Reportagen fürs Geld, Porträts fürs Vergnügen

Von Michaela Gericke · 28.10.2008
Sie gilt als eine der bedeutendsten Fotografinnen des letzten Jahrhunderts. Die deutsche Jüdin und Kommunistin Gisela Freund emigrierte während des Faschismus nach Paris. Das Willy-Brandt-Haus in Berlin zeigt anlässlich ihres 100. Geburtstags Künstlerporträts und Reportagefotos. Die ehemalige Magnum-Mitarbeiterin starb vor acht Jahren.
Kein Lächeln geht über ihre Lippen, als sich Gisèle Freund 1929 selbst porträtiert.
Dunkel die Augen, die geschwungenen Brauen, das kurze dichte Haar. Auf ihrem Gesicht und im Hintergrund an der Wand ist ein Schatten zu erkennen – das Profil ihres Freundes Horst Schade. Das Selbstporträt ist Zeugnis einer tiefen Verbundenheit, die jedoch im Pariser Exil zu Ende ging und zugleich ein experimentelles Foto, wie es danach kaum noch bei Gisèle Freund zu finden ist.

" So habe ich es gehalten: Reportagen, um Geld zu verdienen, und Porträts zu meinem eigenen Vergnügen. "

schrieb Gisèle Freund später in ihren Erinnerungen. Mit erzählerischen Reportagefotos beginnt sie in Frankfurt am Main, wo sie Soziologie studiert. Am 1. Mai 1932 dokumentiert sie die aufgeheizte Stimmung Arbeitsloser, kommunistischer und anderer linker Gruppen, aber auch die Aufmärsche der Rechten. Es sollte die letzte große 1.Mai- Demonstration vor dem Ende der Weimarer Republik sein. Sie selbst gehört einer linken Studentengruppe an und wird gewarnt. Einer Verhaftung entkommt sie durch die Flucht nach Paris. Und gehört dort schnell zum Kreis linker Intellektueller und Künstler.

Die Buchhändlerin Adrienne Monnier wird Freundin und Vermittlerin für zahlreiche Aufträge mit der Kamera: Gisèle Freund ist die einzige Fotografin auf dem berühmten "1. Internationalen Schriftstellerkongress zur Verteidigung der Kultur" in Paris 1935.
3000 Schriftsteller aus der ganzen Welt nehmen daran teil, Gisèle Freunds Momentaufnahmen zeigen Heinrich Mann, Anna Seghers, André Gide. Den revolutionären André Malraux hält sie als leidenschaftlichen Redner fest, mit geballter Faust am Mikrofon. Ein Porträt zeigt ihn fast verwegen: Zigarettenstummel zwischen den Lippen, die Stirn in Falten gelegt, Wind im Haar.

" Ich wusste schon, dass es wesentlich ist, den Fotoapparat vergessen zu machen, wenn man natürliche Bilder erzielen möchte. "

schreibt sie viele Jahre später. So manche ihrer Bilder sind Geschichte geworden: Simone de Beauvoir und Jean Paul Sartre in einem Zimmer, beide an separaten Tischen in ihre Arbeit vertieft. Nahaufnahmen von James Joyce mit Lupe vor der dicken Brille und Walter Benjamin; Virginia Wolf, 1939 in London, ganz bei sich und nachdenklich, wie ihre Stirn verrät.

" Wenn sie denken, ich bin fertig, dann fang ich an. So hab ich’s gemacht. Ich wollte nicht so steife ... "

erzählte Giséle Freund im Sommer 1996. Förmliche, künstliche Bilder gibt es bei ihr nicht. "Psychologische Aufnahmen" – wie sie es nannte – sollten es immer werden.

" Das menschliche Gesicht ist sehr ... Wenn ich ihr Gesicht ansehe, seh ich zuerst Ihren Mund. da kann man sehr viel lesen. Es ist eine Partie unseres Körpers, den wir immer verdecken, den Mund. Das hab ich richtig studiert. Ich hab nur fotografiert, die mich interessierten. "

Viele ihrer Bilder nahm sie in Farbe auf, gleich, nachdem der Kolorfilm auf den Markt kam, Ende der 30er Jahre. Es war für sie eine wahre Freude, wie Marita Ruiter erzählt. Die Galeristin aus Luxembourg lernte Gisèle Freund Anfang der 1990er Jahre in ihrem Wohnort Paris kennen:

" Sie war eine Berühmtheit, sie wusste auch um das, was sie geleistet hatte, sie hat aber sehr bescheiden gelebt in dieser Pariser Wohnung und hatte da alles um sich, was sie so gern hatte - da waren dann ihre Archive - alles um sie herum, sie hat sich geweigert, das irgendwo anders zu archivieren. Sie hatte von dem französischen Staat angeboten bekommen, dass er das übernehmen würde und sie eine Apanage erhalten würde, aber sie war sehr erbost darüber, wie wenig das hätte sein sollen und hat es deswegen abgelehnt, es war für sie eine richtige Beleidigung."

Porträts berühmter Künstler, entlarvende Reportagen über das Elend in britischen Armutsvierteln während der 30er Jahre, über die eitle Evita Peron, Frau des argentinischen Staatspräsidenten 1950, Reisen mit Frida Kahlo und Diego Rivera: Nie aber hat Gisèle Freund ihre Arbeiten als Kunst bezeichnet.

Marita Ruiter: " Dass auf einmal Fotografie als Kunst gehandelt wurde, das hat sie gar nicht verstehen können. (…) hat sie bis zum Schluss immer gesagt: Wer kauft denn das, wer bezahlt das - vorher war es so, sie hat Bildrechte verkauft, wenn da Abbildungen waren, in Zeitschriften oder so und war auch der Meinung, dass das viel zu überschätzt ist - ... und für ihre eigenen Bilder hat sie nur sehr sehr wenige gelten lassen, die, wie sie sagte, im kollektiven Gedächtnis der Zeit haften bleiben würden. Aber so wenige sind es eigentlich nicht, weil ich denke, alle Porträts, besonders die Farbporträts, die so beseelten Bilder, die man eigentlich in sich trägt. Jeder, der sie mal gesehen hat: ich glaube, sie war eine derjenigen, deren Werk man eigentlich nie vergessen wird."