl?
Morawietz: Ja, wir haben uns als Deutsch-Französisches Jugendwerk entschlossen, den Dialog mit der Republik Moldau zu stärken. Wir werden jetzt mit dieser Gruppe erst mal auch nach Paris und nach Brüssel weiterreisen, werden da im nächsten Jahr im Frühjahr ein Programm haben und werden dann mit der ganzen Gruppe natürlich auch nach Chisinau, nach Moldau fahren, um uns die Situation vor Ort anzugucken. Wir wollen auch einen Tag nach Transnistrien fahren. Und diese Gruppe selbst arbeitet zurzeit an mehreren Vorschlägen, wie Jugendaustausch mit der Europäischen Union gestaltet werden könnte, und da gibt es eine ganze Menge an sehr guten Ideen.
Welty: Ich hab das Gefühl, wir haben noch nicht das letzte Mal darüber gesprochen. Vor der Wahl in der Moldau Einschätzungen von Frank Morawietz, Südosteuropa-Beauftragter des Deutsch-Französischen Jugendwerks. Danke dafür!
Morawietz: Sehr gerne, schönen Tag!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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