Repräsentativer Querschnitt

Von Carsten Probst |
Mehr als 2500 Zeichnungen umfasst die Schenkung der Judith Rothschild Foundation an das Museum of Modern Art, und schon die zehn Prozent, die davon im Berliner Martin-Gropius-Bau zu sehen sind, sind eine stattliche Anzahl.
Die wuchtige Präsentation von vielen, sehr vielen berühmten Künstlernamen der vergangenen sechzig Jahre und die unverkennbar hohe Qualität der meisten Arbeiten setzen ein klares Signal: Hier wird ein repräsentativer Querschnitt durch die jüngste Kunstgeschichte des Westens gesucht. Umso mehr überrascht die Ausstellung durch ihre konventionelle Aufteilung. Geht man nach links, gelangt man in den Bereich Abstraktion, geht man nach rechts, zur Figuration, am Ende dann noch ein Appendix zur derzeit wieder aktuellen Technik der Collage.

"Ja, es sind eigentlich ganz klassische Kategorien. Aber es sind klassische Kategorien, die in der Sammlung selbst zu finden sind, die ein Antrieb dieser Sammlung waren, als sie zusammengestellt wurde, und es sind Kategorien, die eigentlich so konventionell gar nicht sind."

sagt Kurator Christian Rattemeyer, der die Sammlung am MoMA betreut und möchte eigentlich damit sagen, dass doch die Kategorien gar nicht so wichtig sind, auch wenn die Ausstellung sie so betont. Überraschend auch die starke, ja fast "Überpräsenz" deutscher Künstler seit den sechziger Jahren in dieser Ausstellung, so als hätten die Kuratoren dem deutschen Publikum lieber Vertrautes bieten wollen, als ihm zuviele Namen zuzumuten, die es möglicherweise nicht kennt. So wirkt es nun, als sei ein Großteil der Sammlung eigentlich deutschen Künstlern gewidmet, aber auch das ist natürlich ganz anders gemeint.

Was jedoch weitaus schwerer wiegt, ist, dass die Berliner Festspiele wieder einmal angesichts eines fragwürdigen Hintergrundes einer Präsentation beide Augen zudrücken. Denn Harvey Shipley Miller, der einzige Trustee der Judith Rothschild Foundation, die diese Sammlung dem MoMA 2005 geschenkt hat, besitzt eine Doppelfunktion, wie Christian Rattemeyer in aller Unbefangenheit vermeldet:

"Harvey Shipley Miller sitzt im Vorstand des Museums und im Komitee der Abteilung der Zeichnungen und hat dann gemeinsam mit dem damaligen Chefkurator der Zeichnungsabteilung Gerry Garrels diese Sammlung zusammengestellt, und zwar unmittelbar mit der Idee, dass diese Sammlung danach an das Museum of Modern Art gehen wird."

Das Problem ist nur, dass Miller sämtliche der 2.500 Arbeiten binnen kürzester Zeit, zwischen 2003 und 2005 in einem wahren Shopping-Feldzug erworben und dabei rund 30 Millionen Dollar ausgegeben hat – Geld, das laut Satzung der Judith Rothschild Foundation eigentlich als Zuwendung für Organisationen gedacht war, die arme, betagte Künstler unterstützen sollen. Aber die offizielle Sicht des Kurators klingt etwas anders:

"Ich würde das immer vergleichen mit einem olympischen Hundert-Meter-Lauf. Also, man trainiert sein ganzes Leben, und der Wettkampf ist in acht Sekunden vorbei. Denn dort war sozusagen wirklich ein kuratorisches Know How, die Schulung des Blicks sozusagen auf einen Schlag eingerufen und gesagt: Okay, jetzt ist der Zeitpunkt, wo wir zu Ellsworth Kelly gehen und sagen, mach deine Schubladen auf und zeig uns, was du da drin hast und was du sonst niemandem anders zeigst, jetzt ist der Zeitpunkt, wo wir zu den Galeristen gehen und sagen: Nein ist sowieso nur eine Zwischenstation zu Ja."

Während also Miller und die MoMA-Leute in den Atelier der längst etablierten und wohlhabenden Künstler und Galerien auf "dicke Hose" machten, warteten das Drawing Center in New York oder das Delaware Art Museum und etliche andere Einrichtungen vergebens auf ihre jährlichen Zuwendungen der Judith Rothschild Foundation, die manchen Künstlern das materielle Überleben sichern. Die Vorwürfe unter anderem der New York Times, Miller habe eigenmächtig Stiftungsgelder veruntreut, um sich als Vorstandsmitglied des MoMA ein Denkmal zu setzen, lassen seinen Kurator Christian Rattemeyer jedenfalls merkwürdig defensiv werden:

"Ich weiß da… I-i-ich… da kann ich wirklich nichts zu sagen, das ist auch nichts, wo das Museum in irgendeiner Art und Weise unmittelbar mit beschäftigt war. Unser Verhältnis mit der Sammlung beginnt ja eigentlich in dem Moment, wo wir die Sammlung bekommen. Aber die gesamte Sammlungsaktivität hat ja keinerlei Förderung, die die Stiftung auch macht, ersetzt. Das lief alles zusätzlich, insofern ist da eigentlich kein Problem."

Kein Problem, na klar. Danach ist das Gespräch beendet. Mag man im Fall des MoMA an manche kruden Praktiken und merkwürdige Deals gewohnt sein: Für die Berliner Festspiele und den Martin-Gropius-Bau, die immerhin unter der Schirmherrschaft des Kulturstaatsministers stehen, sind solche Ausstellungen und das sichtbare Schielen auf Besucherquoten, koste es was es wolle, kein Ruhmesblatt.