Reproduktionsmedizin

In Großbritannien gibt es bald Kinder mit drei genetischen Eltern

Im Biologischen Labor des Zentrums für Reproduktionsmedizin an der Universitätsfrauenklinik in Leipzig ist eine 200-fache Vergrößerungen der Befruchtung einer Eizelle zu sehen, aufgenommen am 17.03.2011.
Betroffene hoffen, dass die Mitochondrien-Entnahme eines Tages genauso selbstverständlich ist wie die In Vitro Fertilisation. © picture-alliance / dpa / Waltraud Grubitzsch
Von Jochen Spengler · 12.02.2015
Großbritannien ist auf dem besten Wege, als erstes Land ein neues Reproduktionsverfahren mit dem Erbgut dreier Eltern einzuführen, bei dem defekte Erbsubstanz ausgetauscht wird. Widerstand ist kaum noch zu erwarten. Dass die Briten solchen Technologien gegenüber so aufgeschlossen sind, hat einen besonderen Grund.
Jährlich werden etwa 125 Babys in Großbritannien mit schweren, von der Mutter ererbten, unheilbaren Krankheiten geboren, die durch defekte Mitochondrien verursacht wurden. Auch bei Vicki Holliday sind sie defekt. Ihre Tochter Jessica ist ein Jahr alt und ihre Lebenserwartung gering:
"Wenn Dir gesagt wird, dass Deine Tochter sterben wird – ist das nur schwer zu ertragen. Und dann zu hören – ach übrigens, all ihre weiteren Kinder werden ebenso an der Krankheit leiden – das zerstört deine Hoffnungen."
Die 38-Jährige vererbte ihrer Tochter das Leigh-Syndrom und hofft, dass nach dem Unterhaus auch das Oberhaus dem neuen Reproduktionsverfahren zustimmt, das von Wissenschaftlern der Uni Newcastle entwickelt wurde und das die Weitergabe defekter Mitochondrien an ein Kind und die folgenden Generationen verhindern soll.
Die Mediziner ersetzen die defekten Mitochondrien einer befruchteten oder noch zu befruchtenden Eizelle der Mutter durch gesunde Zellen einer Spenderin. Obwohl der Embryo dann das Erbgut von drei Eltern besitzt, trägt er nur 37 Gene der Spenderin, aber 22.000 Zellkern-Gene der leiblichen Eltern, die die Eigenschaften des Kindes prägen. Noch ist die Technik nicht völlig ausgereift.
Der Entscheidungsfindungsprozess war außerordentlich transparent
"Das ist ein Risiko, natürlich, aber nicht so groß wie das Risiko, ein Kind zu bekommen, dass die Leigh-Krankheit hat. Wenn wir die ausrotten und eine der ersten Familien sein können, die diese Chance bekommt, wäre das großartig. Es ist doch interessant, was früher über künstliche Befruchtung geredet wurde – ein Mensch, der im Reagenzglas gemacht wird. Heute stellt niemand mehr IVF in Frage, wir nutzen sie einfach."
Auch IVF wurde von britischen Wissenschaftlern entwickelt und Louise Brown, das erste Retortenbaby 1978, war britisch. Es ist kein Zufall, dass Großbritannien Vorreiter bei der Mitochondrien-Spende ist; ebenso wenig, dass die britische Öffentlichkeit mitzieht. Denn der Entscheidungsfindungsprozess war außerordentlich transparent: Seit 2007 wird in Großbritannien über ethische und wissenschaftliche Implikationen des Verfahrens diskutiert. Drei Mal debattierte das Parlament mit über 200 Anfragen. Die Behörden führten außerdem umfangreiche öffentliche Konsultationen durch. Unter anderem wurden in einer repräsentativen Umfrage mehr als 1.000 Briten in persönlichen Interviews befragt, es gab Workshops und die Möglichkeit, einen öffentlichen Fragebogen auszufüllen, was 1.800 Interessierte taten.
Jane Ellision, Staatssekretärin für Gesundheit, ergänzt:
"Wir haben drei Gutachten über die Sicherheit und Ethik der Mitochondrien-Spenden-Technik von einem Experten-Panel in den Jahren 2011, 2013 und 2014. Die Experten wurden von HFEA, der Behörde für Embryologie, berufen wegen ihrer breiten wissenschaftlichen und klinischen Kenntnisse und sie durften selbst kein eigenes wirtschaftliches Interesse am Ergebnis der Untersuchung haben…Insgesamt gab es mehr Wissenschaftsgutachten als bei jeder anderen Medizintechnologie."
Die Berichte kamen zum Schluss, dass das Verfahren sicher sei und ein Gutachten des Nuffield Councils für Bioethik meinte 2012, es sei auch ethisch vertretbar.
Die Behörde will streng regulieren
Am Ende machte sogar die anglikanische Staatskirche keine grundsätzlichen Bedenken mehr geltend, sondern plädierte lediglich dafür, sich mehr Zeit zu nehmen, um jegliche Gefährdung zu vermeiden. Tatsächlich ist nicht auszuschließen, dass auch mit der neuen Technik ein Anteil defekter Mitochondrien weitergegeben wird. Außerdem ist derzeit nicht genau vorherzusagen, welche Folgen die sanfte Manipulation der menschlichen Keimbahn für kommende Generationen hat.
Bedenken, die Jeremy Farrar, zurückweist. Er ist Direktor des Wellcome Trust, der einen Teil der Forschungen finanziert hat:
"Ich bin davon überzeugt, dass es sicher ist. Sieben bis zehn Jahre lang gab es gewaltige Anstrengungen, die Sicherheit zu überprüfen. Und nun sollten wir diese Technik jenen Familien anbieten, die erschütternde Erfahrungen gemacht haben mit Kindern, die unter schweren Erbkrankheiten leiden."
Sobald das Oberhaus die Gesetzesreform billigt, können sich einzelne Kliniken bei der Behörde für Embryologie darum bewerben, die Mitochondrien-Spende anzubieten. Die Behörde will streng regulieren und jeden Einzelfall prüfen. Kinder mit den Genen dreier Eltern dürften frühestens im kommenden Jahr geboren werden.
Mehr zum Thema