Renner: Künstler profitieren vom Internet

Moderation: Gabi Wuttke |
Nach Ansicht des früheren Musikchefs von Universal Music Deutschland, Tim Renner, bietet das Internet für Musiker die Chance, sich selbst zu profilieren. Der Erfolg von Bands wie den Arctic Monkeys oder auch Grup Tekkan habe gezeigt, dass man auch ohne eine Plattenfirma im Rücken einen großen Bekanntheitsgrad erreichen könne.
Gabi Wuttke: Selbstgebastelte Musikvideos im Internet - die Schottin Sandy Tom sicherte sich damit einen Plattenvertrag, weil jeden Abend 100.000 Hörer ihre Kellerkonzerte anklicken. Aus den Tiefen des Internets kommen auch drei türkische Jungs aus Deutschland, die Grup Tekkan, noch ohne Plattenvertrag, aber mit einem beachtlichen Bekanntheitsgrad, zumindest in der Internet-Community. Dem Internet ist auch der große Erfolg von Gnarls Barkley in England zu verdanken, denn legale Downloads werden dort seit März bei einer Platzierung in den Charts mit einbezogen. Und Gnarls Barkley schaffte es auf Platz eins.

Über dieses Phänomen und die Plattenindustrie sprechen wir jetzt mit Tim Renner. Er kennt die Welt der großen Labels, hat für sie Rammstein, Element of Crime, Tocotronic betreut, stieg dann bei Universal aus und nahm ein Firmenkonzept mit, als Produzent eine Radiowelle und eine Downloadplattform zu betreiben.

Tim Renner, sind die Erfolge von Gnarls Barkley und Grup Tekkan vergleichbar?

Tim Renner: Nicht wirklich, da geht es um zwei unterschiedliche Dinge, Grup Tekkan, die haben sich in ihrem Kontakt zum potentiellen Endkonsumenten einfach selbstständig gemacht, nichts verkauft, sondern sich zum Thema gemacht, das Internet als Bühne genutzt. Gnarls Barkley - hier wurde das Internet als kommerzielle Distributionsbasis genutzt.

Wuttke: Das heißt was?

Renner: Das heißt, eine große Schallplattenfirma, die Warner Music, hat ein an sich etablierten Künstler, nämlich Danger Mouse und sein Projekt genommen und hat darauf verzichtet, CDs zu pressen, sondern hat gesagt: nein, wir vertreiben das lediglich über Internetdownloadplattformen wie Apple iTunes, Musicload oder wie sie alle heißen. Das war ein schlauer Schachzug aus zwei Gründen. Einerseits, das löst natürlich auch wieder Kommunikation aus, worüber reden wir, gerade darüber, also ganz im Sinne der Warner, und zum anderen: Das kostet die viel weniger Geld.

Wuttke: Das heißt man setzt auf das falsche Pferd, wenn man denkt, dass die großen Plattenfirmen die Zeit nicht erkannt haben und das Internet an ihnen vorbeirauscht, mitnichten?

Renner: Das stimmt wirklich nicht für alle Plattenfirmen. Und eben auch innerhalb von Plattenfirmen gibt es natürlich Leute, die sind innovativer, die trauen sich was und andere, die sind zurückhaltender. Hier reicht ja schon ein cleverer Marketingmanager, der einfach die Fertigung der CD gar nicht angestoßen hat, weil er sich gesagt hat: Was soll ich das Geld verlieren, geh ich doch lieber übers Internet und hab dafür eine ganz tolle Story.

Wuttke: Ist der Kopierschutz von CDs eigentlich Schnee von gestern, weil die CD nur noch ein Gnadenbrot bekommt?

Renner: Auf jeden Fall. Nehmen wir es mal ganz sachlich: Als vor 25 Jahren die CD eingeführt wurde, da waren es lauter Argumente, wie das Ding ist unzerstörbar, das ist leicht transportabel, das klingt auf jeder Anlage gleich und das sind alles Argumente, die der MP3, also der Soundfile locker matchen kann, also wo er eigentlich besser ist als die CD. Sprich wir haben längst ein neues Produkt auf dem Markt, das kann ich zwar nicht mehr anfassen, aber das ist in den Kernargumenten für eine CD besser als die CD. Und insofern wird die nie wirklich so richtig heißgeliebte Plastikscheibe CD in Ihren Keller wandern, aber garantiert Ihre Vinylschallplatten, wenn Sie noch welche haben, oben bleiben.

Wuttke: Ja, das merkt man auch. Es gibt immer wieder Plattenläden, die wieder auf das gute alte Vinyl zurückgreifen und reichlich Kundschaft haben. Aber einen Saphir zu finden, dürfte doch ein bisschen schwierig sein.

Renner: In Berlin sind es jetzt schon 32 Plattenläden, die, so wie wir es kennen aus dem Buch High Fidelity oder aus dem gleichnamigen Film, von Liebhabern betreut werden und da finden die Leute ja all das, was ihnen ein Download ja wiederum nicht bietet: was Schönes zum anfassen, den warmen Klang einer Platte. Und ich denke, wir werden in Zukunft zwischen beidem leben: Der schnelle Download eines Songs, den wir mögen und was wir spontan machen, wie die Briten das ja jetzt schon bei "Crazy" bewiesen haben, und eben halt unsere Lieblingsbands, unsere Lieblingsinterpreten, die wir dann groß und schön inszeniert haben wollen, im wärmsten Klang, also am liebsten auf Vinyl.

Wuttke: Tim Renner, das Internet, welche Rolle spielt dabei noch technische Qualität?

Renner: Das hängt sehr von der Musik ab. Je computergetriebener die Musik ist, z.B. im Hip Hop, wo viel mit Samples gearbeitet wird, komme ich mit relativ geringen technischen Qualitäten aus, je mehr ich von natürlichen Sounds, natürlichen Klängen lebe, also der klassische Bandsound, desto mehr spielt dann auch Technik schon eine gewisse Rolle. Sowohl die Technik des Spielenkönnens als auch die Fähigkeit, es vernünftig aufzunehmen. Dennoch wer heutzutage eine LP produziert, die mehr kostet als 20.000 Euro, hat einfach Geld zum Fenster heraus geworfen. 20.000 Euro mag für den normalen Hörer immer noch viel klingen, aber zum Vergleich: Es war vor zwanzig Jahren nahe zu unmöglich, ein Album unter 50.000 Euro aufzunehmen.

Wuttke: Nachdem, was Sie geschildert haben Tim Renner, wohin bläst der Wind die Plattenfirmen? Sie betreiben seit einem Jahr mit motor.de einen Radiosender, eine Downloadplattform und sind auch noch Produzent. Also, was müssen die großen Konzerne ändern, damit sie nicht ertrinken?

Renner: Insgesamt gesehen verstehen die ihr Geschäft schon. Sie müssen erstmal eins machen, sie müssen erst mal eine Marke werden. Im Internet bilden sich Communities, also Gruppen von Menschen, die einander vertrauen. Vor allen Dingen, in einer Welt, die von Informationen überflutet ist, brauche ich eine Bezugsgruppe, die mir mitselektieren hilft: Was ist wichtig und was nicht? Und da kommunizieren sich momentan einige Bands ganz gut auch alleine und starten erst mal ihre Karriere gänzlich ohne Hilfe. Wenn irgendwo Warner, Universal, Sony draufsteht, das schafft bei ihnen ja noch kein Vertrauen.

Und ich glaube, Verlässlichkeit, das ist das eine Ding, was Schallplattenfirmen schaffen müssen. Sie müssen aber auch schaffen, ihre eigene Kommunikation aufzubauen. Denn eine Schallplattenfirma muss doch mindestens so gut sein, wie der Künstler, der mit ihr arbeiten will und der Künstler, das haben die Arctic Monkeys ja schon selbst bewiesen, können auch ganz gut alleine kommunizieren.

Wuttke: Die Schottin Sandy Toms hat bei ihren Kellerkonzerten jeden Abend hunderttausend Hörer gehabt. Jetzt hat Sony sie gecatcht und Sandy Toms freut sich, worüber eigentlich?

Renner: Ja, die freut sich jetzt darüber, dass sie erstmal einen ganz dicken Vorschuss kriegt und die freut sich auch darüber, dass ihr jetzt ein globales Vertriebssystem offen steht. Denn momentan haben wir eine Mischung aus physischen Tonträgern und Downloads, d.h. ich brauch sehr wohl noch jemanden, der mir CDs und Vinyls irgendwohin trägt und ich brauche natürlich auch jemanden, der für mich eine Marketingkampagne macht, so dass ich den finalen Schritt schaffe.

Wuttke: Aber ich brauche doch keinen, wenn ich doch schon mal solchen Erfolg gehabt habe, der mir dann auch noch in meine Musik reinredet und sie so hinbiegt, dass sie zum Mainstream werden kann.

Renner: Insgesamt gesehen ist ein Künstler immer gut beraten, wenn er sich auf eine Sache konzentriert, nämlich auf das, was ihn einzigartig macht. Kein Mensch braucht irgendeine Gruppe, irgendeinen Interpreten, der klingt wie ein anderer. Jeder Künstler sollte sich darauf konzentrieren, was macht mich speziell. Und ein Künstler sollte immer so selbstbewusst sein, dass die Plattenfirma ein Ratgeber ist, aber den sollte er nicht ernster nehmen in musikalischen Fragen als seinen Schlagzeuger oder Bassisten.

Wuttke: Sie sprechen, um mit Loriot zu sprechen, im Konjunktiv II bei Sonnenaufgang: könnte und sollte. Aber ist es denn de facto so, ist es denn nicht doch vielleicht etwas zu optimistisch?

Renner: Natürlich gibt es schwarze Schafe in der Branche aber diese tun sich meist keinen Gefallen. Es gibt Musiksegmente, da geht es auch gerade nicht wirklich um einmalige Künstler. Stichwort "Deutschland sucht den Superstar" und ähnliches, aber in der Mehrheit geht es schon darum und haben auch Schallplattenfirmen, auch die großen Schallplattenfirmen sehr wohl verstanden, dass sie sich darauf konzentrieren müssen, Sachen zu schaffen, die möglichst unverwechselbar sind. Das stumpfe Hinterherrennen nach irgendeinem Mainstream, das haben schon die meisten begriffen, das funktioniert gar nicht mehr. Da müssen Sie sich nur angucken, was sie allgemein im Radio hören, der Radiomainstream, das ist ja auch gar nicht mehr das, was die Leute unbedingt als Schallplatten kaufen wollen.

Wuttke: Tim Renner im Radiofeuilleton, wir haben es ja schon gesagt, Sie haben auch eine Downloadplattform. Kommen wir doch mal zu dem, wovon Sie auch leben müssen, neben dem Vertrauen, dass Ihnen Ihre Kunden schenken. Wie verteilt sich eigentlich das Geld für ein Download?

Renner: Ein Download kostet ja gemeinhin bei Apple 99 Cent. Da gehen erst einmal 16 Cent an die Bundesrepublik Deutschland, in Form von Mehrwertssteuer, dann gehen 68 Cent an die Plattenfirma.

Wuttke: Das ist viel.

Renner: Ja, das klingt erstmal relativ viel, weil die Plattenfirma zahlt davon wiederum die GEMA, sprich die Autoren, das sind zehn Cent von den 68 Cent und von den verbleibenden 58 Cent hängt es jetzt komplett ab, welchen Deal der Künstler abgeschlossen hat. Gehen acht bis dreißig Prozent an den Künstler, also von der Gesamtsumme also d. h. umgerechnet - oh, jetzt mal schnell Kopfrechnen, da war ich auch schon besser drin - also, wenn der Künstler Glück hat, sind es etwa 25 Cent. Hat er Pech, dann landet er irgendwo bei 6 bis 7.

Wuttke: Der mittelfristige Blick in die Zukunft. Wer sitzt eigentlich am längeren Hebel?

Renner: Für das Publikum wird die Situation besser und schlechter. Es wird besser, weil plötzlich bekomme ich viel mehr Angebote als zuvor. Ein Schallplattenladen ist immer eine Verengung des Möglichen. Plötzlich habe ich alles Mögliche. Es wird schlechter: Ich muss mich schon ein bisschen mehr kümmern, um das Richtige in der Menge des Angebotes für mich zu finden. Aber wie gesagt, da gibt es Mittel und Wege und Möglichkeiten.

Wuttke: Und für die Musiker?

Renner: Für die Musiker wird es prinzipiell erstmal besser, weil eine Hürde, nämlich die Distributionen, die ich früher nur von einem Dritten bekommen konnte, fällt. Ich hab jetzt Möglichkeiten, direkt zu distribuieren, auch teilweise direkt zu kommunizieren, d. h. ich werde souveräner und je souveräner Künstler werden, desto besser für die Musiker, desto besser eigentlich auch am Ende für die Kunst.

Für die Schallplattenfirmen muss das gar nichts Schlimmes bedeuten. Für die Schallplattenfirmen kann das heißen, wenn Musiker selbstbewusster werden und dadurch noch bessere Musik machen, profitieren sie ja mit, weil Musik dann wieder spannender wird und sich viel mehr Leute für Musik interessieren. Für die globalen großen Schallplattenfirmen wird es bedeuten: Wie kann man dann Karrieren, die regional entstehen, sich durch Internet treiben, aber eben natürlich durch regionale Konzerte erst einmal gestützt werden, global vermarkten? Das ist ihre Stärke, das ist die Stärke der großen Plattenfirmen. Für kleine Firmen bedeutet das, sie können ganz, ganz wichtige Marken werden im Internet, wo Sie als Konsument genau wissen, was Sie zu erwarten hat.